© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/07 23. November 2007

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Erfahrungsschatz
Karl Heinzen

Die Zeiten, in denen Jugendliche unerfahrenen Lehrerinnen und Lehrern auf der Nase herumtanzen konnten, sind unwiderruflich vorbei. Schon heute zählen nahezu zwei Drittel der Pädagogen an den allgemein bildenden und beruflichen Schulen der Bundesrepublik Deutschland zur mittleren und älteren Generation. Da die Hochschulen immer weniger Nachwuchskräfte ausbilden, wird die Dominanz der Lehrkräfte, die das 45. Lebensjahr überschritten haben, unaufhörlich wachsen. Eine gewisse Orientierung bieten hier bereits die Stadtstaaten Hamburg und Bremen: In ihnen sind mittlerweile 40 Prozent der Lehrer älter als 55 Jahre.

Die personelle Ausstattung der Schulen obliegt den Bundesländern und ist das Ergebnis langfristiger Planungen. Wer den wachsenden Altersdurchschnitt des Lehrkörpers als "Überalterung" verunglimpft, betreibt daher eine demagogische Institutionenschelte, die außer acht läßt, daß dieser Trend sehr wohl politisch gewollt ist und sich auf fundierte Überlegungen der Kultusbehörden stützt.

Vor allem aber ist der Vorwurf an sich unbegründet, da er suggeriert, daß die Kompetenz und die Leistungskraft von Pädagogen jenseits des 45. Lebensjahres geringer seien als die von jenen, die dieses Alter noch nicht erreicht haben. Bereits die Alltagserfahrung sagt jedoch, daß genau dies nicht der Fall ist, sondern eher vom Gegenteil ausgegangen werden muß. Jungen Lehrern mangelt es in der Regel an Distanz zu den Schülern, die sie unterrichten sollen, und sie verfügen noch nicht über die Routine, den Blick für das Wesentliche im beständigen Wandel der Mentalitäten, Methoden und Lehrmittel zu bewahren.

Lehrkräfte im vorgerückten Alter hingegen lassen nicht zuletzt darauf vertrauen, daß in der Vermittlung von Werten Kontinuität gewahrt bleibt. Wer heute sein Lehramt antritt, ist zumeist durch den Ungeist einer bedingungslosen Leistungsorientierung deformiert, der kein Verständnis mehr dafür aufbringt, daß die Schule Jugendliche auf das Leben und nicht bloß auf eine spätere Erwerbstätigkeit vorbereiten sollte.

Ältere Pädagogen, zumal jene, die noch durch den Geist von 1968ff. geprägt wurden, haben hingegen wenigstens eine Erinnerung daran, daß die individuelle Selbstverwirklichung sich nicht darin erschöpft, als fleißige Arbeitnehmer Kapitaleignern eine saftige Rendite zu bescheren. Im Interesse der Schüler kann man nur hoffen, daß sich möglichst viele von ihnen erst spät in den Ruhestand verabschieden. Die Lücke, die diese Generation hinterläßt, wird nämlich nicht zu schließen sein.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen