© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/07 16. November 2007

Sie wollen alles wissen
Überwachung: Der "Kampf gegen den Terror" dient als Vorwand für die Einschränkung unserer Freiheit
Wolfgang Philipp

Wie von einer Schlammlawine werden die Bürger gegenwärtig von "Sicherheitsgesetzen" überrollt. Besonders gravierend ist der jüngste Gesetzentwurf zur "Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24EG". Die Ermittlungsbehörden sollen ausnutzen, daß die Telefongesellschaften und Internetprovider zur Erstellung ihrer Rechnungen alle Kontakte aufzeichnen. Diese Aufzeichnungen müssen nun für verdeckte Ermittlungen staatlicher Behörden sechs Monate gespeichert bleiben. Soweit den Behörden bekannt wird, wer mit wem telefoniert oder E-Post ausgetauscht hat, wird das Rechtsanwälten zustehende Zeugnisverweigerungsrecht nur noch im Rahmen der "Verhältnismäßigkeit unter Würdigung des öffentlichen Interesses an den von diesen Personen wahrgenommenen Aufgaben" berücksichtigt. Geschützt bleiben nur wenige, darunter Geistliche, Strafverteidiger und Abgeordnete.

Deutschland hat durch das Schengen-Abkommen und den geduldeten Massenzuzug von Ausländern auf einen Teil seiner Staatlichkeit verzichtet: auf seine Grenze. Die Grenze aber und eine rationale Einwanderungspolitik sind es, die einen Staat vor importierter Kriminalität schützen. Fachleute haben deshalb stets davor gewarnt, die Grenzkontrollen aufzuheben.

Da es gleichwohl seine Aufgabe bleibt, die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten, hat der Staat die an den Außengrenzen aufgegebene Kontrolle kurzerhand durch Maßnahmen im Inland ersetzt. Dabei kann er aber nicht mehr zwischen Inländern und Ausländern unterscheiden. Daß es ein hohes Maß an importierter Kriminalität gibt, zeigen unterdessen nicht nur die ausländischen Terroristen, sondern auch die Gefängnisse: Die einsitzenden Ausländer sind weit zahlreicher als ihr Anteil an der Bevölkerung es nahelegt.

Ein Sicherheitsausgleich kann in dieser Situation nur durch verschärfte Überwachung aller, also auch des eigenen Volkes erreicht werden. Das ist der eigentliche, in der Öffentlichkeit jedoch praktisch nicht diskutierte Hintergrund jener neuen Gesetze, die nun dazu führen sollen, Sicherheit und Rechtstreue doch noch zu gewährleisten.

Die neue Bestimmung, daß "auch ohne Wissen der Betroffenen die Telekommunikation überwacht und aufgezeichnet werden" darf, enthält eine lange Liste von Straftaten. Dabei geht es keineswegs nur um "terroristische Aktivitäten". Auch Steuerhinterziehung kann dazugehören. Die Anordnungen dürfen sich auch gegen Personen richten, "von denen ... anzunehmen ist, daß sie für den Beschuldigten bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben". Zwar sind die Gerichte zuständig, bei Gefahr im Verzug kann aber auch die Staatsanwaltschaft handeln.

Auch wer glaubt, er könne sich auf der Parkbank unkontrolliert unterhalten, täuscht sich: Unter bestimmten Voraussetzungen darf künftig außerhalb von Wohnungen das nicht öffentlich gesprochene Wort mit technischen Mitteln abgehört und aufgezeichnet werden. Auch die Nummern eines Mobiltelefons, der verwendeten Karte sowie der Standort des Gerätes dürfen ermittelt werden.

Bereits beschlossen ist, daß ab 2008 allen Bürgern eine einheitliche Identifikationsnummer "zugeteilt" wird (JF 34/07). Auch diese Gesetzgebung ist im Hinblick auf die informationelle Selbstbestimmung des Bürgers höchst problematisch. Denn sie enthält Ansätze, das allgemeine "Personenkennzeichen" auch über das Steuerrecht hinaus zu nutzen. Der Bundesdatenschutzbeauftragte sieht in seinem 21. Tätigkeitsbericht daher die Gefahr, daß die bisher noch erreichte Zweckbindung "schon bald durch entsprechende Gesetzesänderungen aufgeweicht" wird.

Ähnliche Tendenzen zeigen sich bei der zum Zweck der Besteuerung eingeführten Lkw-Maut. Die Parteien wollen die vorhandenen Daten auch zur Bekämpfung des Terrorismus und schwerer Kriminalität nutzen. Auf einmal findet es Unionsfraktionschef Kauder "lachhaft", daß Mautdaten nicht zur Verbrecherjagd verwendet werden dürfen. Vor Tische hörte man es anders.

Wer einen Reisepaß braucht, wird künftig wie ein dringend tatverdächtiger Straftäter mit Fingerabdrücken "erkennungsdienstlich behandelt". In den gleichen Kontext gehört auch das Kontenabrufverfahren, mit dem Behörden Bankverbindungen und Versicherungsverträge der Bürger erfassen. Das "Bankgeheimnis", wie man es in Deutschland lange Zeit kannte und schätzte, ist damit endgültig zu einer Sache für die Geschichtsbücher geworden.

Verantwortlich für die Sicherheitsgesetze sind die Koalitionspartner CDU/CSU und SPD. Linke, Liberale und Grüne sind gegen das Gesetz und wollen das "Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung" verteidigen, greifen damit allerdings zu kurz. Denn gerade sie haben einen besonderen Anteil daran, daß durch die "multikulturelle Gesellschaft" Zustände herbeigeführt wurden, die es der Regierung leichtmachen, Freiheitsbeschränkungen durchzusetzen und sich dabei der Terrorgefahr teils als Begründung, teils aber auch als Vorwand zu bedienen. Auch die Regierungsparteien haben durch jahrzehntelange Politik das Problem selbst geschaffen. Sicherheit und Freiheit sind Gegensätze, die in ein abgewogenes Verhältnis gebracht werden müssen.

Die Deutschen sind auf dem Wege, sich über Identifikationsnummern, Mautkontrolle, Teledatenspeicherung, Kontenabrufverfahren und Ausweispapiere mit Fingerabdrücken in eine Art geschützter "Zootiere" zu verwandeln, die einer vollkommenen elektronischen Kontrolle unterliegen. Hinzu kommt, daß sie auch als Wahlvolk wegen der Richtliniendiktatur der EU längst ihre Volkssouveränität verloren haben. Höchste "Sicherheit" gibt es nur durch Verlust der Freiheit hinter Gittern, die auch "elektronischer Art" sein können.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen