© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/07 09. November 2007

Sumpf erweist sich als Trockengebiet
Sachsen: Ermittler haben keine Hinweise auf ein Netzwerk der Organisierten Kriminalität im Freistaat gefunden
Paul Leonhard

Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo steht erneut schwer unter Druck. Aber er muß durchhalten. So lautet der Kampfauftrag von Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt  (CDU) an seinen Parteifreund. Denn Buttolo hat die anstehende aufgeschobene Kreis- und Verwaltungsreform in Sachsen zu verantworten, derentwegen es an der christdemokratischen Basis brodelt. Da wiegen die schweren Führungsdefizite, die gleich zwei unabhängige Prüfergruppen dem sächsischen Innenministerium auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes und der Polizeiarbeit bescheinigen, weniger schwer. Überdies handelt es sich zum Großteil um Ereignisse, die in den neunziger Jahren spielen. Aber immerhin, Mitte Juni verlor deswegen der Chef des Landesamtes für Verfassungsschutzes, Reiner Stock, seinen Posten.

Es geht um den angeblichen "Sachsen-Sumpf" (JF 24/07), der sich in den vergangenen Wochen mehr und mehr zu einer Affäre des Verfassungsschutzes entwickelt hatte. Denn offenbar gibt es im Freistaat doch keine kriminelle Netzwerke, in die Politik, Polizei und Justiz verstrickt sein sollten. Dabei hatte selbst Innenminister Buttolo die Ängste vor in Sachsen aktiven Mafiastrukturen geschürt, als er bei einer Rede vor dem Landtag von Netzen der Organisierten Kriminalität sprach und warnte: Jeder, der sich an der Aufklärung beteilige, müsse damit rechnen, bedroht zu werden. Die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe zeigte sich bereits damals skeptisch, ob überhaupt ein Anfangsverdacht für die Existenz einer kriminellen Vereinigung in Sachsen besteht, und lehnte es ab, die Ermittlungen zu übernehmen.

Statt auf Fälle von Bestechlichkeit, Rechtsbeugung, Immobilienschiebereien, Strafvereitlung im Amt, Sexual- und Rauschgiftdelikten sowie Körperverletzung - wie seit Mai diesen Jahres in der Öffentlichkeit gemutmaßt wurde - stießen die im Auftrag des Innenministeriums tätigen unabhängigen Prüfer dann auch auf eklatante Führungs- und Verfahrensfehler bei Justiz und Polizei. Die festgestellten Führungsschwächen erstreckten sich bis ins sächsische Innenministerium, sagte Ingmar Weitemeier nach dem Studium von 400 Aktenordnern. Weitemeier, Direktor
des Landeskriminalamtes Mecklenburg-Vorpommern, hat Anfang November als Leiter der Prüfgruppe für die Polizei des Freistaates Sachsen in seinem Abschlußbericht auf erhebliche Mängel in den Ermittlungen der Polizei hingewiesen.Damit bestätigte er im wesentlichen die Anfang Oktober veröffentlichten Ergebnisse einer Expertengruppe um den früheren Richter am Bundesgerichtshof Dietrich Beyer. Dieses hatte die Arbeit des Referats Organisierte Kriminalität  (OK) untersucht und dem Sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz anfangs eine nur ungenügende Kontrolle der Informationsbeschaffung und -auswertung bescheinigt. Die hauptamtlichen Schlapphüte haben Vorschriften umgangen oder komplett mißachtet, und das gesamte Referat hat ein Eigenleben entwickelt, da die Aufsicht durch das Innenministerium fehlte. "Es fehlte in vielen Fällen an nachrichtendienst­lichen Mindestvoraussetzungen", sagte Beyer.

Offenbar gab es sogar Anhaltspunkte, daß Akten bewußt gefälscht worden. Große Teile der Aktiensammlung des Verfassungsschutzes enthalten nach den Erkenntnissen der Prüfer lediglich unbestätigte Verdachtsmomente. Vieles sei unkritisch als wahr bearbeitet worden. Er habe den Eindruck, daß die Ermittler mitunter Dinge unternommen hätten, um einfach noch etwas zu finden, sagte Weitemeier. Daß Personen oder kriminelle Netzwerke geschützt werden sollten, schlossen die Prüfer allerdings aus. Auch deswegen atmete die sächsische CDU sichtlich auf.

Bei dem angeblichen Sachsen-Sumpf handele es sich "lediglich um ein Gespinst einiger ganz weniger in Verfassungsschutz und Polizei, die offenbar unsauber gearbeitet haben", frohlockt Christian Piwarz, Obmann der CDU-Fraktion im Korruptions-Untersuchungsausschuß. Der Opposition, namentlich der Linksfraktion, warf er vor, "mehr und mehr eine verantwortungslose Desinformationskampagne" zu betreiben. Innenminister Buttolo hat inzwischen angekündigt, gegen weitere Mitarbeiter seines Hauses disziplinar- und strafrechtliche Schritte zu prüfen.


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