© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/07 19. Oktober 2007

Tierschutz auf dem Rückzug
Agrarpolitik: Bundesrat und Bundestag mißachten den Grundgesetzartikel 20a / Neue Geflügelpestverordnung
Edgar Guhde

Am 12. Oktober beschloß der Bundesrat die Geflügelpestverordnung des Verbraucherschutzministeriums, mit der die Stallhaltung für Hühner, Puten, Enten und andere Laufvögel als Regelfall auf unbegrenzte Zeit vorgeschrieben wird. Die gegen die Vogelgrippe gerichtete Maßnahme wird jedoch nicht nur vom Tierschutz, sondern auch von der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft (DO-G) nachdrücklich als kontraproduktiv abgelehnt.

Wer Geflügel hält, hat künftig die Tiere in geschlossenen Ställen oder unter einer nach oben gegen Einträge gesicherten Abdeckung und mit einer gegen das Eindringen von Wildvögeln gesicherten Seitenbegrenzung zu halten. Fütterung und Tränkung dürfen nur noch an Stellen stattfinden, die für Wildvögel unzugänglich sind. Soweit Belange der Tierseuchenbekämpfung nicht entgegenstehen, kann die zuständige Behörde Ausnahmen für die Freilandhaltung genehmigen. Ferner ist die Tötung aller Tiere eines Betriebs bereits bei einem niedrigpathogenen (weniger krankmachenden) Erreger bei einem einzeln Tier vorgeschrieben.

Damit wurde, so kürzlich die DO-G, eine wichtige Chance vertan, grund- legende Erkenntnisse der vergangenen Jahre in eine verbesserte Bekämpfungsstrategie umzusetzen. Das grundsätzliche Freilandverbot basiere auf der falschen Annahme, daß Kontakte zwischen Wildvögeln und Geflügel der Haupteintragungsweg für Erreger in Hausgeflügelbestände seien. Tatsächlich hätten die meisten Geflügelpestausbrüche in aufgestallten Geflügelhaltungen stattgefunden, während Wildvögel nur selten von Erregern der hochpathogenen Geflügelpest befallen wurden.

Tatsächlich gab es in den Freilandhaltungen weit weniger Vogelgrippenfälle als in geschlossenen Ställen. Die Welternährungsorganisation (FAO) wies jüngst darauf hin, daß trotz umfangreicher Monitoring-Programme bei Wildvögeln kein H5N1-Virus mehr gefunden wurde, dieser aber noch in Zuchtunternehmen vorhanden sei. Neben der FAO sehen auch alle Tierschutzverbände Wildvögel als eine geringe Gefahr und warnen vor der Konzentration in der Intensiv-Massentier-Stallhaltung, die schwache Immunsysteme und den Vogelgrippen-Virus hervorruft - die neue Verordnung ist daher ein Rückschlag in der Bekämpfung der Vogelgrippe.

Dazu kommt die brutale Mißachtung des Tierschutzes durch die lebenslange Verweigerung des Auslaufs im Freien: keine Sonne, kein Gewässer, Enge, Streß, Bewegungsmangel, kein Ausleben der Bedürfnisse, keine freie Futterwahl, keine Stimulation durch Umwelteindrücke, schnellerer Wirtswechsel der Viren mit der Folge von Erkrankungen und gestörtem Sozialverhalten. Besonders unerträglich wirkt sich die Stallhaltung auf Gänse, Enten und Wasservögel aus. Auch die vorgesehenen sinnlosen Massentötungen rechtfertigen, von einem eklatanten Bruch des Tierschutzgesetzes mit seinem Gebot der tiergerechten Haltung und des Tötungsverbots ohne vernünftigen Grund zu sprechen. Ein Akt, der sich konsequent in die vom Seehofer-Ministerium verfügte Aufhebung des Verbots der Käfighaltung einfügt.

Die Verordnung ist eine unzumutbare Belastung der Landwirte mit Freilandhaltung, die nun nicht mehr wettbewerbsfähig bleiben können. Sie haben nicht genügend Stallraum für das Freilandgeflügel, so daß große Bestände getötet werden müssen - und dies angesichts steigender Nachfrage nach Erzeugnissen aus artgerechter Tierhaltung. Zu den Absurditäten gehört auch, daß diejenigen Züchter, die die neue Verordnung befolgen, damit gegen das Tierschutzgesetz verstoßen.

Am 10. Oktober befaßte sich der Landwirtschaftsausschuß des Bundestags überdies mit einem vom Bundesrat eingebrachten Entwurf zur Änderung des Paragraphen 4a des Tierschutzgesetzes, mit dem das betäubungslose Schächten nur zu genehmigen ist, wenn die religiösen Antragsteller nachweisen, daß ihre Religion das Schächten ohne Betäubung zwingend vorschreibt und den Tieren im Vergleich zur Schlachtung mit Betäubung keine zusätzlichen erheblichen Schmerzen und Leiden zugefügt werden. Obwohl die ursprünglich von Hessen eingebrachte Initiative in allen 16 Landtagen behandelt wurde und die hessische Initiative übereinstimmend beschlossen wurde, meint die Bundesregierung "verfassungsrechtliche Bedenken" anmelden zu müssen.

Die Staatszielbestimmung Tierschutz (Artikel 20a) verkommt auch hier wieder zur Luftnummer. Der Ausschuß überlegt, eine erneute Anhörung von Vertretern des Islam und des Judentums durchzuführen. Dabei zeichnet sich seit einigen Jahren ab, daß die Mehrheit der Moslems die Elektrokurzzeitbetäubung vor dem Kehlschnitt als religionskonform akzeptiert. Dennoch sollen sich noch drei weitere Bundestagsausschüsse mit dem Bundesratsentwurf befassen.

Weitere Informationen beim Politischen Arbeitskreis für Tierrechte in Europa: www.paktev.de


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