© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/07 09. November 2007

Eine Generation im Kreuzfeuer
Gesellschaftspolitik: Johano Strasser und Gerd Langguth streiten sich im Bundestag über die Auswirkungen der Achtundsechziger-Bewegung
Victor Gaché

Johano Strasser kann sich noch gut daran erinnern: "Ich war '68 auf einer Versammlung. Da war auch eine Gruppe um einen Mann, der später deutscher Außenminister werden sollte." Als Strasser, damals stellvertretender Juso-Chef und heute PEN-Präsident, eine Distanzierung von der Gewalt forderte, rief ihm die aufgebrachte Menge zu: "Dann geh doch zur Heilsarmee."

Wie war das mit der Gewalt damals?  "Die ganz große Masse hat sich schon 1967/68 ganz klar gegen die Gewalt gestellt", behauptet der Sozialdemokrat Strasser heute. "Die Konservativen dämonisieren nun diese Bewegung." Sie erhalten dabei, so Strasser weiter, Schützenhilfe von den Gewaltsympathisanten von damals, die dadurch ihre eigene Rolle relativieren wollen.

Strassers Meinung ist eindeutig: Vor 1968 war Deutschland "keine gute Demokratie". Das Schicksalsjahr aber "hat dem Land gutgetan". Deutschland solle lieber stolz darauf sein, "wie ungeheuer integrationsfähig" sich die Demokratie erwiesen habe. "Nach den Grünen wird auch die Linkspartei so integriert werden", prognostiziert er. Doch dann teilt Strasser wieder nach allen Seiten aus. Der "Mann, der später deutscher Außenminister werden sollte", gehört genausowenig zu "den Guten" wie anderen Gewalttäter von damals. Und erst recht nicht die "Konservativen", die heute 1968 angeblich "dämonisieren".

Eine Gegenstimme: "Ich war doch auch in gewisser Hinsicht ein Teil von 1968, und das war nicht immer schön, wenn Sie damals in der Minderheit waren", insistiert Gerd Langguth, damals RCDS-Chef. Langguth ist einer von den "Konservativen", war CDU-Bundestagsabgeordneter, dann Direktor der Bundeszentrale für politische Bildung, ist jetzt Professor für politische Wissenschaft an der Universität Bonn. Zumindest seine Arbeitsbiographie entspricht der eines echten Akademikers der Generation von 1968.

Langguth sieht 1968 ambivalent: Es war "kein toller Aufbruch", aber "Frischluft" habe es schon mit sich gebracht. Auch für die CDU. Die auf dem Schreibtisch des Rektors verrichtete Notdurft dagegen hat ihm weniger zugesagt. "Die Freiheit von Lehre und Forschung war damals bedroht."

Langguth und Strasser diskutieren miteinander in einem Anhörungssaal des Deutschen Bundestages über "1968 und die Folgen". So weit ist die Achtundsechziger-Debatte also inzwischen geschwappt. Beliebt ist die Kritik an den Achtundsechzigern indes schon seit Jahren. Hier nur ein Beispiel, ein Auszug aus dem TV-Gesellschaftsdrama "Erste Ehe" aus dem Jahr 2000, in dem es - nur ein bißchen im Scherz - heißt: "Was hast du denn gegen die Achtundsechziger?" "Die Achtundsechziger sind an allem schuld, was heute schlimm ist. Die haben das totalitäre Denken abgeschafft. Und was haben wir heute? Big Brother und die Love Parade!"

Diese Kritik hat auch einfach mit dem Alter der Betroffenen zu tun. Der Philosoph Strasser liefert in seinem Vortrag eine Analyse: Wir erleben auch ein Stück weit eine "ideologisch überhöhte Elitenablösung". Die Achtundsechziger kamen seinerzeit überall schnell in Führungspositionen, wo sie an Universitäten, beim Staatsrundfunk und in Feuilletons zum Teil heute noch sitzen. Die Jungen, die ihnen (endlich) nachfolgen, machen aus der Ablösung auch ein Politikum. Das ist Strassers triftigste Aussage. Ansonsten versucht er vor allem die Deutungshoheit über 1968 zu verteidigen. Nur sie, "die guten Achtundsechziger", dürfen die Revolte interpretieren. Kai Diekmann hat ebensowenig das Recht dazu wie Abtrünnige von heute. Bernd Rabehl zum Beispiel, auf den er immer wieder zu sprechen kommt.

Bis vor ein paar Jahren war der Berliner Politikprofessor und Wegbegleiter von Rudi Dutschke ein gerngesehener Gast der Achtundsechziger-Gemeinde. Doch dann eignete er sich zum Teil rechte Positionen an. Deswegen ist er für Strasser jetzt "ein Linksradikaler, der rechtsradikal geworden ist". Enemenemu - und raus bist du.

Rabehl sieht das natürlich anders, darf aber im Bundestag 2007 genausowenig sprechen wie anno 1968. Er selbst sieht sich wohl als jemand, der sich nicht hat "integrieren" lassen, worunter sich ja auch "kaufen lassen" verstehen ließe. In einem bislang unveröffentlichten Rabehl-Text über die Revolte von 1968 heißt es: "Sie kamen zum großen Teil aus dem Mittelstand und dem Kleinbürgertum." 

"Die Herrschenden reagierten sofort", argumentiert Rabehl: "Ohne Umwege wurden die Universitäten für neue Bewerber geöffnet, Neugründungen durchgesetzt, Gesamthochschulen eingerichtet, dotierte Dozenten- und Professorenstellen geschaffen, so daß die positionslosen Revolteure den 'langen Marsch durch die Institutionen' antreten und sich hineinbewegen konnten in den gut situierten Mittelstand." Professorenstellen für Leute wie Strasser zum Beispiel.

Rabehl, Langguth, Strasser, Fischer - wer ist denn nun der "wahre"
Achtundsechziger? Die Wahrheit ist die: Die Achtundsechziger waren eine vielschichtige Gruppe mit ganz unterschiedlichen Auffassungen. Sie waren gewalttätig und pazifistisch, liberal und antiliberal, feministisch, aber auch chauvinistisch, stalinistisch-maoistisch-trotzkistisch und doch ein wenig freiheitsliebend, kleinbürgerlich und zugleich antibürgerlich. Kurzum - der Spiegel urteilt zutreffend: "Sie waren alles und nichts, und das gleichzeitig."


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