© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/07 09. November 2007

Mißbrauch anvertrauter Macht
Wirtschaftskriminalität: Wer Korruption aufdeckt, lebt mitunter auch in Deutschland gefährlich
Klaus Peter Krause

Korruption ist der Mißbrauch anvertrauter Macht zum eigenen Vorteil und zum Nachteil anderer. Anvertraute Macht äußert sich darin, daß jemand ein öffentliches Amt, eine Position in der Privatwirtschaft oder ein politisches Mandat wahrnimmt. Mißbrauch solcher Macht findet sich überall. Ausdruck von Korruption sind Bestechung und Bestechlichkeit, Vorteilsgewährung und Vorteilsannahme.

Nach aktuellen Angaben des Bundes­kriminalamtes ist in Deutschland der Hauptzielbereich der Korruption die öffentliche Verwaltung. Ihr Anteil an den polizeilich festgestellten korruptiven Straftaten belief sich 2006 auf 64 Prozent, obwohl er gegenüber dem Vorjahr etwas zurückgegangen ist. Hier kommt die Korruption häufig bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vor, besonders bei Bauvorhaben und Beschaffungen, aber auch bei behördlichen Genehmigungen und sonstigem Verwaltungshandeln. 29 Prozent der festgestellten Korruptionsfälle spielten sich in der Privatwirtschaft ab (im Vorjahr nur knapp sechs Prozent). Der kleine Rest entfällt auf Polizei, Justiz, Gefängnisse, Zoll und sonstige Behörden.

Allerdings bedeuten diese Zahlen nicht unbedingt, daß in der privaten Wirtschaft weit weniger Korruption vorkommt als bei der öffentlichen Hand, daß diese also gleichsam zwangsläufig besonders korruptionsanfällig ist. Die Privatwirtschaft regelt nämlich ihre Korruptionsfälle gerne intern, ohne die Strafverfolgungsbehörden einzuschalten und die Fälle öffentlich zu machen. Polizeilich festgestellt worden sind 2006 insgesamt 6.895 Korruptionsstraftaten. Das ist gegenüber dem Jahr davor mit 14.689 Fällen ein deutlicher Rückgang. Doch 2005 war eine Ausnahme. In den zehn Jahren von 1997 bis 2006 ist die Zahl der Fälle stets geringer gewesen: zwischen 6.743 und 12.612.

Korruption war kürzlich auch ein Thema auf der 10. Demokratietagung der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer (JF 45/07). Dort erfuhren die Teilnehmer auch, daß "die wirkliche Korruption" ganz anders aussieht. Sie erfuhren es von Albrecht Müller, ehemals Redenschreiber für Karl Schiller, Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt bei Willy Brandt und Helmut Schmidt, von 1987 bis 1994 SPD-Bundestagsabgeordneter, heute Politikberater und Autor. Das Korrup­tionsproblem, sagte er, sei in der Politik viel größer als in der Wirtschaft. Aber über politische Korruption werde kaum berichtet, über wirtschaftliche dagegen in aller Breite.

Wenn zum Beispiel Siemens, sagte Müller, für den Verkauf eines Kraftwerks einen arabischen Prinzen besteche, dann regten sich hierzulande Politik und Medien groß auf. Wenn aber Versicherungswirtschaft und übrige Finanzbranche zusammen mit Wissenschaftlern, Medien und Politikern die gesetzliche Altersrente ruinierten, wenn deren unternehmerische Interessen die Bundesregierung sogar dazu brächten, mit Milliarden Steuergeldern privatwirtschaftliche Produkte wie die Riester-Rente und Rürup-Rente zu subventionieren, dann werde diese politische Korruption als besonders erfolgreich sogar beklatscht.

Müller trug für solche "wirkliche Korruption" viele andere Beispiele vor, darunter die Verschleuderung der einstigen DDR-Banken an die westdeutschen Banken und die Aufteilung der Bundesbahn (sowie der DDR-Reichsbahn) in fünf Aktiengesellschaften. Vor allem das Beratungswesen entpuppt sich für Müller "immer mehr als Einfallstor für die Durchsetzung privater Interessen in der Politik und damit auch für die politische Korruption".

Matthias Korte vom Bundesjustizministerium gab in Speyer einen Überblick darüber, wie sich internationale Übereinkommen gegen Korruption auf die nationale Korruptionsbekämpfung auswirken. Er sprach auch zu Einzelbereichen wie Bestechung von internationalen und ausländischen Amtsträgern, Abgeordnetenbestechung, Bestechung im privaten Sektor, Geldwäsche, mißbräuchliche Einflußnahme, Transparenz der Parteienfinanzierung und Schutz für Hinweisgeber ("Whistleblower").

Der Ökonom Johann Graf Lambsdorff von der Universität Passau, der als Deutschlands prominentester Korruptionsforscher gilt, erläuterte Modelle und gab Anregungen zur Korruptionsbekämpfung. Um gegen Korruption bei der Vergabe von Aufträgen vorzugehen, hält er allgemeine Vertragsstrafen für angebracht. Als Strafmaß schlägt er zwei bis sieben Prozent der Brutto-Abrechnungssumme oder das 50fache der Bestechungssumme vor. Diskus-sionsbedarf bestehe aber bei der Frage, wer die Strafzahlung erhalten solle: der unterlegene Bieter oder wer sonst?

Wie gefährlich es für jemanden ist, einen Korruptionsfall aufzudecken und dies öffentlich zu machen, neudeutsch "Whistleblowing" genannt, führte eindrucksvoll die Wissenschaftsjournalistin Antje Bultmann anhand zahlreicher Beispiele vor. Doch decken "Whistleblower" nicht nur Korruption auf, sondern auch Verschwendung in Verwaltung und Wirtschaft, Verstöße gegen internationale Abkommen, Mißstände aller Art. Sie warnen vor einer Gefahr, verraten eine Wahrheit, schlagen Alarm.

Aber solche Skandalaufdecker leben gefährlich. Sie legen sich an mit Behörden, skrupellosen Unternehmen, Institutionen, Staaten. Sie werden ausgegrenzt, mundtot gemacht, verlieren leicht ihren Arbeitsplatz, werden angeklagt, gekidnappt, eingesperrt, kommen zu Tode, spielen mit ihrem Leben. Sie gelten als Verräter, Nestbeschmutzer, Staatsfeinde. In Wirklichkeit sind sie, so Bultmann, "geistige Dissidenten", mutige Menschen mit selbstlosen Motiven, sie haben Zivilcourage, sind das wache Gewissen einer Gesellschaft, sind heimliche Helden.

Mit zehn Regeln könnten sie wirkungsvoller Alarm schlagen und sich besser schützen. Hilfe finden sie im inzwischen bestehenden Verein "Whistleblower-Netzwerk". Auch Würdigung und Preise durch eine neue Stiftung können sie demnächst erwarten.

Foto: Ex-Bundesarbeitsminister Walter Riester (SPD): Der frühere IG-Metall-Vize und Namensgeber der privaten "Riester-Rente" ist inzwischen Vortragsredner bei zahlreichen Versicherungsunternehmen

Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität 2006 des Bundeskriminalamtes im Internet: www.bka.de/lageberichte/wi/wikri_2006.pdf

Whistleblower-Netzwerk: www.whistleblower-net.de und www.whistleblower-netzwerk.de/blog/


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