© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/07 02. November 2007

"Niemals mit der Zerreißung Deutschlands abfinden"
Vor sechzig Jahren fand mit dem Altenberger Gespräch der Versuch ein Ende, eine gesamtdeutsche Jugendbewegung ins Leben zu rufen
Manfred Müller

Im November 1947 kam es in Altenberg zu einem gesamtdeutschen Gespräch deutscher Jugendverbände

Am 4. August 1947 berieten der Vorsitzende der sowjetischen Staatsjugend Nikolai Michailow und die FDJ-Funktionäre Erich Honecker und Edith Baumann in Moskau, wie die Freie Deutsche Jugend in den Westzonen Rumpfdeutschlands auszubauen sei. In Westdeutschland zählte die FDJ damals etwa 50.000 Mitglieder. Die damalige FDJ war für Michailow vor allem in den Westzonen noch zu unpolitisch, weil sie sich "hauptsächlich mit dem Organisieren von Amüsements" beschäftige. Der Komsomol-Vorsitzende spielte damit auf das von der FDJ proklamierte "frohe Jugendleben" an. Michailow: "Aus prinzipiellen Erwägungen sollte man überlegen, ob es nicht zweckmäßig wäre, die politische Tätigkeit der Organisation zu verstärken. Diese Tätigkeit muß dahin gehen, der deutschen Jugend zu zeigen, welches der bessere Weg ist, um ein einheitliches demokratisches Deutschland zu erzielen. (....) Was bisher getan wurde, muß mindestens um das dreißigfache erhöht werden. (...) Außerdem muß Ihr Verband dreist und politisch genügend scharf sein. Ihr Verband darf keine einzige Maßnahme der imperialistischen Welt, sei sie amerikanischer oder englischer Herkunft, zur Spaltung Deutschlands ungerügt lassen. Ihre Aufgabe ist es, der Jugend klarzumachen, daß wir die Befreiung gebracht haben."

Eine Möglichkeit, die politische Arbeit der FDJ auszubauen, sah Honecker darin, eine Überlegung, die damals in Jugendkreisen aufkam, aufzugreifen und als FDJ-Initiative auszugeben: Gründung eines gesamtdeutschen Jugendrings. Nachdem die britische Militärregierung eine gesamtdeutsche Jugendführer-Konferenz im Jugendhof Vlotho nicht genehmigt hatte, war sie mit einem informellen Treffen im Herbst 1947 am Sitz des Bundes der deutschen katholischen Jugend (BDKJ) in Haus Altenberg (Bergisches Land) einverstanden.

Der im Frühjahr 1947 gegründete BDKJ war auch deshalb an Gesprächen mit der FDJ interessiert, weil er dadurch neue Möglichkeiten für katholische Jugendarbeit in der Sowjetzone schaffen wollte, wo die FDJ einen Monopolanspruch besaß, da die sowjetische Militäradministration nur diesen einen, angeblich überparteilichen, demokratisch-antifaschistischen Jugendverband duldete. Das Altenberger Gespräch fand vom 3. bis zum 5. November 1947 statt. Die FDJ-Delegation bestand aus Erich Honecker, Edith Baumann (von 1947 bis 1954 mit Honecker verheiratet) und den westdeutschen FDJ-Funktionären Helmut Heins und Herbert Koch - bis auf Koch alle Mitte dreißig. Sie trafen dort auf den BDKJ-Bundesführer Josef Rommerskirchen, auf Heinz Westphal und Erich Linstedt von der Sozialistischen Jugend "Die Falken" sowie auf Vertreter der Evangelischen Jugend, der Sportjugend und der Bündischen Jugend.

Honecker hatte sich gut vorbereitet. Dokumente, die er in Altenberg als Gesprächsgrundlage einbringen wollte, hatte er sich von der SED-Jugendkommission bestätigen lassen. In Altenberg traf Honecker bei seinen Gesprächspartnern auf große Skepsis, insbesondere bei Rommerskirchen und den beiden "Falken"-Führern. Dies hing auch mit der Verhaftung von Manfred Klein durch sowjetische Militärorgane zusammen, zumal dessen Verbleib damals unbekannt war (geheime Verurteilung zu zwanzig Jahren Freiheitsentzug). Klein war 1946 von Honecker aus bündnispolitischen Erwägungen als Katholik und CDU-Mitglied ins Sekretariat des FDJ-Zentralrats geholt worden. Wegen des Verschwindens dieser Vorzeigefigur zur Rede gestellt, versuchte Honecker vergeblich, Kleins Arrestierung zu rechtfertigen. Auch das Beharren der FDJ auf ihrem organisatorischen Alleinanspruch in der Zone machte die westdeutschen Gesprächspartner mißtrauisch. So kam der von Honecker vorgeschlagene gesamtdeutsche Jugendring (mit den von Honecker insgeheim erhofften Instrumentalisierungsmöglichkeiten) nicht durch.

Honecker legte auch den Entwurf einer gemeinsamen Erklärung der deutschen Jugendverbände vor, die sich an die Londoner Außenministerkonferenz richten sollte. Darin hieß es: "Eine Teilung Deutschlands widerspricht den Lebensinteressen des deutschen Volkes und seiner Jugend. (...) Die junge Generation kann sich deshalb niemals mit einer Zerreißung Deutschlands abfinden." Auch diese Erklärung kam nicht zustande - vor allem deshalb, weil die "Falken" die britische Militärregierung nicht verärgern wollten, die auf dem informellen Charakter der Tagung bestanden hatte. Immerhin gab es am Ende ein knappes Kommuniqué. Es bekundete den "Wunsch der deutschen Jugend zur Schaffung eines einheitlichen und unabhängigen Deutschlands" mit der "grundlegenden Bereitschaft zur Zusammenarbeit".

Bei der Altenberger Konferenz waren die entscheidenden Gegenspieler Honecker und Rommerskirchen. Honecker war ein Apparatschik, der geprägt war von seinen Erfahrungen aus Untergrundtätigkeit, Exil und Zuchthausjahren. Im Auftreten wirkte er oft hölzern, aber insgesamt nicht abstoßend. In Ausstrahlung, Umgangsformen und Verhandlungsgeschick war Rommerskirchen dem kommunistischen Jugendfunktionär, der seine saarländische Heimat schon vor langer Zeit verlassen hatte, überlegen. Rommerskirchen, junger Familienvater vom Niederrhein und bündisch-jungenschaftlich geprägt, war im Krieg Wehrmachtsoffizier gewesen und erst vor wenigen Monaten aus der französischen Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt.

Der von Honecker vorgeschlagene Jugendring kam erst 1949, aber nur in der Bundesrepublik zustande. Erster Vorsitzender wurde Rommerskirchen, der später viele Jahre CDU-Bundestagsabgeordneter war. Als Vorsitzender des Bundesjugendrings löste ihn Westphal 1955 ab, der als Sozialdemokrat dann ähnlich wie Rommerskirchen dem Deutschen Bundestag angehörte. Die Zuspitzung des Kalten Krieges brachte die Zerreißung Deutschlands mit sich und ließ die Vorstellung von einem gesamtdeutschen Jugendring zu einer Schimäre werden.


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