© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/07 19. Oktober 2007

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Erfahrungswissen
Karl Heinzen

Seit langen Jahren treten die Linksliberalen und Teile der Sozialdemokratie in den Niederlanden dafür ein, daß die Bürgermeister generell durch eine Direktwahl bestimmt werden. Alle Bemühungen, auf diese Weise die demokratischen Partizipationsmöglichkeiten der Einwohner auf kommunaler Ebene zu stärken, scheiterten jedoch bislang am Widerstand strukturkonservativer Kräfte. Die durch einen Beschluß des Gemeindeparlaments ermöglichte Direktwahl des Bürgermeisters von Utrecht, der viertgrößten Stadt unseres Nachbarlandes, wurde daher mit Spannung als ein Test betrachtet, inwieweit die Menschen diese Einladung zur Politikgestaltung überhaupt annehmen würden. Das Ergebnis war ernüchternd: Ganze 9,25 Prozent der Bürger gingen zur Wahl, jeder Fünfte von ihnen gab noch dazu einen leeren Stimmzettel ab. Da eine Mindestbeteiligung von 30 Prozent notwendig gewesen wäre, um zu einem gültigen Ergebnis zu kommen, muß nun doch der Stadtrat selbst die Personalentscheidung treffen.

Es mag zwar sein, daß dieser Vorgang in Utrecht nicht als eine theoretische Widerlegung der Heilslehre von der direkten Demokratie betrachtet werden kann. Die pragmatische Schlußfolgerung, die aus ihm gezogen werden darf, ist dennoch nicht zu unterschätzen. Man muß einfach akzeptieren, daß sich Investitionen in immer neue Verfahren der demokratischen Willensbildung nur dann lohnen, wenn diese auch von den betroffenen Menschen angenommen werden.

Wahlen verursachen beträchtliche Kosten und stellen streng genommen eine Verschwendung volkswirtschaftlicher Ressourcen da, die viel sinnvoller in zukunftsorientierten Bereichen wie bespielsweise Bildung und Forschung eingesetzt wären. Wenn man meint, sich dennoch diesen Luxus gönnen zu wollen, dann sollte doch wenigstens auf Qualität Wert gelegt werden und somit eine strikte Beschränkung auf jene Urnengänge erfolgen, die den Menschen zuverlässig den Eindruck vermitteln, sie könnten im Staat mitentscheiden, ohne daß sie vorab allzu viel Zeit für die Beschäftigung mit den Problemen des Gemeinwesens aufwenden müßten.

Die Erfahrung in den etablierten Demokratien unserer Welt zeigt, daß sich dieser psychologische Effekt erzielen läßt, wenn etwa alle zwei Jahre irgendwelche Wahlen angesetzt werden. Hier die Taktzahl erhöhen zu wollen, hieße nicht nur, unnötige Kosten zur Pflege des politischen Systems zu verursachen: Vor allem besteht die Gefahr, daß die Bürger überfordert und damit in die Politikverdrossenheit getrieben würden.


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