© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/07 16. November 2007

Paukenschlag und Nebelkerzen
Große Koalition: Der Rücktritt von Franz Müntefering hat das politische Berlin kurzzeitig geschockt, doch der Politikbetrieb geht weiter
Marcus Schmidt

Vor dem Paukenschlag hatte Franz Müntefering zur Nebelkerze gegriffen. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk am Dienstagmorgen hatte der Vizekanzler und Arbeitsminister die Ergebnisse des Koalitionsausschusses vom Vortag bewertet. Zwar zeigte er sich "tief enttäuscht", daß es mit der Union nicht zu einer Einigung beim Post-Mindestlohn gekommen war, doch nichts deutete zu diesem Zeitpunkt, es war gegen 7.20 Uhr, darauf hin, daß der ehemalige SPD-Vorsitzende nur drei Stunden später von allen Ämtern zurücktreten und "aus rein familiären Gründen" das Ende seiner politischen Karriere verkünden würde.

Als schließlich das Gerücht vom Rücktritt die Runde machte, ausgelöst durch eine überraschende Interviewabsage Münteferings, die die Phantasie einiger Journalisten beflügelt hatte, verfiel der Politikbetrieb, der gerade dabei war, sich an der ergebnislos verlaufenen Koalitionsrunde abzuarbeiten, kurzzeitig in eine Schockstarre. In den Büros der Bundestagsabgeordneten und den Redaktionen wurde von einer Minute zur anderen das bis dahin Undenkbare gedacht: Bruch der Großen Koalition, Auflösung des Bundestags, Neuwahlen.

Auch die Spitze der Koalition wurde von der Entscheidung überrascht. Erst am Montag, unmittelbar vor der Koalitionsrunde, hatte Müntefering Parteichef Kurt Beck von seinem Entschluß unterrichtet. Bundeskanzlerin Angela Merkel informierte er am Dienstag um 10 Uhr.

Doch schon bald konnten die Bundestagsabgeordneten, von denen bereits viele um ihre Mandate fürchteten, durchatmen. Als Müntefering am Nachmittag vor der Bundespressekonferenz erschien, zweifelt schließlich kaum noch jemand daran, daß es tatsächlich die schwere Erkrankung seiner Frau war, die ihn zum Rücktritt bewogen hatte. Die Koalition, soviel war zu diesem Zeitpunkt bereits sicher, würde vorerst nicht in Gefahr geratten.

Spätestens als dann Müntefering die Gelegenheit bekam, seinem Unmut über die gescheiterte Einigung zum Mindestlohn Luft zu machen, vergaß er seinen Rücktritt und war wieder ganz Minister. Minutenlang referierte er seine Vorstellungen und ließ dabei erkennen, daß er nur zu gerne weiter mitgemischt hätte.

Die Nachfolgeregelung stützte die These, daß der SPD daran gelegen ist, die Koalition fortzusetzen. Statt des politischen Schwergewichts Beck, der Unruhe ins Kabinett gebracht hätte, wird der als Innensenator in Hamburg und als SPD-Generalsekretär bereits zweimal in einem Amt gescheiterte Olaf Scholz Arbeitsminister, während Außenminister Frank Walter Steinmeier das virtuelle Amt des Vizekanzlers übernimmt.

Dennoch: Ganz ließ sich das Gefühl, hinter dem Rücktritt Münteferings könnte mehr stecken als die Krankheit seiner Frau, den ganzen Dienstag über nicht vertreiben. Zu reizvoll war für viele Beobachter der Gedanke, Müntefering habe nach der parteiinternen Niederlage in der Frage des Arbeitslosengeldes I entnervt das Handtuch geworfen. Müntefering konterte derlei Überlegungen kühl: Er sei immer wieder überrascht, sagte er mit Blick auf die Medien, wieviel Strategie und Taktik ihm zugetraut werde.


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