© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/07 12. Oktober 2007

Keine Angst vor dem Zorn aus Peking
China: Die deutsche Wirtschaft fürchtet um ihr Geschäft, doch das Reich der Mitte ist von Europa abhängiger, als man denkt
Albrecht Rothacher

Der Uno-Sicherheitsrat konnte sich am vorigen Wochenende weder auf eine Verurteilung noch über Sanktionen gegen das Militärregime von Burma (Myanmar) verständigen. Die EU hatte hingegen schon Ende September Sanktionen angekündigt - zum Mißfallen der deutschen Wirtschaft. "Ich glaube nicht, daß Myanmar durch Restriktionen der Europäer und Amerikaner in die richtige Richtung gelenkt werden kann, warnte vorige Woche der BASF-Vorstandschef und Vorsitzende des Asien-Pazifik-Ausschusses (APA) der deutschen Wirtschaft, Jürgen Hambrecht, im Handelsblatt.

Auch den Empfang des Dalai Lamas im Kanzleramt sieht Hambrecht kritisch: "Das Protokoll der Visite war ungeschickt. Besuche bei der Kanzlerin im Kanzleramt werden eben nicht als 'privater Meinungsaustausch' wahrgenommen." Um die Interessen der deutschen Wirtschaft nicht zu gefährden, empfahl der APA-Chef Zurückhaltung: "Chinesen scheinen mittlerweile an allem schuld zu sein. Ob die Milch bei uns teurer wird, ob es in der U-Bahn keinen Platz mehr gibt, ob im Sudan ein Krieg tobt oder in Birma die Militärjunta einen Aufstand niederschlägt - überall wird China als Schuldiger entdeckt. Es ist absolut ungerechtfertigt, wie wir mit China umgehen."

Dabei hatte die christdemokratische Kanzlerin Angela Merkel ebenso wie zuvor ihr sozialdemokratischer Amtskollege Alfred Gusenbauer in Wien dem heiligen Mann lediglich ihre Unterstützung seines Einsatzes für die friedliche Wahrung der kulturellen und religiösen Identität Tibets zugesichert. Der Wiener Standard nannte dies daher "eine Höflichkeitsnummer für das öffentliche Gewissen". Der Führung in Peking ist Zartgefühl allerdings fremd. Staats- und Parteichef Hu Jintao hatte in dieser aufsässigen Provinz als Parteisekretär in der Tibet-Hauptstadt Lhasa Anfang der neunziger Jahre das Kriegsrecht ausgerufen, Hunderte von Tibetern erschießen und Zehntausende Zwangsabtreibungen vornehmen lassen.

"In der Außenwirtschaft eine wichtige Türöffnerfunktion"

So witterte das vom außenpolitischen Zynismus der Ära Schröder verwöhnte Regime in Peking sofort einen Anschlag auf seine territoriale Integrität und eine Ausweitung des Dalai-Lama-Bazillus auf andere EU-Hauptstädte. Eine Sprecherin des chinesischen Außenamtes verurteilte die Kurzvisite prompt als "grobe Einmischung" in die inneren Angelegenheiten Chinas. Der "Rechtsstaatsdialog" mit Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) wurde abgesagt und ein Frühstück der Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Yang Jiechi bei der Uno in New York verschoben. In Internetforen durften chinesische Teilnehmer die Kanzlerin beschimpfen, ohne daß der sonst allgegenwärtige Zensor eingriff. Das war auf der nach oben offenen Empörungsskala Chinas ein vergleichsweise milder Wutausbruch.

Dennoch ruderte das offizielle Berlin, ob der eigenen Courage und angesichts des chinesischen Stirnrunzelns erschrocken, sofort zurück. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm beeilte sich zu versichern, Deutschland halte an seiner Ein-China-Politik fest und lehne Autonomiebestrebungen ab. Wirtschaftsvertreter fürchteten ums Geschäft, nachdem das chinesische Zartgefühl schon durch die Kritik an ihrer Markenpiraterie und mangelnden Produktsicherheit in den letzten Wochen beleidigt worden war.

Bei der Asien-Pazifik-Konferenz des BDI vorige Woche in Seoul lobte Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) daher vor den versammelten Wirtschaftsführern die "ungeheuren Perspektiven" Chinas als weltweit viertgrößter Volkswirtschaft, die "schon in etwa 20 Jahren den USA als größte Volkswirtschaft den Rang abgelaufen haben und voraussichtlich schon 2008 uns den Titel Exportweltmeister streitig machen". Die Politik habe daher "in der Außenwirtschaft eine wichtige Türöffnerfunktion".

Diese schreckhaften Reaktionen übersehen, daß der Dalai Lama bereits von den Präsidenten Jacques Chirac, Bill Clinton und George W. Bush offiziell empfangen wurde. Das schrille Geschrei der chinesischen Diplomatie ist mittlerweile ähnlich ritualisiert wie die europäischen Mantras zum Klimaschutz und zu den Menschenrechten. Sie werden von Peking kommentarlos abgenickt. Nächstes Thema bitte.

Das China-Geschäft litt deshalb nie, weil die chinesische Modernisierung den weiteren Zustrom von willigem und billigem Kapital und technischem Wissen aus dem Westen benötigt und das chinesische Wachstum mit einem Exportanteil von 35 Prozent vom freien Zugang zu ausländischen Märkten abhängiger ist als jede andere große Volkswirtschaft. Von den Exporten gehen 20 Prozent in die EU, während umgekehrt nur fünf Prozent der EU-Exporte nach China verkauft werden. China ist also um ein Vielfaches vom europäischen Markt abhängiger als umgekehrt.

Das bilaterale Handelsdefizit der EU beträgt sage und schreibe 106 Milliarden Euro (2005) gegenüber China - Tendenz schnell steigend. Dieses bisher höchste Defizit, das die EU je gegenüber einem Handelspartner eingefahren hat, entspricht - nimmt man eine durchschnittliche Jahreswertschöpfung von 50.000 Euro pro Arbeitsplatz an - dem Verlust von über zwei Millionen produktiven Industriearbeitsplätzen in Europa, die vor allem in der Textil-, Schuh-, Spielzeug-, Fahrrad- und Elektronikindustrie abgebaut wurden. Eine härtere Gangart gegenüber der von einem unterbewerteten Yuán beflügelten chinesischen Importflut würde sich durchaus positiv auf die EU-Arbeitsplatzbilanz auswirken. Im Buhlen um das chinesische Wohlwollen übersehen Europas Wirtschaft und Politik, daß sie dank Chinas Exportabhängigkeit eigentlich am längeren Hebel sitzen und Mißstände wie Markenpiraterie (JF 50/06), Währungsdumping, koloniale Ausbeutung und Arbeitslagerprodukte nicht hinzunehmen bräuchten.

Der konservative Ex-EU-Außenkommissar Chris Patten, inzwischen Kanzler der Universität Oxford, schreibt in seinen politischen Erinnerungen zu Recht, daß die Europäer in bezug auf China gute Karten bemerkenswert schlecht spielten. Diese Einsicht ist in Berlin und Brüssel noch nicht überall angekommen.

Foto: Bundeskanzlerin Merkel bei Chinas Parlamentschef Wu Bangguo (r.): Große Exportabhängigkeit


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