© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/07 12. Oktober 2007

Kindesstatt Evas Wohl
Christine Brincks Thesen über die Frühkinderziehung
Ellen Kositza

Dies läßt der Titel "Mütterkriege" erahnen: den gängigen "streitbaren" Aufguß über Raben-, Power-, Vollzeitmütter, gestrandete und geglückte Karrieren, heimisches Kleinglück. Hennenrennen, hundertfach vorgeführt in den letzten Jahren, immer wieder einen Aufreger wert - für die angesprochenen Kriegerinnen, die vor lauter Spagat (dem berüchtigten Alltagskunststück zwischen Werk und Wiege) der Kampfesmut nicht (die vitale Tanzlust hingegen längst) verlassen hat.

Doch der Titel trügt, er dient wohl als Lockvogel angesichts des heißen Themas. Richtigerweise müßte er langatmig ergänzt werden: Mütterkriege haben wir lange genug gehabt, jetzt darf es mal um die Kinder gehen. Nicht das Ja oder Nein zur mütterlichen Erwerbstätigkeit steht im Vordergrund der Betrachtungen von Christine Brinck, sondern das Kindeswohl. Mutterschaft sei "kein Kleid, das man stundenweise an- und abstreifen kann", hält die promovierte Erziehungswissenschaftlerin Christine Brinck, selbst zweifache Mutter, fest. Eine Phrase habe sich festgesetzt in den Köpfen zweifelnder Mütter - zweifelnd, ob sie nicht am Bürotisch besser am Platz wären denn im anstrengenden Alltag mit einem Kleinkind: "Die Kinder sind so glücklich, wie ihre Mutter es ist."

Brinck zitiert die Antwort einer Mutter: "Jeder sagt das, aber es ist nicht wahr. Kinder sind glücklich, wenn man da ist. Gib Kindern die Wahl zwischen der Mutter, die im Nebenzimmer kurz vor dem Selbstmord steht, und der Mutter, die in Hawaii bestens gelaunt ist: Sie wählen die Mutter mit der Selbstmordattacke." Dabei könne Fremdbetreuung durchaus gedeihlich sein für die Kleinen - gelegentlich gar die bessere Wahl, beispielsweise für Kinder ohne deutsche Muttersprache. Für Kinder aus prekären sozialen Verhältnisse, deren Eltern mit Erziehungsaufgaben überfordert sind. Am Ende auch für die Mütter, die es, aus welchen Gründen auch immer, zurückzieht in die Berufswelt. Nur, unter welchen Bedingungen ist von "guten" Krippen, von "guter" Tagespflege zu reden?

Brincks Überlegungen hierzu - auf wissenschaftlichen Untersuchungen fußend - sind durchdacht und hilfreich: Absolute Untergrenze seien 18 Monate, besser zwei Jahre, höchstens dreißig (besser nur zwanzig) Stunden wöchentlich, ein Erzieher auf maximal drei Kleinstkinder, bei älteren Kindern auf höchstens fünf. Zum Realitätsabgleich: schon heute mangelt es an gutausgebildeten Frühpädagogen, während die Familienministerin eine halbe Million Krippenplätze anpeilt. Nur 7.000 Erzieherinnen verlassen jährlich die entsprechenden Fachschulen: Das kann nicht allzu heiter werden.

Natürlich gibt es Alternativen. Brinck sagt es deutlich: Hände weg von Au-pairs, Augen auf bei Tagesmüttern. Als wahren Segen dagegen präsentiert sie uns die ausgebildete "Nanny". Allerdings: Ein praller Geldbeutel und ein guter Platz auf der Warteliste sind hier vonnöten, erst recht, wenn man deren erste Sahne beanspruche. Die berühmten Kinderfrauen des britischen Norland College seien jeden Cent wert. Erstklassig (und teuer) ausgebildet, dürfen sie als perfekte mütterliche Ergänzung gelten - für Familien, die mindestens 20.000 Euro im Jahr, dazu Auto und zusätzliche Wohneinheit übrighätten.

Es soll wohlmeinende Frauen geben, die der ehrgeizigen akademischen Jungmutter in spe Eva-Herman-Bücher schenken: Hier, lies das mal und überdenke deine hochfahrenden Karrierepläne! Im Zweifelsfall wird Frau Doktorandin den Teufel tun - und die zeitgemäßen, allseits eingeimpften Antworten auf das Hermansche Hausfrauen-Plädoyer ohnehin längst auswendig hersagen können. Eine Lektüre der "Mütterkriege" dürfte ebendiesen Reflex nicht auslösen: Die Autorin - für die Zeit und Süddeutsche Zeitung tätig - argumentiert unideologisch, wenig polarisierend und dennoch stets hart an der Sache.

Daß Brincks schmales Buch nicht ohne Gefühligkeiten auskommt, liegt wohl in seinem Anliegen begründet: alles für das Kindeswohl. Daß Kinder vor allem Liebe, Zeit und Zuwendung bedürfen, mag eine banale Erkenntnis sein. Dennoch dürfte es eine Menge Frauen geben, denen solche Binsenweisheit Augenrollen hervorruft: Karrieretechnisch hilft dieser Hinweis schließlich nicht wirklich weiter. Auch dazu stellt Brinck die richtige, wieder ganz simple Frage: Ob "die Durchschnittsfrau Kinder in die Welt setzen sollte, ohne die Absicht zu haben, sich auch intensiv zu kümmern"?

Christine Brinck: Mütterkriege. Werden unsere Kinder verstaatlicht? Herder Verlag, Freiburg 2007, broschiert, 160 Seiten, 12,90 Euro


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