© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/07 26. Oktober 2007

Oft hart am Zeitgeist gesegelt
Fünfzig Jahre Militärgeschichtliches Forschungsamt (MGFA) / Eine bundesdeutsche Institution zwischen Forschung und Volkspädagogik
Leonhard Kramer

Runde Jubiläen bedingen gewöhnlich größere Feierlichkeiten, und so hätte man annehmen können, daß das fünfzigjährige Bestehen des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes (MGFA) vergangenen Monat Anlaß genug gewesen wäre, der Einrichtung eine angemessene Würdigung zukommen zu lassen und Bilanz der geleisteten Arbeit zu ziehen. Doch bis auf einen Artikel von Rainer Blasius in der FAZ und ein Interview mit dem derzeitigen Amtschef des MGFA, Oberst Hans Ehlers, in der Welt fanden sich kaum Hinweise auf den Geburtstag der gewichtigen Forschungseinrichtung. Selbst die von Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) gehaltene Festrede fand in den Medien nahezu keine Beachtung. Dabei bieten die Arbeiten des im Januar 1957 als Militärgeschichtliche Forschungsstelle geschaffenen und ein Jahr später umbenannten MGFA Grund genug für eine durchaus auch kritische Auseinandersetzung.

Oblag die Leitung der ab Oktober 1958 in Freiburg ansässigen Forschungseinrichtung zu Beginn noch alleine dem ersten Amtschef Oberst Hans Meier-Welcker, der im Weltkrieg zuletzt als Generalstabschef eines Armeekorps gedient hatte, bekam das MGFA 1968 mit der Einsetzung eines Leitenden Historikers quasi eine Doppelspitze. Vor allem letztere waren es, die den Ruf und die Ausrichtung des MGFA nachhaltig prägten.

Verfügte das MGFA mit Andreas Hillgruber als erstem Leitenden Historiker über einen renommierten, durchaus konservativen Historiker im klassischen Sinne, dessen Lebenswerk erst im Zuge des Historikerstreits auf unrühmliche Weise beschädigt wurde, übernahm mit Manfred Messerschmidt 1970 eine völlig konträre Persönlichkeit die historische Leitung. Der promovierte Historiker und studierte Jurist, dem mediale Aufmerksamkeit zuweilen wichtiger scheint als die historische Wahrheit, bestimmte als Kopf der sogenannten "Roten Zelle" über fast zwanzig Jahre die Richtung des MGFA. Unter seiner Ägide trat die eigentliche Aufgabe des MGFA, die Militärgeschichtsschreibung, zugunsten einer im Gewande der Sozialgeschichte daherkommenden moralisierenden Vergangenheitsbewältigung zurück. Messerschmidts fragwürdige Rolle in der Diffamierungskampagne gegen den damaligen österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim sowie auch das spätere Engagement des Pensionärs Messerschmidt für umstrittene Ausstellungen wie "Größte Härte ..." (JF 36/07) oder "Was damals recht war" (JF 27/07) sind nur einige Beispiele, die ihm den Ruf einbrachten, die Wahrheit mitunter zu einer relativen Größe herabzustufen.

Die einseitig auf die deutsche Schuld fokussierte Darstellung der jüngeren Vergangenheit änderte sich zwar unter der Verantwortung von Messerschmidts Nachfolgern Wilhelm Deist (1989-94) und Hans-Erich Volkmann (1994-2003), dennoch war das MGFA auch in dieser Zeit immer wieder an umstrittenen Projekten beteiligt, zum Teil in maßgeblicher Weise. So wurde die wissenschaftlich völlig ungenügend konzipierte Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" des Hamburger Instituts für Sozialforschung zwar unter der Regie des MGFA überarbeitet. Dennoch führte dies keineswegs dazu, daß die durch Volkmann eröffnete neue Ausstellung frei von Fehlern oder merkbar minder tendenziell war.

In der Amtszeit Volkmanns, der nicht mehr als weitgehend unabhängiger Leitender Historiker, sondern als Leiter der Abteilung Forschung wesentlich stärker in die Hierarchie des MGFA eingebunden war, vollzog sich auch der Umzug des Foschungsamtes. Während das MGFA jedoch seinen Sitz von Freiburg nach Potsdam in die Räumlichkeiten des ehemaligen Militärhistorischen Instituts der DDR verlegte, blieb das zum Bundesarchiv gehörende Militärarchiv - und mit diesen Quellen das wichtigste Handwerkzeug der Militärhistoriker - in Freiburg. Dieser Zustand sorgt bis heute bei etlichen Mitarbeitern des MGFA für größeren Unmut.

Neben der überarbeiteten Wehrmachtaustellung bietet eine weitere Arbeit des MGFA reichlich Anlaß zur Kritik: das Gutachten über die Jagdfliegerlegende Werner Mölders. Im April 1998 hatten SPD, Grüne und PDS die damalige Regierungskoalition aus CDU und FDP vorgeführt, indem sie per Mehrheit beschlossen, daß "Kasernenbenennungen nach Mitgliedern der Legion Condor", der auch Mölders angehört hatte, aufzuheben seien.

Da auch eine Kaserne und ein Jagdgeschwader der Bundeswehr nach Mölders benannt waren, dieser aber nicht an der problematisierten Bombardierung der umkämpften baskischen Stadt Guernica beteiligt gewesen war, wurde das MGFA mit der Erstellung eines Gutachtens über den 1941 abgestürzten Jagflieger beauftragt. Das 2004 fertig gestellte und völlig einseitige Dossier kam zu dem Schluß, Mölders diene "als Muster eines NS-konformen Soldaten". "Sein dienstlicher Werdegang wie auch sein Lebenslauf haben sich für die Instrumentalisierung durch die damaligen Machthaber offensichtlich geradezu angeboten. Mehr noch hat sich M. auf diese Inszenierung auch eingelassen."

Daß Mölders aufgrund seiner religiösen Überzeugung sich auch schützend vor den NS-kritischen Münsteraner Bischof Galen stellte und sich für jüdische Freunde einsetzte, wurde in dem Gutachten mit dem lapidaren Hinweis abgetan, seine Person weise "ambivalente Züge" auf. So seien christlich-katholische Bindungen "zweifellos nachweisbar", aus sich heraus "bewirkten diese Bindungen allerdings noch keine substantielle Distanz zum NS-Regime". Damit hatte das MGFA nicht nur dem Ansehen Mölders, sondern darüber hinaus dem gesamten Traditionsempfinden der heutigen deutschen Streitkräfte einen schwerwiegenden Schaden zugefügt.

Bei aller Kritik darf aber nicht verkannt werden, daß vom MGFA auch maßgebende historiographische Leistungen und bisweilen wegweisende Darstellungen ausgingen. So zum Beispiel die 1979 begonnene Reihe "Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg", deren zehnter und letzter Band fast abgeschlossen und die Publizierung für 2008 geplant ist. Zwar konnte man beim Erscheinen der letzten Bände dieses Projektes kritisieren, daß selbst in kriegsgeschichtlichen Darstellungen die sozialhistorische Komponente zu starken Einfluß gewonnen habe. Mittlerweile scheint man sich jedoch beim MGFA zumindest teilweise wieder auf die eigentliche Aufgabe konzentriert zu haben. So wurde in dem dieses Jahr erschienenen siebten Band "Die Ostfront 1943/44" wieder deutlich mehr Wert auf operationsgeschichtliche Kapitel und detaillierte Schlachtenbeschreibungen gelegt.

Was die Reihe, die erheblich zur Etablierung der Militärgeschichtsschreibung in der Bundesrepublik beitrug, aber vor allem auszeichnet, sind die zahlreichen renommierten Autoren, die mit teilweise unterschiedlichen Deutungen dafür sorgten, daß in dem Sammelwerk ein ungewöhnlich breites Meinungsspektrum vorhanden ist. So erschien 1983 im vierten Band beispielsweise der Beitrag "Die Sowjetunion bis zum Vorabend des deutschen Angriffs" des Historikers Joachim Hoffmann, in dem unter anderem angeführt wurde, daß auch Stalin 1941 Angriffspläne gehegt hatte. 1991 konkretisierte Hoffmann dies nochmals mit dem Aufsatz "Die Angriffsvorbereitungen der Sowjetunion 1941" in Bernd Wegners Buch "Zwei Wege nach Moskau", welches im Auftrag des MGFA erschien. Als Hoffmann jedoch seine These vom Präventivschlag Hitlers 1995 unter dem Titel "Stalins Vernichtungskrieg 1941-45" außerhalb des MGFA veröffentlichte, war seine Karriere als Militärhistoriker beendet. Zu stark waren die Anfeindungen gegen ihn und die von ihm vertretenen Auffassungen. Bezeichnend war dabei allerdings, daß einige seiner schärfsten Kritiker selbst aus den Reihen des MGFA kamen.

Neben der Reihe "Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg" stellen die 1984 erstmals eröffnete und nach mehrfacher Ergänzung 2000 vollständig überarbeitete Wanderausstellung "Aufstand des Gewissens" sowie der gleichnamige Begleitband eine weitere herausragende Leistung des MGFA dar, die Maßstäbe in der Aufarbeitung der Geschichte des militärischen Widerstandes setzte. Zudem unterstützen die Potsdamer Militärhistoriker die Bundeswehr durch die Reihe "Wegweiser zur Geschichte", in der in anschaulicher Weise historische und ethnologische Porträts über die jeweiligen Einsatzgebiete wie den Kosovo oder Afghanistan vermittelt werden.

Somit leistet das MGFA mit der historischen Bildung der Truppe und der militärhistorischen Grundlagenforschung zwei wichtige Aufgaben. Schwieriger tut man sich allerdings mit der ebenfalls in den Verantwortungsbereich fallenden Traditionspflege der Bundeswehr. Ein Grund dafür dürfte aber auch sein, daß die zur Verfügung stehenden Traditionen kaum älter sind als das MGFA selbst.

Foto: Pickelhaube, Operationsgrafik "Fall Barbarossa": Tradition als Ballast begriffen


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