© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/07 26. Oktober 2007

Pankraz,
U. Eco und der Sieg über die Häßlichkeit

Hübsch häßlich habt ihr's hier." Das sarkastische Kompliment von Pater Brown für gewisse aufgedonnerte Interieurs, einst durch die Pater-Brown-Filme mit Heinz Rühmann zu Ruhm gelangt, hat seitdem viel von seiner Wirkung verloren. Heute gilt das Häßliche in manchen Quartieren schon als das "eigentlich Schöne", zumindest als das "genuin Künstlerische".

Umberto Ecos "Geschichte der Häßlichkeit", deren deutsche Übersetzung soeben auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt wurde (Hanser Verlag, München, 39,90 Euro), ist ein sogenannter "Prachtband" in Überformat mit aufwendigen Fotografien, wie man ihn früher nur dezidiert "schönen" Phänomenen gewidmet hätte. Häßlichkeit ist "in", gerade bei intellektuellen Eierköpfen. Man sagt, sie sei eine willkommene Unterbrechung des "langweiligen" Alltags, ein "Gegenwurf" gegen die Welt der Spießer, letztlich viel "vornehmer" als die Schönheit.

Ihren Ursprung hat diese verquere Attitüde in der Jenaer Frühromantik um 1800, wo Friedrich Schlegel in seiner Zeitschrift Athenäum folgendermaßen argumentierte: Die Kunst ermöglicht, im Gegensatz zu Philosophie und Wissenschaft, die "absolute Anschauung", die "ganze" Wahrheit, und deshalb kann ihr Feld nicht nur die Schönheit sein, denn das Absolute schließt eben auch das Gegenteil ein, das Böse also, das Häßliche, das Unvollkommene, das Fratzenhafte, das Lächerliche, das Ekelhafte.

Muß die Kunst nicht, fragt Schlegel, bevorzugt diesen Negativkategorien huldigen, da der Lobpreis des Schönen und Guten doch sowieso im normalen Gesellschafts- und Geistesdialog dominiert? Ist die Kunst nicht in erster Linie "das Andere" des normalen Sozial- und Geistesprozesses, da sie doch "das Reich des Unendlichen über der Brandstätte der Endlichkeit manifestiert"? Muß die Kunst nicht die Sehnsucht der Menschen nach unendlicher Andersheit bedienen?

Solche Fragen zu stellen, hieß, sie in eindeutiger Weise zu beantworten. So treten bei Schlegel und in der Ästhetik der Romantiker an die Stelle der Schönheit unversehens ganz andere Prioritäten, vor allem die Interessantheit, die uns vor der Lähmung durch Langeweile schützt. August Wilhelm Schlegel entwarf im Athenäum eine komplette Dialektik von Interessantheit und Langeweile. Schönheit sei langweilig, das immer Gleiche und Mittlere und Harmonische, die "edle Einfalt". Die Langeweile der Schönheit lasse die schöpferischen Ener-gien des Menschen auslaufen, die Interessantheit aber sammle sie wieder ein.

Der Stoß richtete sich ungeniert gegen den Kanon der Klassiker, nicht zuletzt gegen Ziehvater Goethe in Weimar. Der hielt sich mit Erwiderungen zurück, doch die "Aufklärer alter Schule" in Berlin, die Nicolai, Kotzebue, Merkel, überschütteten die Jenaer nun mit purem Hohn, zumal Friedrich Schlegel zu der Zeit gerade seinen Roman "Lucinde" herausgebracht hatte, wo er seine Theorie gewissermaßen am lebenden Objekt ausprobierte, was ziemlich schief ging. "Ein Nichtskönner schafft sich für sein Nichtskönnen extra eine Theorie", lästerte Garlieb Merkel.

Pankraz ist weit davon entfernt, sich in diese längst vergangenen Polemiken einzumischen, muß aber doch einräumen: Mit seiner Behauptung, daß die Apologeten des Häßlichen nicht fähig seien, gute Literatur zu schaffen, traf Merkel einen empfindlichen Punkt. Und es stimmt auch: Die Romantiker machten sich über die Hervorbringungen der Klassiker lustig, obwohl sie selbst nicht das geringste ästhetische Kriterium dafür hatten, außer die Ästhetik selbst, die angeblich eher häßlich denn schön war.

Vor lauter Begeisterung merkte man gar nicht, daß man sich den Boden unter den eigenen Füßen wegzog. Wenn die Kunst "alles" war, auch und vor allem das Ungelungene, der Schrott und die Popligkeit, so gab es ja nicht die geringste Differenz mehr zu ebendiesem Ungelungenem, diesem Schrott, dieser Popligkeit. Man bildete sich ein, Platzhalter von Exzellenz zu sein, und öffnete doch nur dem billigsten Massengeschmack die Tore, läutete - völlig unfreiwillig - das Zeitalter der "Popkultur" mit ihren miesesten Erscheinungsformen ein.

Interessant an dem Vorgang war nur der momentane Reiz der Neuartigkeit, der Schock der Provokation, welcher aber schnell verging - um genau jene Langeweile übrigzulassen, der man  hatte entgehen wollen. Die Normalform des Häßlichen, so kam heraus, ist keineswegs aufregend und packend und erkenntnisfördernd, sondern niederschmetternd und deprimierend und in die Ignoranz treibend, mit einem Wort: langweilig, zum Gähnen langweilig.

Häßlichkeit vermag, im Gegensatz zur Schönheit, immer nur momentweise zu faszinieren, und der Effekt verbraucht sich schnell und hinterläßt Verdrießlichkeit. Es wird Zeit, daß sich diese Einsicht allmählich herumspricht. Bei Umberto Eco ist sie noch nicht angekommen, sein Band dokumentiert nicht die "normale" Häßlichkeit etwa von Häuserzeilen in Großplattenbauweise, von grölenden Besoffenen oder vor sich hinschwelenden Misthaufen, sondern die gewissermaßen "vornehme" Häßlichkeit: schrecklich verschrobene Visagen, obszöne Begegnungen, gefolterte Märtyrer, Hexentänze, Satansszenen.

Kaum Fotografien von realen Häßlichkeiten werden gezeigt, sondern Fotografien von (teilweise großartigen, weltberühmten) Gemälden. Der Betrachter erbaut sich nicht an den abgebildeten Objekten, sondern an der Meisterschaft, mit der sie der jeweilige Künstler ins Bild gesetzt und in Kunst verwandelt hat. Zu sehen ist nichts anderes als der Sieg der Schönheit über die Häßlichkeit, denn auch diese Art von  Kunst ist Schönheit, nämlich Könnerschaft in Vollendung, ein Durchsichtigmachen der Idee, die über den schnöden Gegenstand triumphiert.

Nur so, im Zustand ihrer Überwindung, ist Häßlichkeit auf Dauer überhaupt auszuhalten. Trotzdem wird sich Pankraz den Band nicht in seine Bibliothek stellen, er wird ihn verschenken, und zwar an ein entschieden älteres Semester.


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