© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/07 19. Oktober 2007

Opfer zweiter Klasse
Zentrum gegen Vertreibungen: Das "sichtbare Zeichen" wird zur Farce
Gernot Facius

Das ist, zugegeben, eine Leistung von Rang: Unter der Präsidentschaft von Erika Steinbach hat der Bund der Vertriebenen eine öffentliche Resonanz wie schon lange nicht erfahren. Der Mitte der 1990er Jahre fast totgesagte Verband ist wieder ein ernst genommener Akteur auf der politischen Bühne.

Das vor sieben Jahren initiierte Projekt eines Zentrums gegen Vertreibungen hält das Thema der eiskalt geplanten und brutal ausgeführten Massenverbrechen an Deutschen nach 1945 in der Diskussion; man werfe nur einen Blick in die Leserbriefspalten der seriösen Presse. Widerlegt sehen sich nun diejenigen, die "pragmatisch" auf eine "biologische Lösung" setzten. Persönlichkeiten unterschiedlichster politischer Provenienz unterstützen das Zentrums-Vorhaben: von Arnulf Baring und Otto Graf Lambsdorff bis zu Ralph Giordano. So pluralistisch-breit ist kaum ein Erinnerungsprojekt aufgestellt. Das ist das Positive. Man sollte freilich nicht blind gegenüber der Wirklichkeit sein. Mit diesem Anstoß wurden nämlich auch Hoffnungen geweckt, die angesichts der Geschichtsvergessenheit unserer politischen und publizistischen Klasse nur schwer einzulösen sind. Die rot-grüne Bundesregierung ist sofort auf Distanz zu der Zentrumsidee gegangen. Die Große Koalition verhält sich nicht viel anders, auch wenn die Bundeskanzlerin, eine begnadete Taktikerin, gelegentlich den BdV - wie jetzt zu seinem 50. Geburtstag - hofiert. Ein "sichtbares Zeichen" der Erinnerung, eingebettet in den europäischen Kontext, ist von ihr zugesagt.

Die thematische Engführung ist programmiert. Polen und Tschechen, zur aktiven Mitwirkung an dem "sichtbaren Zeichen" aufgefordert, werden nicht zulassen, daß das Vertreibungsgeschehen in seiner ganzen Komplexität, und damit auch aus der speziellen Perspektive der betroffenen Ost- und Sudetendeutschen, dokumentiert wird. Man möchte den "Bevölkerungstransfer", den "Abschub", die "Zwangsmigration" und die "erzwungene Wanderschaft" oder wie immer die verniedlichenden Bezeichnungen für die größte und konsequenteste Massenvertreibung heißen, die als Völkermord charakterisiert werden kann, mit der simplen Ursache/Wirkung-Theorie erklären beziehungsweise schönreden: alles nur eine Reaktion auf Hitlers Verbrechen. Punkt! Basta! So einfach ist das für manche.

Kein Wort davon, daß die Rechtfertigung von Gewalttaten durch vorangegangene Gewalttaten die Übertragung des archaischen Blutracheprinzips auf moderne Gesellschaften wäre; keine Rede davon, daß ein aggressiver tschechischer Panslawismus und ein - leider katholisch verbrämter - polnischer Chauvinismus schon in der Vorkriegszeit Vertreibungsszenarien durchspielten; Hitler hat ihnen dann die Möglichkeit geboten, sie auszuführen. Edvard Beneš machte schon 1920 kein Hehl aus seiner Meinung, "daß den Deutschen kein Selbstbestimmungsrecht gegeben werden soll, daß man sie lieber an Galgen oder Kandelaber aufhängen möge", was ein von ihm aufgehetzter Pöbel im Mai 1945 in Prag dann erledigte.

In ihrer Servilität gegenüber Warschau und Prag fällt den Regierenden in Berlin im Disput über das Zentrum gegen Vertreibungen nichts anderes ein, als permanent vor einer "Aufrechnung" zu warnen. Als ob es Opfer erster und zweiter Klasse gäbe und man die Angehörigen der zweiten (deutschen) Opferkategorie ohne weiteres ignorieren und diskriminieren könnte.

"Man sollte das Modewort Aufrechnung einfach bannen. Dieses Geschwätz ist menschenrechtsfeindlich", meint der amerikanische Völkerrechtler und Historiker Alfred de Zayas. Recht hat er. De Zayas verschweigt nicht die unrühmliche Rolle, die die Anglo-Amerikaner bei der Vertreibung der Deutschen spielten. Das ist politisch unkorrekt. Er wird deshalb von gewissen Medien angefeindet und diffamiert. Offenbar kostet es heute schon Mut, auf dieses geschichtliche Faktum hinzuweisen: Die Vertreibung der Deutschen aus den damaligen Ostgebieten, dem Sudetenland und Teilen Südosteuropas war das erste Großverbrechen in Friedenszeiten. Aus geschichtspolitischen Gründen wird das häufig unterschlagen. Mit bedenklichen Folgen. Eine Umfrage, in Auftrag gegeben vom Haus der Geschichte in Bonn, hatte zum Ergebnis, daß nur jeder Zehnte das Ausmaß der Vertreibung kennt. Wir haben es mit Wahrnehmungsblockaden zu tun.

Zu Recht erregt man sich über die Türkei, die den Genozid an den Armeniern, den "Holocaust vor dem Holocaust", leugnet; man macht eine Distanzierung von diesen Verbrechen zum Prüfstein für die EU-Tauglichkeit des Landes am Bosporus. Über die Frage der Europatauglichkeit Polens und der Tschechischen Republik, die sich noch immer um eine glasklare Position gegenüber den deutschen Vertriebenen herumdrücken, wurde nur wenig Tinte vergossen. Beide Länder sind seit 2004 in der EU. Wird das "sichtbare Zeichen" durch ihre Einflußnahme zum Instrument einer einseitigen Geschichtspolitik, schreitet die Marginalisierung der "Randgruppe", wie Gerhard Schröder die Heimatvertriebenen nannte, fort. Das wäre ein weiterer Akt der Vertreibung - unter den Augen oder besser: mit stillschweigender Duldung der eigenen Regierung in Berlin.

 

Gernot Facius, Redaktionsmitglied der Tageszeitung Die Welt, sprach auf der Landeskulturtagung des BdV Baden-Württemberg.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen