© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/07 02. November 2007

Französische Zustände
Blick hinter die Fassade
Heinz Fröhlich

Alexander von Sobeck, der als TV-Journalist in Paris arbeitet, folgt Heinrich Heine und erörtert kurzweilig  "französische Zustände".

Jenseits des Rheins, wo europäische Illusionen zerbrachen, weil Paris gegen die Verfassung der EU optierte, blüht nationales Selbstbewußtsein. Keine Popularität genießt die Brüsseler Kommission. Viele Franzosen beklagen, "daß ein bürokratischer Wasserkopf das Schicksal der Bürger" lenkt. Sie favorisieren "eine Zusammenarbeit unabhängiger Staaten". Kaum jemand will den türkischen Halbmond in der EU sehen. Energisch definiert Frankreich seine Interessen und betont die "glorreiche" Vergangenheit. Selten wurden eigene Kolonialverbrechen thematisiert; der Begriff "Algerienkrieg" blieb lange verpönt. Deshalb ignorierte man lange Zeit, welche Probleme die Zuwanderung aus ehemaligen französischen Kolonien hervorruft.

 Der Kritik an "Europa" entspricht es, innere bürokratische Gängelung zu bekämpfen. Leichtfüßig improvisieren die Erben der Gallier, kaufen "auf Pump", genießen eine 35-Stunden-Woche oder feiern krank. Andererseits sind Dienstleistungen oft miserabel; zahlreiche Krankenhäuser bröckeln. Die politische Klasse, Frucht elitärer Hochschulen, ist kastenartig separiert, der Realität entfremdet, und  halbfeudale "Klientelsysteme" vernetzen einen bürgerlichen Neuadel.  Auch das Regierungssystem der Fünften Republik ähnelt absolutistischen Zeiten. Der mächtige Präsident thront über weitgehend instabilen Parteien. Wie einem Monarchen assistieren ihm "Handlanger" genannte Premierminister.

Der Multikulturalismus scheiterte völlig. Einwanderer maghrebinischer Herkunft leben isoliert. In Pariser Vorstädten toben Bürgerkriege, die koloniale Kämpfe fortsetzen, deren Brutalität unseren Nachbarn tief erschüttert. Sarkozy, vormals Innenminister, mißglückte es, das Debakel zu bewältigen. Zwar vergreist auch Frankreich, aber seit kurzem erzielt die Geburtenrate, staatlich massiv gefördert, europäische Spitzenwerte. Ab dem dritten Kind zahlen Familien keine Steuern mehr. Können wir davon lernen?

Alexander von Sobeck: Ist Frankreich noch zu retten? Hinter den Kulissen der Grande Nation. Propyläen Verlag, Berlin 2007, gebunden, 368 Seiten, 19,95 Euro.


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