© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/07 09. November 2007

Endlich weg von Serbien
Balkan-Politik: Die unter Uno-Verwaltung stehende Provinz Kosovo will die Unabhängigkeit / Belgrad und Moskau leisten noch Widerstand
Günther Deschner

Die Zeit wird knapp. In vier Wochen, am 10. Dezember, soll der Uno-Bericht darüber erstattet werden, wie eine tragfähige Lösung für die Zukunft der serbischen Provinz Kosovo aussehen könnte. Rund zwei Millionen Albaner leben in dem früher Amselfeld genannten Gebiet, das nur halb so groß wie Hessen ist. Im Norden der Provinz leben auch noch an die zweihunderttausend Serben. Zudem gibt es zahlenmäßig schwer abschätzbar weitere Volksgruppen wie die Zigeuner oder die islamisch-slawischen Goranen.

Die historisch gewachsenen und latent immer existierenden Gegensätze zwischen Serben und Albanern im ehemaligen Jugoslawien traten bereits im Jahr 1981 - kurz nach dem Tod des kommunistischen Staatspräsidenten Josip Broz Tito - offen ans Tageslicht. Schon damals kam es zu bürgerkriegs­ähnlichen Unruhen, die in der Forderung der Kosovo-Albaner nach einer eigenen Republik gipfelten.

1989 hob das serbische Parlament den 1974 eingeführten Status des Kosovo als autonome Provinz wieder auf, die speziellen Minderheitenrechte der Albaner wurden weitgehend eingeschränkt. 1991, als der jugoslawische Vielvölkerstaat zerfiel und sich Slowenen und Kroaten - mit politischer Hilfe aus Deutschland - ihre eigenen Nationalstaaten erzwangen, sprachen sich auch die Kosovaren in einer Volksabstimmung für die Proklamation einer Republik Kosova aus. Den Vorsitzenden der Demokratischen Liga des Kosovo (LDK), Ibrahim Rugova, wählten sie 1992 zu ihrem Präsidenten.

Doch ihr Ziel konnten sie damals nicht erreichen: Belgrad erkannte die Wahl nicht an, und die politische Unterstützung von außen blieb aus. Die bewaffnete Untergrundorganisation "Befreiungsarmee des Kosovo" (UÇK) betrat daraufhin die Bühne. 1998 eskalierten die Zusammenstöße zwischen Albanern und serbischen Soldaten und Paramilitärs. Uno und EU lehnten eine Unabhängigkeit weiter ab. Doch wurden Sanktionen gegen Restjugoslawien beschlossen, und die Nato prüfte ein militärisches Eingreifen. Als es 1999 dazu kam, folgten im Kosovo schwere  serbische Übergriffe und Mordaktionen sowie eine Massenflucht der Albaner. Nach dem Ende des Jugoslawienkrieges im Juni 1999 hatte die Uno die Verwaltung des Kosovo übernommen und Versuche gestartet, einen Konsens zwischen Serben und Albanern über den Status der formell nach wie vor zu Belgrad gehörenden Provinz herzustellen.

2005 stimmte der UN-Sicherheitsrat dem Beginn von offiziellen Verhandlungen über die Zukunft der Provinz zu. Der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan ernannte den finnischen Ex-Präsidenten Martti Ahtisaari zum Verhandlungschef über den künftigen völkerrechtlichen Status des Kosovo.

Ahtisaari und sein Stellvertreter Albert Rohan sondierten zunächst in Belgrad und der Kosovo-Hauptstadt Pristina die Lage und führten mit allen beteiligten Seiten Gespräche. Unter der Führung einer "Troika" aus EU, USA und Rußland sollten Belgrad und Pristina dann direkt verhandeln. Im Februar 2006 begannen die Gespräche in Wien. Für die albanische Seite nahm der kurz vorher zum Premier des Kosovo gewählte ehemalige UÇK-Stabschef Agim Çeku teil.

Im Februar dieses Jahres präsentierte Ahtisaari seinen Vorschlag zum künftigen Status des Kosovo. Unter der Formel "Keine Sieger, keine Verlierer" sah er eine "überwachte Unabhängigkeit" der inzwischen - von einem Serbengebiet im Norden abgesehen - fast nur noch von Albanern bewohnten Provinz vor. Die kosovo-albanische Führung zeigte sich durchaus zufrieden, die Serben jedoch bezeichneten den Plan als "inakzeptabel".

Rußland, ihre historische Schutzmacht, machte mit einem Veto im UN-Sicherheitsrat den Ahtisaari-Plan zur Makulatur: Er entspreche nicht der UN-Resolution 1244 von 1999, die den Nato-Krieg gegen Jugoslawien beendet hatte. Dort sei der Status als Kompromißlösung für beide Seiten festgelegt worden. Demnach solle Kosovo zwar mit "substantieller Autonomie" ausgestattet werden, völkerrechtlich aber ein Teil Serbiens bleiben. Die Verhandlungen in Wien hätten deswegen, so Moskau und Belgrad, lediglich definieren müssen, wie die "substantielle Autonomie" konkret auszugestalten sei.

Serbien hat diese Position seither dezidiert vertreten. Die Kosovo-Albaner hingegen fordern genauso unnachgiebig die völlige Unabhängigkeit. Sie akzeptieren als einzige Einschränkung eine zeitweilige internationale Überwachung. Die Resolution 1244 sei für den endgültigen Status des Kosovo nicht verbindlich. Sie beschreibe nur einen politisch-historischen Prozeß und verbiete weder den Albanern, ihre Unabhängigkeit zu erklären, noch anderen Staaten, diese anzuerkennen: "Serbien hat einen Genozid an uns verübt. Die letzten vier Jahre haben wir uns de facto selbst verwaltet. Und jetzt sollen wir zurück zu Serbien?"

Am Montag dieser Woche begann in Wien die vierte Runde der Gespräche. Neue Varianten - beispielsweise die einer "Hongkong-Lösung" für das Kosovo - kamen ins Spiel, doch die Grundpositionen scheinen unverändert. Dem Rest Europas und der Welt kaum bewußt, spielt das Kosovo wegen der geschichtsträchtigen Schlacht auf dem Amselfeld (1389), durch die die Osmanen Bulgarien, Mazedonien und den Süden von Serbien gewannen, im Selbstverständnis der Serben bis heute eine sinnstiftende Rolle. Das Kosovo gilt ihnen als "Wiege des Serbentums". Zum Jubiläum im Juni 1989 hielt hier der damalige serbische Präsident Slobodan Milošević seine berühmte "großserbische" Amselfeld-Rede. Das erklärt, warum Belgrad unbedingt die offizielle Hoheit über Außen- und Verteidigungspolitik sowie Grenz- und Zollkontrolle behalten will.

Für die national erwachten Kosovo-Albaner und ihren Premier Çeku steht umgekehrt fest, über die Unabhängigkeit des Kosovo müsse "gar nicht mehr diskutiert" werden. Sie entspreche dem Selbstbestimmungsrecht der Völker und werde schon jetzt von der Mehrheit der internationalen Gemeinschaft unterstützt. Dementsprechend bereiteten sich die albanischen Kosovaren schon jetzt auf die Unabhängigkeit vor, "auf die sie nun schon so lange hoffen". Fahne, Hymne und Wappen sind, wie man hört, bereits fertig.

Daß es in der nun laufenden letzten Runde der Verhandlungen doch noch zu einem Kompromiß kommt, ist beinahe ausgeschlossen. Es sieht eher so aus, daß Pristina am Ende im Alleingang die Unabhängigkeit ausrufen wird. Die Kosovaren könnten wohl auf eine breite Welle der Zustimmung hoffen: US-Präsident George W. Bush hatte bereits im Mai angekündigt, die USA würden eine einseitige Unabhängigkeitserklärung diplomatisch anerkennen. Auch Berlin erwägt offenbar, wie aus einer im Oktober im Deutschlandfunk verbreiteten Indiskretion eines Insiders hervorgeht, einen Kosovo-Staat anzuerkennen.

In der EU insgesamt wäre die Zustimmung höchstwahrscheinlich sicher: 25 der 27 Mitgliedsländer wollen angeblich das Kosovo als Staat akzeptieren. Selbst Spanien, das eine Signalwirkung auf Unabhängigkeitsbewegungen im eigenen Land (Basken, Katalanen) befürchtet, scheint sich inzwischen auf eine allgemeine Zustimmungslinie der EU orientiert zu haben. Allerhand Ärger mit Rußland und Serbien wäre damit vorprogrammiert. Die serbische Argumentation, wenn man Serbien (durch die Unabhängigkeit des Kosovo) teilen könne, dann könne man auch das Kosovo teilen - in einen großen albanischen Süden und einen kleinen serbischen Norden -, ist für niemanden eine Drohung.

Eine weitere Bereinigung der ethnischen Landkarte läge in der Logik einer Entschärfung der unglücklichen Grenzziehungen, die den Balkan schon so lange komplizierten. Was dann beispielsweise aus der Republika Srpska innerhalb des Kunststaates Bosnien und Herzegowina wird, bleibt abzuwarten.

Foto: Kosovo-Albaner demonstrieren in Pristina: Am Ende im Alleingang die Unabhängigkeit ausrufen?


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen