© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/07 19. Oktober 2007

Meldungen

NS-Sozialpolitik: Nur gefühlte Verbesserungen

STUTTGART. Seit Götz Alys "Hitlers Volksstaat" (JF 08/06) ist die Debatte über die Sozialstaatsqualität des Dritten Reiches virulent. Nicht von ungefähr waren es die Rechenkünste des finanzwirtschaftlichen Laien Aly, die heftigste Attacken auf die ungenügende empirische Basis seines Verkaufsschlagers provozierten. Mit subtileren Methoden ist daher Andrea Wagner bestrebt, die Frage nach dem Lebensstandard im NS-Reich, zunächst zwischen 1933 und 1939, statistisch zu objektivieren (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 2/07). Trotz des beachtlichen Wirtschaftsaufschwungs, so Wagner, sei es der NS-Regierung bis 1939 nicht gelungen, die nicht-ökonomischen Komponenten des Lebensstandards (Bildung, Gesundheit) zu verbessern. Beim materiellen Lebensstandard könne bestenfalls von "Stagnation" gesprochen werden. Die Beseitigung der Arbeitslosigkeit sei also das einzige Aktivum der Wohlfahrtserhöhung geblieben. Da es aber als Verbesserung der Lebensqualität unmittelbar wahrgenommen worden sei, habe es die überwiegend positive Einschätzung der Wohlfahrtsentwicklung seit 1933 dominiert. Was nur beweise, daß die subjektive Einschätzung von Zeitgenossen zur "Beurteilung von Politikmaßnahmen nur bedingt tauglich ist".

 

Über Ursprünge der Wissensgesellschaft

BERLIN. Daß "wir" ein soziales Miteinander pflegen, das uns vor früheren Generationen als "Wissensgesellschaft" auszeichnet, so behauptet Marian Füssel (Münster) in einem Forschungsüberblick zur "Kultur des Wissens in der Frühen Neuzeit" (Zeitschrift für Historische Forschung, 2/07), sei eher ein eitles Ideologem. Denn die zentrale soziale und kulturelle Funktion des Wissens könne man in allen Gesellschaften nachweisen. Trotzdem billigt Füssel der jüngsten historiographischen Hochkonjunktur in Sachen "Wissensgesellschaft" zu, gerade in der Konzentration auf den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit den Horizont geweitet und für das "Fremde in der eigenen Kultur" sensibler gemacht zu haben. Der Beschäftigung mit den "frühneuzeitlichen Wissenskulturen", die sich nur partiell als "Vorgeschichte" unserer "Wissensgesellschaft" verstehen lassen, komme insoweit aufklärerische Qualität zu. Nach Füssels Analyse der üppig wuchernden Forschung scheint hier aber noch vieles in den Anfängen zu stecken. Nicht zuletzt deshalb, weil die Anregungen der französischen Wissenssoziologie eines Foucault und Bourdieu in deutschen Diskursen noch nicht hinreichend rezipiert würden.

 

Erste Sätze

"Im September 1828 verließ der größte Mathematiker des Landes zum erstenmal seit Jahren seine Heimatstadt, um am Deutschen Naturforscherkongreß in Berlin teilzunehmen."

Daniel Kehlmann: Die Vermessung der Welt, Reinbek 2005


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