© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/07 02. November 2007

"Der Dorsch ist der Brotfisch der Ostsee"
Fischereipolitik: Niedrigere Fangquoten sollen Bestände sichern / EU gegen polnische Piratenkutter machtlos
Michael Howanietz

Vorige Woche haben sich die EU-Staaten in Luxemburg auf neue Höchstmengen für den Fischfang verständigt. Ab 2008 sollen die Dorsch-Quoten in der westlichen Ostsee um 28 Prozent auf 19.000 Tonnen und in der östlichen Ostsee um fünf Prozent auf 39.000 Tonnen sinken. Der Deutsche Fischerei-Verband (DFV) kritisierte den Beschluß. "Der Dorsch ist der Brotfisch der Ostsee", erklärte der DFV-Generalsekretär Peter Breckling. Die Quotensenkung bedeute für die Fischer das Gleiche, als wenn ein Arbeitgeber das Gehalt kürze. Der Verband der Deutschen Kutter- und Küstenfischer kritisierte, daß sich Brüssel speziell gegenüber polnischen Fischern zu milde verhalte. Denn diese bedrohten durch illegale Fischerei den Bestand des Dorsches (JF 41/07).

Und in der Tat sind die deutschen Fischer die Leidtragenden der polnischen Raubfischerei. Die EU, die Millionen-Subventionen an die polnische Fischereiwirtschaft ausschüttet, hatte Warschau bereits im Juni weitere Dorschfänge untersagt, weil die Fangmenge für 2007 bereits zu diesem Zeitpunkt überschritten worden war. Die Nichtbestrafung der Schwarzfischer durch die polnischen Behörden erregt vor allem deutsche Stellen. Von offenem Rechtsbruch ist die Rede, doch in der Praxis ist es Sache der EU-Mitgliedsländer, illegale Fischerei einzudämmen.

Dabei liegen die Brüsseler Vorgaben sogar unter dem, was Wissenschaftler empfehlen. Eine veritable Unsinnigkeit des EU-Regelwerks potenziert die Problematik. So darf kein Dorsch auf den Markt kommen, der weniger als 38 Zentimeter mißt. Das bedeutet, daß 30 Prozent der Fänge umgehend wieder über Bord geworfen werden, anstatt sie - ohnedies bereits getötet - wenigstens zur Fischmehlproduktion heranzuziehen. Ein weiteres EU-Kuriosum: Die polnischen Schwarzfänge werden bei der Berechnung neuer Fangquoten miteinbezogen, was eine Verringerung der Quote für alle zur Folge hat.

Zudem werde der Preis gedrückt, sobald die illegalen Fänge auf den Markt kämen, wie die Geschäftsführerin der Fischereigenossenschaft Heiligenhafen moniert. Die in diesem Jahr gegründete EU-Fischereiaufsichtsagentur mit ihren lediglich 49 Mitarbeitern kann den umfassenden Kontrollaufgaben nicht ansatzweise nachkommen. Zudem haben die EU-Minister sogar einer Schwächung der Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen in der Ostsee zugestimmt. Als Raubfisch dezimiert der Dorsch (Gadus morhua) unter anderem jene Freßfeinde, die alsbald seinem eigenen Nachwuchs nachstellen, etwa Sprotten. Weniger Dorsche führen zu einer Populationszunahme der Sprotten, deren größere Zahl in der Folge über immer weniger Dorscheier und -larven herfällt.

Der Jäger wird zum Gejagten, der Zusammenbruch der Bestände, wie am drohenden Kabeljau-Beispiel Neufundlands (JF 29/07) nachzuvollziehen, bleibt sodann nur noch eine Frage der Zeit. Dabei geht es zunächst nicht um das völlige Aussterben des Dorsches, sondern um seine kommerzielle Ausrottung, um das Ende seiner wirtschaftlichen Nutzbarkeit und damit das Ende der traditionellen Ostseefischerei.

Die EU-Kommission selbst räumt in ihren Fischereiberichten gravierende Mängel des eigenen Inspektionssystems ein. Die effektive Kontrolle der festgesetzten Fangquoten ist demnach nicht möglich. Die Rostocker Fischereiaufsicht etwa berichtet von "ein- oder zweimaligem jährlichem Vorbeikommen" der Inspektoren. Da die Fangquoten zu hoch angesetzt und nicht überwacht werden können, bleibt nur ein gangbarer Weg: ein einfacher zu kontrollierender, kompletter Fangstop für mehrere Jahre mit adäquaten Ausgleichszahlungen für die Fischer - das fordern Meeresbiologen.

Ergänzend hierzu könnte ein von der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns initiiertes Modell der Aquakultur zur Anwendung kommen. In einem großen "Feldversuch" soll das Projekt CoBalt des Instituts für Ostseefischerei Ausbrüten und Freisetzung von vier bis fünf Millionen Jungdorschen ermöglichen (ein durchschnittlicher Dorschjahrgang in der Ostsee beträgt zwischen 100 und 120 Millionen Individuen).

Durch geschlossene Wasserkreisläufe und die frühzeitige Freisetzung der Fische (Vermeidung des in Aquakulturen sonst üblichen Mästens bis zur "Schlachtreife") sind Umweltschäden durch Kot, Antibiotika und benötigte Futtermengen (Fischmehl) zu vermeiden. Das Projekt sollte vom Europäischen Fischerei-Fonds mit 36 Millionen Euro bezuschußt werden - ein Betrag, der beispielsweise von den polnischen Schwarzfischern oder ihrer Regierung erhoben werden könnte.


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