© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/07 19. Oktober 2007

Ort des Grauens
Wider die Nostalgie: Eine Ausstellung zum Untersuchungsgefängnis der DDR-Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen
Thorsten Thaler

Neunzehnhundertsechsundvierzig. Horst Jänichen wird als fünfzehnjähriger Schüler unter dem falschen Verdacht, der nationalsozialistischen Organisation "Werwolf" angehört zu haben, durch den sowjetischen Staatssicherheitsdienst (MGB) verhaftet und für mehr als zwei Jahre inhaftiert. Nach seiner Freilassung engagiert er sich in einer politischen Widerstandsorganisation - der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU). Er berichtet über seine Lagerhaft, verteilt Flugblätter im Ostteil Berlins und pflegt Kontakte zur dortigen SPD. Daraufhin wird Jänichen im Dezember 1950 erneut festgenommen, dieses Mal durch das Ministerium für Staatssicherheit der DDR, und zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt.

Neunzehnhundertvierundfünfzig. Herbert Pfaff aus West-Berlin findet bei einem Besuch im Ostteil der Stadt auf der Straße einen Personalausweis. Auf dem Weg zur Polizei, wo er den Ausweis abgeben will, bekommt er Schmerzen. Passanten bringen ihn in ein Krankenhaus. Dort wird bei ihm der Ost-Berliner Personalausweis entdeckt. Pfaff wird für mehrere Wochen wegen Spionage inhaftiert. Nach seiner Freilassung engagiert er sich ebenfalls in der KgU und hilft bei der Ausschleusung von Flüchtlingen aus der DDR. 1964 auf dem Grenzbahnhof Friedrichstraße festgenommen, wird er wegen Fluchthilfe zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt.

Neunzehnhundertdreiundsechzig. Sigrid Paul, Mutter eines kranken zweijährigen Kindes in Ost-Berlin, mußte zwei Jahre zuvor ihren Sohn in eine Klinik im Westteil der Stadt bringen. Nach dem Mauerbau erhält sie keine Ausreiseerlaubnis mehr, um zu ihrem immer noch kranken Kind zu kommen. Sie entschließt sich zur Flucht. Das Vorhaben wird an die Staatssicherheit verraten, Sigrid Paul wegen "Republikflucht" zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt.

Neunzehnhundertsechsundsiebzig. Matthias Bath, politisch engagierter Student aus West-Berlin, wird am Grenzübergang Marienborn festgehalten. Bei einer Kontrolle seines Wagens entdecken die Grenzpolizisten im Kofferraum drei Flüchtlinge, die Bath im Auftrag eines Funktionärs der CDU-Jugendorganisation in den Westen bringen sollte. Er wird wegen Fluchthilfe zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Neunzehnhundertsiebenundachtzig. Mario Röllig, neunzehnjähriger Homosexueller aus Ost-Berlin, wird von der Staatssicherheit unter Druck gesetzt, für sie als IM tätig zu werden. Er weigert sich. Bei einem Fluchtversuch über Ungarn wird er gefaßt und an die DDR überstellt. Im März 1988 wird er von der Bundesrepublik freigekauft.

Fünf Namen. Fünf Schicksale. Fünf Jahrzehnte. Ein Ort. Berlin-Hohenschönhausen. Sowjetisches Speziallager und zentrales Untersuchungsgefängnis der DDR-Staatssicherheit. Ein Ort des Grauens. Die Zentrale des Terrors.

Dieses Grauen eingefangen zu haben und jetzt in einer Exhibition auszustellen, ist das Verdienst von Franziska Vu. Die junge Berliner Fotografin, Jahrgang 1976, hat Interviews mit sieben ehemaligen Gefangenen geführt. Sie zeigen, wie sich die Haftbedingungen in Hohenschönhausen über die Jahrzehnte hinweg geändert haben - und wie sie doch stets der Willkür unterworfen blieben.

Fotos von Franziska Vu aus der Haftanstalt, die nach der Wiedervereinigung erst unter Denkmalschutz gestellt, dann zur Gedenkstätte erklärt wurde, visualieren das Grauen. Das Leid. Die Angst. Die Einsamkeit. Die Hoffnungslosigkeit. Es sind Bilder des Schreckens, der Mahnung. In Zeiten der Verklärung und DDR-Nostalgie zeigen sie das wahre Gesicht eines totalitären, verbrecherischen Unrechtsregimes.

Die Ausstellung "Inhaftiert - Fotografien und Berichte aus der Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit" von Franziska Vu wird bis zum 12. November im Berliner Kriminalgericht Moabit, Turmstraße 91, gezeigt. Öffnungszeiten: Mo.-Do. 8 bis 18 Uhr, freitags bis 16 Uhr. Besucher benötigen beim Einlaß ihren Personalausweis. Internet: www.franziska-vu.de 

Der Begleitband (124 Seiten) zur Ausstellung ist 2006 vom Kulturring in Berlin e.V. herausgegeben worden.

Fotos: "Zerfall": Isolation, Schlafentzug, körperliche Mißhandlungen, "Mein Name ist 128": "Niemand weiß, wo sie sind", "U-Boot": Fensterlose, gruftartige Zellen, Holzpritsche, Kübel, "Über dem Horizont": Psychische Folter, "Bewegte Enge": Verhöre konnten 22 Stunden bis zur totalen Erschöpfung dauern, Matthias Bath: Wegen Fluchthilfe zu fünf Jahren verurteilt


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