© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/07 19. Oktober 2007

Polnische Propagandaoffensive
Geschichtspolitik: In einer Studie, die an alle Bundestagsabgeordneten verschickt wurde, wird die Vertreibung als "Aussiedlung" verharmlost
Christian Rudolf

In Deutschland begeht der Bund der Vertriebenen (BdV) in der kommenden Woche mit einem Festakt in Berlin den 50. Jahrestag seines Bestehens. Aus diesem Anlaß wird das geplante Zentrum gegen Vertreibungen (siehe auch den Artikel auf Seite 5) wieder stärker ins Licht der Öffentlichkeit rücken. Gleichzeitig tobt in Polen der Wahlkampf, am Sonntag stehen die vorgezogenen Parlamentswahlen an.

Vor diesem Hintergrund hat sich in der vergangenen Woche die 1991 gegründete polnische Stiftung "Polnisch-Deutsche Aussöhnung" in Erinnerung gebracht. Sie verschickte an alle Abgeordneten des Deutschen Bundestag eine Broschüre, die sich mit dem Polenbild der Deutschen auseinandersetzt.

Die Publikation der Stiftung, die ursprünglich als halbstaatliche Partnerorganisation gegründet worden war, um Millionen von deutschen Hilfsgeldern an überlebende polnische Opfer von NS-Verfolgung sowie an ehemalige Zwangsarbeiter auszuzahlen, hat es in sich und lohnt eine nähere Beschäftigung. Den Titel der Druckschrift ziert der polnische Adler - es handelt sich um eine quasi regierungsamtliche Veröffentlichung: Der Vorstandsvorsitzende der Stiftung, der Rechtsprofessor Mariusz Muszyñski, ist seit Dezember 2006 Beauftragter der polnischen Außenministerin für die deutsch-polnische Zusammenarbeit. Muszyñski verbessert nach Kräften das zwischenstaatliche Verhältnis: Im März forderte er, "daß Berlin die Entschädigung ehemals jüdischen Besitzes in den einstigen deutschen Ostgebieten übernehmen" müsse, nannte die deutsche Politik "egoistisch" und "national". Sein Lebenslauf mit Angaben zu wissenschaftlichen Fachgebieten ("Völkerrecht") auf der deutschsprachigen gemeinsamen Netzseite des Auswärtigen Amts und des polnischen Außenministeriums (www.auswaertiges-amt.de/deutschland-polen/) setzt den Begriff Vertriebene in Anführungsstriche.

Wen wundert es, daß die unter seiner Regie erarbeitete Studie "Die Deutschen über Polen und die Polen" ganz den Geist der Kaczyñski-Regierung atmet? In drei Sprachen herausgegeben, von der Stiftung auch an diplomatische Auslandsvertretungen in Warschau versandt, jammert und klagt die 236 Seiten starke Broschüre über das Bild des östlichen Nachbarstaates, wie es in ausgewählten deutschen Massenmedien binnen eines Jahres zwischen Juli 2006 und Juni 2007 dargestellt werde. Ob es um die Beurteilung des Regierungspersonals geht, um polnische Innen- oder Außenpolitik, um deutsch-polnische Geschichte - in der deutschen Presse fänden sich "unberechtigte negative Beurteilungen" (Adjektive wie "extrem", "autoritär"), "aggressive Rhetorik" ("humorlos", "verbissen", "Koalition der Zornigen"), ja, "Manipulation und Suggestion". Eine "gewisse Neutralität der politischen Klasse" werde "unterbrochen", wenn sich in die "Kritik Polens" auch "deutsche Politiker" einschalteten - das deutsch-polnische Autorenteam verteilte Malus-Punkte.

Ein Kapitel untersucht deutsche Presseberichte hinsichtlich der Behandlung "historischer Probleme", einleitend heißt es dazu: "174 Artikel" des Untersuchungszeitraums "verknüpften alle bis zu einem gewissen Grade das Thema der deutsch-polnischen Beziehungen mit dem Streitfall der Aussiedlung Deutscher aus Polen (sogenannte Vertreibung)". Wer so sensibel mit Sprache umzugehen versteht wie die Verfasser, dem ist es ein leichtes, "provokante" Interviews mit der BdV-Präsidentin Erika Steinbach aufzuspüren: "An einer anderen Stelle warf sie Polen und Tschechen vor, daß sie schon vor dem Krieg die Deutschen hätten vertreiben wollen."

"Zeit des Dritten Reiches auf falsche Weise analysiert"

Indigniert fahren die Autoren der Studie fort: "Das Interesse der Presse weckten Bücher", welche "die Zeit des Dritten Reiches auf falsche Weise analysierten. Diese Bücher wurden beharrlich von führenden deutschen Tageszeitungen rezensiert." Michael Hartenstein ("Die Geschichte der Oder-Neiße-Linie") mußte sich für den Hinweis rügen lassen, "daß noch vor Kriegsbeginn 1939 polnische Nationalisten mit der Idee eines 'Groß-Polens' sympathisierten und an eine territoriale Expansion gen Westen gedacht hätten".

In einem anderen Kapitel, das Artikel über "gesellschaftliche Thematik" zum Gegenstand hat, bemängeln die Autoren die "fast ausschließlich negative Berichterstattung": Ein taz-Bericht behaupte, die polnische Gesellschaft sei sehr patriarchalisch, "ein Mann, der Erziehungsurlaub für sein Kind nimmt", werde "nach wie vor schief angesehen". Karol Sauerland muß sich den Satz aus einem Aufsatz der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorhalten lassen: "Auch nach der Niederlage der NS-Diktatur hatte das Martyrium der polnischen Juden kein Ende." In der deutschen Presse seien viele Artikel über den "angeblichen" heutigen und vergangenen Antisemitismus in Polen erschienen - Pogrome wie in Jedwabne, Kielce und anderswo wurden sicherlich auch nur von "angeblichen" Antisemiten verübt.

Sogar die Regierungsbeauftragte für die deutsch-polnischen Beziehungen, Gesine Schwan, die in der Vergangenheit kaum eine Gelegenheit ausgelassen hat, um ihre Sympathie für das Nachbarland zu bekunden, bekam in der Broschüre ihr Fett weg. Sie bewerte die Politik der polnischen Regierung mit überwiegend kritischen Äußerungen, empfinde gar die Brüder Kaczyñski persönlich als eine Belastung für das zwischenstaatliche Verhältnis.

Kurzum: Die ganz offenbar mit Kaczyñski-Getreuen besetzte Redaktion verbittet sich jede Kritik an der derzeitigen Regierung und polnischen Zuständen. Der schlechte Regierungsstil der letzten Monate hätte von deutschen Journalisten wohl besser beschwiegen werden sollen? So aber heißt es im Fazit: "Der Ton der Artikel", die in der zweiten Jahreshälfte 2007 erschienen sind, habe "geradezu den Charakter einer Hetzjagd".

Zeitpunkt nicht zufällig gewählt

Wenn Adam Krzemiñski allerdings in einem Gastartikel für die Welt (16. August 2006) "inhaltliche Schwächen" der vom BdV verantworteten Ausstellung "Erzwungene Wege" ausmacht, ihr "fehlenden historischen Kontext" unterstellt und "deutsches Selbstmitleid" feststellt, dann sind das für die Autoren der Studie "sachliche Anmerkungen". Schließlich wird deutlich, daß der Zeitpunkt, die Broschüre zu versenden, nicht zufällig gewählt ist, zielt doch die Analyse der Stiftung "Deutsch-Polnische Aussöhnung" als Teil der "öffentlichen Diplomatie" gegen den Bau des Zentrums gegen Vertreibungen: Polen werde zu sehr "durch das Steinbach-Prisma und die von ihr propagierten historischen Angelegenheiten betrachtet". Die Untersuchung habe ergeben, daß "49 Prozent der Artikel über deutsch-polnische Beziehungen historische Themen aufgreifen, die mit den Folgen des Zweiten Weltkriegs verbunden sind": Dazu gehöre insbesondere das "Thema der Nachkriegsaussiedlungen Deutscher aus Polen".


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