© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/07 23. November 2007

Scheherazade spielt Flipper
Bemerkenswerte Aufzeichnungen des Philosophen Hans Blumenberg über Ernst Jünger
Harald Harzheim

Das Umschlagfoto zeigt den alten Ernst Jünger auf einer Sanddüne, ein Einsamer in der Wüste oder einer Mondlandschaft. Unterstützung findet diese Assoziation im Titel des Buches: "Der Mann vom Mond". Dahinter verbrigt sich eine Sammlung von Essays und Vorträgen des Philosophen Hans Blumenberg (1920-1996), der Jüngers Schaffen vierzig Jahre lang verfolgt hat. Der Verlag glaubt im Klappentext, daß in "der Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts kaum eine überraschendere Konstellation denkbar (wäre) als die zwischen Hans Blumenberg und Ernst Jünger".

Wer ist da überrascht? Schließlich handelt es sich bei Blumenberg um einen Skeptizisten, der große metaphysische Fragen, nur weil nicht zu beantworten, noch lange nicht ad acta legen wollte - der dem Ausbleiben von letzten Antworten die ständige Neuformulierung mythischer Erzählungen entgegenhielt: wußte er doch, wie sehr das "Mängelwesen" Mensch ihrer bedurfte. Zudem glaubte Blumenberg, daß zahlreiche Metaphern der Geisteswissenschaft sich nicht durch Begriffe ersetzen ließen, sich der Logizität konsequent verweigerten.

Bei diesen Ansätzen ist eine Jünger-Lektüre nicht bloß naheliegend, sondern geradezu zwingend: Jünger, der als sein eigenes metaphysisches Versuchslabor unermüdlich an der Überwindung des neuzeitlichen Nihilismus arbeitete, und dazu die mythischen Bilder auf ihrem Gebrauchswert abklopfte. Für Blumenberg ist Jünger eine moderne Schehera-zade. Wie sie, die in "Tausendundeine Nacht" ständig neue Geschichten erfinden mußte, um den Tod zu entkommen, muß auch der moderne Mensch stets neue Weltdeutungen kreieren, will er nicht untergehen. Denn trotz Wohlstands und zahlreicher origineller Theoriebildung herrsche laut Blumenberg der Nihilismus. Da hilft nur ein Experiment des Lebens à la Jünger, die Erkundung einer verborgenen Ordnung, eines unsichtbaren Plans, der sich im Sichtbaren andeutet. Diese Gedankenexperimente können in allen Bereichen stattfinden, ob in Natur oder Politik: So wird im "Arbeiter" (1932) Heideggers Sein-zum-Tode zum ersetzbaren Betriebsunfall innerhalb einer planetarischen Mobilmachung umgedeutet. Dabei sind Jüngers  "subtile Jagden" durchaus von der traditionellen "Gottsuche" abzugrenzen. Denn sein Platonismus setzt die Pluralität der Phänomene voraus, jede Idee bedarf nicht nur eines, sondern mehrerer Abbilder. So sind Jüngers Erfahrungen nachzuvollziehen; sie bleiben kommunizierbar, während eine Gotteserfahrung nicht zu vermitteln ist.

Blumenberg erkannte, daß Jüngers  Tagebucheinträge untereinander in Verbindung stehen, auch wenn das nicht explizit zur Sprache kommt. Dem Eintrag über den Frauenmörder Landru und dessen Enttarnung durch die Bürokratie folgt ein Eingeständnis von Beschämung, die Jünger beim Anblick dreier Mädchen mit gelben Stern empfand. Hier zeigen sich zwei Seiten der Bürokratie: ihre hilfreiche (Fall Landru) und ihre zerstörerische, als Mordinstrument.

Mag Jünger auch nicht als Gottsucher durchgehen, sein "unfrommer Instinkt fürs Theologische" findet trotzdem Blumenbergs Beachtung. Er zeigt sich, wenn er den Einmarsch der Alliierten als "Angelpartie, vielleicht zum Fange des Leviathans" (gemeint ist Hitler) versteht. Oder in der Weigerung, Jenseitsvorstellungen an eine Gut-Böse-Ethik zu binden, denn auch der Schlimmste habe an dieser Welt gelitten und folglich einen Anspruch auf Erlösung.

Blumenbergs Reflexionen beziehen sich keineswegs nur auf vollständige Texte. Oft ist nur ein einzelner Satz ausreichende Initialzündung für eigene Abhandlungen. So führt der Ausspruch aus "Eumeswil" (1977) - "Die Schöpfung ist mißlungen" - zu Spekulationen über einen Gott, der seine Schöpfung trotz Mißlingen nicht aufgeben wollte und sich zuletzt selbst zurückzieht. Besonders hellsichtig erwiesen sich Jüngers späte Prophezeiungen über die Technik. Die kamen ihm, als er sich 1980 mit einem Flipperautomaten vertraut machte: Um die Ansprüche aller Menschen auf Realisierung ihrer Bedürfnisse zu beenden, würden gigantische Simulationsmaschinen die Zukunft beherrschen. Realität für wenige, Simulation für die Massen. Eine Science-fiction-Version allgemeiner Menschheitsbefried(ig)ung, die im digitalen Zeitalter zum Greifen nah gerückt ist, die Einsichten des Philosophen Jean Baudrillard antizipiert.

Apropos Science-fiction: Der Titel "Der Mann vom Mond" bezieht sich auf "Das abenteuerliche Herz" (1929), in dem Jünger sich fragt, wie er einem Besucher vom Mond die Welt erklären solle. Der Mond ist natürlich seinerseits eine Projektion unserer durch globale Zerstörung bedrohten Welt, deren Bewohner im Zustand des Nihilismus siechen. Das Umschlag-Foto mit Jünger in der Wüste zeigt den Mann vom Mond als Alter ego des Autors, der um Antworten auf eigene Fragen ringt.

Hans Blumenberg: Der Mann vom Mond. Über Ernst Jünger. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt / Main 2007, gebunden, 185 Seiten, 19,80 Euro


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