© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/07 26. Oktober 2007

WIRTSCHAFT
Verlust an Glaubwürdigkeit
Jens Jessen

Nach 1945 hat die Soziale Marktwirtschaft (West) im Wettbewerb mit dem sozialistischen Wirtschaftssystem (Mitteldeutschland) den blanken Kapitalismus im Zaum gehalten, die Armut nahezu aller Schichten der Bevölkerung beseitigt und Wohlstand gebracht. Der Zusammenbruch des Ostblocks machte den Wettbewerb um die Menschen ebenso überflüssig wie die Soziale Marktwirtschaft. Die realen Nettolöhne sind in den letzten fünfzehn Jahren (1991 bis 2006) nicht mehr gestiegen. Zwei Ursachen lassen sich dafür ausmachen: Die Lohnsteuerbelastung hat zugenommen (von 16,3 Prozent auf 18,0 Prozent). Die Beitragsbelastung für die Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung ist von 14,3 auf 17,4 Prozent gestiegen. Der verbleibende Rest der Lohnerhöhungen hat sich durch die Inflation in Luft aufgelöst.

Die Belastung der Gewinn- und Vermögenseinkommen mit direkten Steuern und Sozialbeiträgen verringerte sich dagegen von 11,2 Prozent auf 8,9 Prozent. Der Anteil der tatsächlichen Nettolohnquote am Volkseinkommen - die das Kaufkraftpotential der Arbeitseinkommen abbildet - ist von 42,0 Prozent auf 38,1 Prozent gesunken. Die Gewinn- und Vermögenseinkommen haben mit einer Steigerung der tatsächlichen Nettogewinnquote um 5,9 Prozentpunkte (von 29,8 auf 35,7 Prozent) deutlich zugelegt. Die soziale Schieflage verschärft sich bedrohlich. Die OECD errechnete eine Verstärkung der Spreizung im unteren Einkommensbereich. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) stellt in einer Studie fest, daß der Stagnation der mittleren Einkommen eine Steigerung der Spitzeneinkünfte um 53 Prozent gegenübersteht. Die Wirtschaftsordnung in Deutschland verliert so mehr und mehr an Glaubwürdigkeit.


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