© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/07 09. November 2007

Mitwisserschaft war gerade der ausschlaggebende Faktor
20.-Juli-Forschung: An der Hamburger Bundeswehr-Universität wurden anhand aktueller Biographien der Protagonisten neue Sichtweisen diskutiert
Ekkehard Schultz

Obwohl die wissenschaftliche Literatur über die Verschwörer des 20. Juli 1944 bereits weit über 100 Werke und weit über 1.000 Aufsätze zählt, bedürfen nach wie vor zahlreiche Facetten noch der weiteren Aufhellung. Auf dieser Grundlage basiert auch eine Reihe von Neuerscheinungen, so beispielsweise Peter Hoffmanns Biographie von Joachim Kuhn, einem Freund Stauffenbergs, oder Bernhard Kroeners Band über Friedrich Fromm. Um diese neueren Forschungsergebnisse vorzustellen, lud die Hamburger Universität der Bundeswehr am vergangenen Donnerstag zu einer öffentlichen Podiumsdiskussion ein.

Hoffmann, gebürtiger Dresdner, der schon seit vielen Jahren an der McGill University in Montreal lehrt, kritisierte zu Beginn seiner Ausführungen, in wie hohem Maße Autoren über die Leitfigur des 20. Juli, Claus Schenk Graf von Stauffenberg, immer noch  Klischees transportieren: Dies betreffe zum einen Stauffenbergs Mitwisserschaft für Verbrechen an der Front. Da jedoch genau diese Kenntnisse bei ihm wesentlich zu der Erkenntnis beitrugen, einem verbrecherischen Regime zu dienen, und - daraus resultierend - die wesentliche Motivation zum Widerstand darstellten, sei es vollkommen unverständlich, warum ihm bereits diese Tatsache als solche negativ angelastet werde. Zum anderen werde aus dieser Mitwisserschaft unzulässigerweise suggeriert, daß Stauffenberg damit auch zu den Verbrechen insbesondere an der jüdischen Zivilbevölkerung zumindest in passiver Form seine Zustimmung gegeben habe, obwohl dies bis heute durch keinerlei Fakten belegbar sei. Solche Darstellungen, die allein Vorurteile der Autoren bestätigten, seien kaum als "Wissenschaft" zu bezeichnen, so Hoffmann.

Eine wichtige Quelle für die tatsächliche Positionierung von Stauffenberg weit vor Stalingrad und den dramatischen Verlusten an der Ostfront seit Ende 1943 stellten dagegen die Aussagen von Joachim Kuhn dar, die dieser am 2. Oktober 1944 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft machte. Daraus gehe hervor, daß sich Stauffenberg bereits im April 1942 in Gesprächen mit klaren Worten gegen die Behandlung von sowjetischen Kriegsgefangener und Juden aussprach. In weiteren Gesprächen mit Kuhn im August 1942 wurde zudem klar, daß Stauffenberg auch die Art und Weise der Kriegführung im Osten ablehnte. Seine Position, als Soldat nicht nur Diener des Staates zu sein, sondern eine Gesamtverantwortung gegenüber allen Teilen seines Volkes zu tragen, komme darin ebenfalls zum Ausdruck. Dieses Protokoll, welches aus dem ehemaligen KGB-Archiv stammt und 1997 von Jelzin an Kohl übergeben wurde, sei vor allem daher glaubhaft, da Kuhn zu diesem Zeitpunkt den Folterungen durch den sowjetischen Geheimdienst noch nicht ausgesetzt war, wie dies wenige Monate später geschah.

Bernard Kroener von der Universität Potsdam stellte dagegen bei der Vorstellung seiner Friedrich-Fromm-Biographie bewußt die "Grautöne" - jenseits von Gut und Böse - dieser bis heute stark umstrittenen Persönlichkeit in den Mittelpunkt. Fromm ließ Stauffenberg als Verschwörer am 20. Juli noch in der Nacht zum 21. Juli im Bendlerblock hinrichten, jedoch ereilte ihn selbst noch kurz vor Kriegsende ein gleiches Schicksal. War Fromm, den Kroener als eine der Hauptfiguren des 20. Juli bezeichnete, ein Opportunist oder jemand, der nur seinen eigenen Kopf retten wollte? Nein, dafür gebe es keinerlei Hinweise, so Kroener: Vielmehr sei er nach der Durchsicht der Dokumente zu der Auffassung gelangt, daß Fromm nach dem Scheitern des Attentats Stauffenberg deshalb erschießen ließ, um die Nachstellungen gegen zahlreiche Verschwörer durch das NS-Regime in Gestalt der Gestapo zumindest deutlich zu erschweren. Dafür spreche insbesondere die Tatsache, daß mit Fromms Unterstützung andere Mitwisser in Sicherheit gebracht wurden.

Die engen Verflechtungen zwischen militärischem und zivilem Widerstand zeigte der an der Ruhr-Universität in Bochum lehrende Günter Brakelmann anhand seiner Biographie über Hellmuth James Graf von Moltke auf. Im Vergleich zu Stauffenberg oder Tresckow habe bei Moltke die klare Ablehnung der NS-Herrschaft schon erheblich früher begonnen. Dies belegen seine engen Kontakte auch zu Politikern der Linken und der Mitte. Schon früh war Moltke in den militärischen Widerstand involviert. Dies ergab sich bereits durch seine Arbeit als Völkerrechtsexperte unter Canaris.

Vorübergehend - zwischen Ende 1941 und Anfang 1943 - sei Moltke zwar zu der Einschätzung gekommen, daß "Militärs doch keinen Mumm" zu einem Staatsstreich hätten. Doch spätestens im Sommer 1943 war er wieder genau über die Widerstandspläne informiert. Besonderes Augenmerk legte Moltke selbst auf die Frage, wie Deutschland nach dem Krieg aussehen sollte, sowie auf die Außenpolitik des zukünftigen Staates nach Hitler - Probleme, denen die Militärs nur wenig Beachtung schenkten.

Winfried Heinemann vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam widmete sich der Rezeptionsgeschichte des 20. Juli in der Bundeswehr. Dieses Verhältnis sei keineswegs so unkompliziert, wie es gelegentlich den Anschein habe, so Heinemann. In den fünfziger und sechziger Jahren habe es deutliche Konflikte in dieser Frage gegeben. Die Ursache dafür sei, daß zwar beim Aufbau der Armee bei den Offizieren darauf geachtet wurde, nur Personen zu übernehmen, die sich nicht grundsätzlich abwertend über den militärischen Widerstand gegen Hitler äußerten. Anders sei es jedoch bei Unteroffizieren und beim Bundesgrenzschutz gewesen; hier habe eine Mehrheit den Widerstand noch lange als "Verrat" betrachtet. Zwar gab es 1959 eine klare Festlegung von Heusinger, daß der 20. Juli von der Bundeswehr als "Lichtpunkt in dunkler Zeit" betrachtet werde. "Aber eine Moltke- oder eine Oster-Kaserne gibt es bis heute in Deutschland nicht."


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