© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/07 07. Dezember 2007

Mehr Inszenierung war nie
Parteitag: Der CDU, die sich in Hannover als Partei der Mitte präsentierte, fehlt es an Selbstsicherheit / CSU-Chef Huber erinnert an 1969
Paul Rosen

War Gerhard Schröder einst von Hannover aufgebrochen, um die "Neue Mitte" zu erobern, so nahm jetzt Angela Merkel die Leinestadt in Beschlag und ließ die CDU als "Die Mitte" feiern. Es war wieder Parteitag, und die Chefin konnte zufrieden feststellen, daß sie den Laden im Griff hat. Regionalfürsten wie Christian Wulff und Roland Koch priesen Merkel, und die Vorsitzende brachte ihren Parteitag mit Platitüden über die Runden: "Da wo die Mitte ist, sind wir, und wo wir sind, ist die Mitte."

Hannover war ein Parteitag, der von Beginn bis zum Schlußwort von einer knallharten Regie geführt wurde. Niemand tanzte aus der Reihe, Überraschungen waren ausgeschlossen, Jubel­arien wie zu Kohls Zeiten auch. Da mehr Inszenierung statt Debatte angesagt war, schaffte es das politische Großereignis bei den meisten Radio- und TV-Sendern nicht auf Platz eins der Nachrichten, weil jede Spannung fehlte. Die Regie sorgte nur für gezielt gestreute Meldungen, die Kanzlerin werde sich in ihrer Rede vor den 1.000 Delegierten knallhart von der SPD absetzen. Dem Spiegel wurden Details von einem Kaffeekränzchen der Frauen-Union gesteckt. Bei Zimtsternen und Spekulatius soll die Kanzlerin über Franz Müntefering und SPD-Chef Kurt Beck gelästert haben.

In der Tat war es ungewöhnlich, wie Merkel in ihrer Rede über die SPD herfiel, der sie vorwarf, Abschied von der Reformpolitik nehmen zu wollen. Das Begriffspaar "demokratischer Sozialismus" im SPD-Parteiprogramm sei ein Widerspruch in sich. Denn "der Sozialismus endet totalitär", so Merkel. Generalsekretär Ronald Pofalla, noch nie durch Intellektualität aufgefallen, schaffte es, DDR-Sozialismus und SPD in einen Topf zu werfen: "Sozialismus darf es Deutschland nie wieder geben", so Pofalla. Was die eigene Position betrifft, hielten sich die CDU-Redner bedeckt. Merkel präsentierte sich staatsmännisch und oberflächlich. Sie sprach alle Themen an, legte sich aber nur dort fest, wo ihre Haltung ohnehin bekannt war, etwa in der Frage der Nutzung der Kernenergie.

Die scharfen Angriffe auf die SPD haben einen Hintergrund. Die Unionsgranden haben spätestens seit dem Hamburger Parteitag der Genossen die Sorge, daß Beck und Co ihnen mit einer sehr sozialen Politik den Rang ablaufen. Daher kam es zu der eigenartigen Situation, daß in Hannover von dem Leipziger "Reformparteitag" der CDU 2003 keine Rede mehr war. Dort waren die Gesundheitsreform und eine Steuerreform beschlossen worden. Gemeinsamer Nenner der Projekte war, den Bürgern unter dem Stichwort Selbstverantwortung möglichst viel Geld aus der Tasche zu ziehen und soziale Leistungen zu kürzen.

Jetzt ist davon keine Rede mehr. Merkel beschwor vielmehr konservative Werte und das Soziale. Und selbst Familienministerin Ursula von der Leyen, deren roter Faden das Gender Mainstreaming  ist, stellt sich plötzlich vor die Mütter, die nicht arbeiten, sondern sich nur um ihre Kinder kümmern. Das sei kein Modell der Vergangenheit. Selbst das Wort "konservativ" kam ihr ohne Stottern über die Lippen. Das grenzt schon an Selbstverleugnung.

Merkel und ihre Mitstreiter haben verstanden, daß sie mit eifrigem Durchregieren und einer Reformwut ohnegleichen ihre Chancen bei den Landtagswahlen im kommenden Jahr verschlechtern würden. Daher die staatsmännischen Reden und die neue Oberflächlichkeit in Hannover. Es gibt viel zu verlieren für die Union: In 13 von 16 Länderregierungen sitzen CDU und CSU mit Ministern, die C-Parteien stellen elf Ministerpräsidenten, den Bundestagspräsidenten und die Kanzlerin. Auch Bundespräsident Horst Köhler wird irgendwie der Union zugerechnet. Soviel CDU war noch nie.

Dennoch war in Hannover alles andere als Selbstsicherheit zu spüren. Die Bilanzen sind zwar in Ordnung. Die Zahl der Arbeitslosen ist so niedrig wie seit 14 Jahren nicht mehr. Und die Neuverschuldung sinkt, so daß ausgeglichene Staatshaushalte vorstellbar sind. Aber Wahlen werden nicht über die Bilanzen gewonnen. Das mußte die Österreichische Volkspartei (ÖVP) schmerzhaft erfahren, die trotz guter Zahlen und Noten für die Alpenrepublik aus der Regierungsverantwortung gejagt wurde.

Das ist das Problem für die CDU: Sie lehnt etwa den Mindestlohn ab, den die SPD als notwendig und gerecht proklamiert. Sicher gibt es gute Gründe gegen den Mindestlohn, aber auch gute dafür. Aber wenn die SPD Plakate aufhängt wie "Mindestlohn statt Hungerlohn", hat sie die Auseinandersetzung gewonnen und die Union verloren. Das ist Becks Chance und Merkels Risiko. Der neue CSU-Chef Erwin Huber warnte daher in Hannover davor, in die Falle der Sozialdemokraten zu laufen, und zog einen historischen Vergleich: "Wir sind 1969 nicht gut aus der Großen Koalition herausgekommen."

Foto: Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag in Hannover: Knallharte Regie


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