© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/07 12. Oktober 2007

Heil in der Energie
Max Planck und der Weltbildwandel der Physik
Heiko Schütz

Mit 22 Jahren hatte der Physiker Max Planck 1880 seine Habilitation hinter sich. Nach der üblichen Privatdozentenzeit erhielt er 1885 in Kiel ein Extraordinariat. 1889 folgte der Ruf an die erste Universität des Reiches, nach Berlin, wo er 1892 wohlbestallter Ordinarius wurde. Eine bis dahin schon atemberaubende Karriere. Und Größeres stand bevor, denn im Dezember 1900 präsentierte Planck erstmals jene "Entdeckung", die ihn unter dem ungenauen Etikett "Quantentheorie" nicht nur weltberühmt machte, ihm mit einiger Verzögerung 1918 den Nobelpreis eintrug, sondern ihn, wie der gewöhnlich bescheidene, schmächtige Mann dies selbst einschätzte, neben Kopernikus und Newton unter die Titanen der neuzeitlichen Naturwissenschaft einreihte.

Einen bemerkenswertem Kontrast zu dem Glanz, der Planck als Wissenschaftler zeitlebens umstrahlte, bilden die privaten Katastrophen. Diese Schicksalsschläge, die er in seinem 90 Jahren währenden Leben einstecken mußte, wirken wie eine göttliche Gegenrechnung für akademischen Erfolg und öffentlichen Ruhm. Liest man Plancks Biographie rückwärts, scheint es, als habe er mit der zweiten, vom Unglück umschatteten Lebenshälfte die glücklichen Jahrzehnte des Aufstiegs bezahlen müssen. Bekannt ist der vergebliche Kampf um das Leben seines letzten Sohnes Erwin Planck, der als Mitverschwörer des "20. Juli" im Oktober 1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt wurde. Gnadengesuche des greisen Vaters an Hitler und Himmler, in denen er das Leben seines Sohnes als Gegenleistung für seine auch Volk und Vaterland zugute gekommene "Weltgeltung" als Gelehrter erbat, verhallten ungehört. Zu diesem Zeitpunkt führte der Physiker bereits das Leben eines "Bombenflüchtlings", da seine Villa im Grunewald 1943 ein Opfer der "Luftschlacht um Berlin" geworden war. Die Folgen des Zweiten traf Planck also ähnlich hart wie die des Ersten Weltkrieges: Der ältere Sohn fiel 1916 vor Verdun, zwei Töchter starben 1917 und 1919 am Kindbettfieber. Deren Mutter war Planck 1909 mit 49 Jahren durch den Krebstod entrissen worden.

Soweit es diese privaten Tragödien und die Laufbahn des Physikers, Dozenten, Wissenschaftsorganisators angeht, kann und will die neue Biographie Ernst Peter Fischers mit den älteren Darstellungen von Armin Hermann und John L. Heilbron nicht konkurrieren. Nach Herzenslust zitiert und paraphrasiert Fischer daher aus diesen Werken, wenn es um Plancks "äußeres Leben" geht. Eine originäre Leistung will der Konstanzer Wissenschaftshistoriker hingegen mit der Rekonstruktion dessen erbringen, was der Theoretiker der Physik zum , wie es programmatisch im Untertitel heißt, "Zerfallen der Welt" beitrug. An dieser Aufgabe ist Fischer jedoch leider gescheitert. Dabei ist es natürlich nicht so, daß Fischer den hochkomplexen Prozeß der physikalischen Theoriebildung seit 1850 nicht verstanden hätte. Im Gegenteil: Er ist darüber so gut orientiert, daß er bei der Masse der Leser, die zum letzten Mal als Primaner ein Physiklehrbuch in der Hand gehalten haben dürfte, zuviel voraussetzt.

Darum gelingt schon die Vermittlung der Ausgangsposition, des physikalischen Weltbildes nicht, dessen "Zerfall" Plancks Quantentheorie herbeiführte. Was hat der zweite Hauptsatz der Wärmelehre, über den Planck promovierte, mit seiner Entdeckung eines Wirkungsquantums zu tun? Verglichen mit den sprunghaften Erläuterungen Fischers liest sich das immer noch plastischer bei Planck selbst, etwa in dessen Leidener Vortrag über "Die Einheit des physikalischen Weltbildes" (1908). Warum aber war der Beförderer des "Zerfalls" zugleich auf "Einheit" so fixiert, daß Fischer hier von Plancks "lebenslanger Sehnsucht nach Einheit", nach "Absolutem" spricht? Auch dies hängt mit dem großen, wesentlich naturwissenschaftlich induzierten Wandel der Weltanschauung im 19. Jahrhundert zusammen, über den Fischer aber kaum mehr verrät, als daß Normen, Orientierungsgewißheiten und Identitäten ins Wanken gerieten. Um dies präziser zu erfassen, hätte Fischer vielleicht auch intensiv behandeln müssen, was er öfter nur andeutet: Welchen Anteil haben denn "Lust und Emotion", die er bei Planck ausmacht, an der Suche nach neuen Gewißheiten, ausgehend von der nicht zufällig ans Religiöse anklingenden "Heilsbotschaft der Energie"?

Da Fischer, der sich auch bei manchen zeithistorischen Hintergründen etwas zu sehr auf Gewährsleute wie Michael Stürmer oder Sebastian Haffner verläßt, seine Leser entweder über- oder unterfordert, jedenfalls den Weltbildwandel in der Physik nicht konzise darlegt, muß der physikalische Laie, wagt er sich nicht an Carl Friedrich von Weizsäckers "populäre" Werke, weiterhin bei einem theologisch vorgebildeten Historiker, dem 1992 leider zu früh verstorbenen Thomas Nipperdey, nachlesen, wie das deutsche "Weltbildinteresse" sich am Verhältnis von Energie, Kraft und Materie solange abarbeitete, bis dieser "Theoriewille" bei Planck und Albert Einstein zwischen 1900 und 1905 in die "physikalische Revolution" mündete.

Ernst Peter Fischer: Der Physiker. Max Planck und das Zerfallen der Welt. Siedler Verlag, München 2007, gebunden, 340 Seiten, Abbildungen, 22,95 Euro


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