© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/07 07. Dezember 2007

Vom System ausgebeutet
Mikrozensus und Familie: Falsche Prämissen in der Familienpolitik
Jürgen Liminski

Gibt es eine "hidden agenda" im Familienministerium, einen Masterplan zur totalen Instrumentalisierung von Ehe und Familie? Manches deutet darauf hin. Sicher ist, daß die Bundesregierung statt Familienpolitik klare Arbeitsmarktpolitik betreibt und Transferleistungen als Sozialmaßnahmen betrachtet. Damit betrügt sie die Familien und sich selbst. Denn bei einer modernen Familienpolitik geht es um Wahlfreiheit und Gerechtigkeit, sonst nichts. Kinder- und Betreuungsgeld oder Freibeträge sind nur die Rückgabe von Beutegut: von Geldern, die den Familien verfassungswidrig genommen wurden, um sie auf diesem Weg und mit dem großen Gestus des Gönners teilweise zurückzugeben. Wer einmal einen Blick in die Urteile des Bundesverfassungsgerichts zu Pflege, Betreuung und Familienbesteuerung geworfen hat, weiß, warum Familien mit Kindern zur ersten Risikogruppe in den Armutsberichten gehören. Sie werden vom System ausgebeutet.

Nun bereitet Berlin offenbar eine weitere Drehung der Daumenschrauben vor. Dazu kommen die Ergebnisse des Mikrozensus wie gerufen. Der Mikrozensus, die größte jährliche Haushaltsbefragung in Europa, ist eine seriöse Untersuchung. Im Vergleich zu manchen Stiftungsstudien kann man aus den Resultaten allgemeingültige Schlüsse ziehen. Diese Folgerungen allerdings können falsch oder verzerrt sein. Und das erst recht, wenn man schon die Prämissen ändert. So ist die Einschränkung, die der Präsident des Statistischen Bundesamtes bei der Vorstellung der Ergebnisse zum Begriff Familie machte, eine willkürliche Verzerrung. Sie ist politisch korrekt und vermutlich gewollt: Es gehe diesmal nur um Familien mit minderjährigen Kindern. Die Relevanz dieser Gruppe ergebe sich aus den zu treffenden familienpolitischen Transfers.

Im Klartext: Familien mit Kindern über 18 zählen nicht. Da sollte man nun einhaken. Die Logik ist bekannt und schon angewandt: Familien mit "Kindern", die als Studenten oder Auszubildende aus finanziellen Gründen im elterlichen Haushalt leben, hat man schon das Kindergeld um zwei Jahre gestrichen. Das macht auch die bescheidene Erhöhung des BaFög nicht wett, wenn die überhaupt einmal kommt. Die Zahl dieser Familien steigt. Aber sie zählen nicht mehr. Man kann nun diese Neudefinition als Präludium für ein weiteres Streichorchester unter der Regie Steinbrück/von der Leyen sehen. Dazu gehört auch der Plan, das Ehegattensplitting zu kippen, ein Plan, den die die Familienministerin und ihre Gefolgsleute bei den Sozialdemokraten nicht aufgegeben haben. Er beträfe zum Beispiel die Eltern, deren Kinder außer Haus sind. Die Ehe ist für diese Ideologen nur eine Lebensform unter vielen. Auch verwechselt die Frauenministerin stets Sozialpolitik mit Familienpolitik. In diesem Sinn redet sie einer Staffelung des Kindergeldes nach Bedürftigkeit das Wort. Ähnlich klingt das Argument des Chefstatistikers der Nation.

Die Ergebnisse des Mikrozensus stehen alle unter diesem Vorbehalt des neu definierten Begriffs Familie. So hält der Mikrozensus in Zahlen fest, was die SPD schon lange sagt und womit die CDU sich nun auch identifiziert: Familie ist da, wo Kinder sind. Sind aber Eltern, deren Kinder aus dem Haus sind, keine Familie? Werden die Bindungen bei 18jährigen gekappt? Mitnichten. Es gibt Bindungen, die bleiben, ob man will oder nicht. Vater und Mutter bleibt man ein Leben lang. Gott sei Dank, kann man nur sagen. Das zeigt sich auch konkret. Jährlich unterstützen die Großeltern die jüngere Generation im Wert von mehr als 22 Milliarden Euro. Ohne diesen stillen Transfer aus Liebe für die jungen Familien müßte der Mikrozensus bei der Erforschung der jungen Familien bald das Mikroskop ansetzen.

Aber selbst die Neudefinition von Familie kommt an der alten Erkenntnis nicht vorbei, daß der Wandel der Familienformen begleitet wird von der anhaltenden  Kontinuität des Wunsches und der Wirklichkeit der traditionellen, natürlichen Familie und der dauerhaften Ehe. Acht von zehn Paaren leben in Ehe und drei von vier Kindern bei ihren leiblichen Eltern. Dennoch befassen sich Politik und Medien vorwiegend mit Randgruppen und tun so, als bestehe die Gesellschaft nur noch aus solch Lebensformen. Sie tun es, weil sie der Welt des politisch-medialen Establishments entsprechen und diese Welt will man der Allgemeinheit verordnen. 

Die Familie lebt. Man kann sie freilich auch totdefinieren. Bald wird es heißen: Familie ist da, wo ein Kühlschrank steht. Und der muß das Gütesiegel der Großen Koalition haben. Schade, daß ein seriöses Instrument wie der Mikrozensus nun auch  für die ideologische Sozialklempnerei der Politik mißbraucht wird. An einer Tatsache kommen die Ideologen allerdings nicht einfach vorbei. Benedikt XVI. formuliert sie so: "Familie ist der Kern aller Sozialordnung". Und James Graf von Moltke schrieb schon als Gefangener der Nazis: Die wesentliche Aufgabe des Staates bestehe darin, "dem einzelnen Freiheit zu verschaffen". Eine Sozialordnung mit persönlicher Freiheit - ohne Familie ist das nicht zu haben. Auch wenn die Nomenklatura im Familienministerium das anders sieht.                 

Jüngst erschien vom Autor: Die verratene Familie - Politik ohne Zukunft. Mit einem Vorwort von Bischof Walter Mixa. Sankt Ulrich Verlag, Augsburg 2007, gebunden, 176 Seiten, 18,90 Euro


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