© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/07 07. Dezember 2007

Die Merkel-Kosten steigen
Wirtschaftspolitik: Unternehmer warnen vor den langfristigen Folgen einer wertegeleiteten Außenpolitik
Karl Schwarz

Daß sich Nicolas Sarkozy erst mit einigen Tagen Verspätung um die erneuten Ausschreitungen in den Banlieues kümmern konnte, hatte einen triftigen Grund: Der umtriebige französische Präsident war auf offizieller China-Reise und sammelte dort Milliardenaufträge für die heimische Industrie ein. Das Reich der Mitte bestellte unter anderem 160 Airbus-Flugzeuge im Wert von etwa zehn Milliarden Euro. Der französischen Staatskonzern Areva wird für acht Milliarden Euro zwei Reaktoren für den staatlichen chinesischen Energiekonzern CGNPC bauen. Bis 2026 wird Areva den Uran-Brennstoff für die Atommeiler liefern. Zudem wurden über 20 weitere Wirtschafts- und Regierungsabkommen unterzeichnet.

Sarkozy warnte zwar, "das chinesische Wachstum kann und darf nicht auf Kosten der globalen Umwelt erfolgen", und bei seinen Gesprächen mit Chinas Staats- und Parteichef Hu Jintao soll er sogar dafür geworben haben, Todesurteile "weniger häufig" zu vollstrecken. Doch zu wirklich heiklen Fragen wie der brutalen Dissidentenverfolgung und den unmenschlichen Arbeitslagern oder gar der Tibet- und Taiwan-Problematik verlautete offiziell keine Silbe. Und der Dalai Lama, den Angela Merkel im September medienwirksam im Kanzleramt empfangen hatte (JF 42/07), werde bei dem für 2008 anstehenden Frankreichbesuch keinen offiziellen Termin mit Sarkozy bekommen, hieß es. Dafür setzte sich der Hausherr des Élysée-Palasts erneut für ein Ende des EU-Waffen­embargos gegen China ein - ebenfalls im Gegensatz zur Kanzlerin.

Seit Merkel das geistliche Oberhaupt der tibetischen Buddhisten empfangen hat, herrscht Eiszeit zwischen Berlin und Peking. Angesichts von Sarkozys Erfolgen als Außenhandelsmotor und dem EU-China-Gipfel platzte daher vorige Woche Jürgen Thumann der Kragen. "Nach den Verstimmungen der letzten Wochen benötigen wir einen konstruktiven Dialog", klagte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie in der Financial Times Deutschland. Er vertraue aber darauf, "daß die Bundesregierung an einer auf Partnerschaft und gegenseitigen Respekt ausgerichteten China-Politik festhalten wird". Ein namentlich nicht genannter hochrangiger Vertreter einer großen deutschen Bank wurde noch deutlicher: "Es gibt natürlich das Menschenrechtsthema, aber auf der anderen Seite haben wir klare wirtschaftliche Interessen. Man muß aufpassen, daß man den Fuß in der Tür behält."

Doch es gibt keine Anzeichen, daß Merkel von ihrer "wertegeleiteten Außenpolitik" abweichen will: "Als Bundeskanzlerin entscheide ich selbst, wen ich empfange und wo", verkündete sie via Bild. Hatte die Bundesregierung selbst unter Rot-Grün noch geschickt die außenpolitischen Klippen der Menschenrechte umschifft, um deutsche Interessen optimal umzusetzen und zugleich ohne öffentliches Aufsehen positiven Einfluß auszuüben, so änderte sich dies ausgerechnet unter Schwarz-Rot.

Nach dem Motto "Offenheit ist besser als Harmonie" - eine Parole, die jedem Diplomaten den Schweiß auf die Stirn treiben dürfte - traf sich Merkel beispielsweise direkt nach ihrem Antrittsbesuch in Moskau mit radikalen Putin-Kritikern. Das unter den Kanzlern Kohl und Schröder aufgebaute gute Verhältnis zu Rußland hat sich merklich abgekühlt - die Schikanen gegen die Lufthansa-Cargo hätte es vor dem Regierungswechsel 2005 wohl nicht gegeben.

Der Konflikt um China und der wirtschaftlich eher unbedeutende Streit um die Havanna-Reise von Wirtschaftsstaatssekretär Bernd Pfaffenbach offenbart die Fronten in der Bundesregierung: Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) befürwortet die Kontakte ins kommunistische Kuba - der CDU-Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz droht hingegen mit einem "öffentlichen Konflikt" (Spiegel). "Menschenrechtspolitik ist keine Schaufensterpolitik", sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier auf dem SPD-Parteitag. "Eine wirklich gute Menschenrechtspolitik braucht nicht die Selbstbeweihräucherung einer moralischen Großmacht Deutschland, sondern etwas ganz anderes: Entschiedenheit, langen Atem und Klarheit."

Merkel stellt die vom Grundgesetz geforderte Unantastbarkeit der Würde des Menschen an die oberste Stelle ihres politischen Handelns. Sie grenzt - anders als einst CSU-Chef Franz Josef Strauß - Deutschland klar gegen autoritäre Regime ab und verschafft sich so nicht nur den Zuspruch der Medien, sondern auch weiter Teile der Bevölkerung. Die Kanzlerin ändert damit den Stil der deutschen Außenpolitik und deren Kultur. Vielleicht geprägt durch ihre Erfahrungen in der DDR und offenbar beseelt von einem moralischen Selbstanspruch des Kampfes gegen Unterdrückung, geht sie somit einen eigenständigen Weg - bei gleichzeitiger verbaler Betonung der außenpolitischen Stabilität und ohne strategische Partnerschaften ganz aufzukündigen.

Dabei kann sie sicher sein, daß sich nur wenige Staaten leisten können, auf Deutschland als Handelspartner ganz zu verzichten oder uns wirklich umfassend zu schneiden. China beispielsweise hat voriges Jahr Waren im Wert von 34,4 Milliarden Euro nach Deutschland geliefert. Mit 19,4 Milliarden Euro lagen die deutschen Ausfuhren nach China deutlich darunter.Nichtsdestotrotz sprechen immer mehr Wirtschaftsvertreter inzwischen hinter vorgehaltener Hand bereits von "Merkel-Kosten", wenn sie über entgangene Gewinnchancen in Rußland oder China klagen. Während beispielsweise das gesamte deutsche Investitionsvolumen in Rußland 2006 rund sieben Milliarden Euro betrug, investierte alleine der italienische Energiekonzern Enel im selben Zeitraum fast die gleiche Summe.

Sich von russischen Energielieferungen unabhängiger zu machen, ist nicht nur aus "moralischen", sondern aus strategischen Gründen sinnvoll. Aber bei Öl und Gas gehören etwa der Irak und der Iran zu den wenigen Alternativen. Doch hier sind die politischen Bedenken noch größer als gegenüber Rußland. Auf US-Druck haben die deutschen Banken bereits ihr Iran-Geschäft weitgehend eingestellt. Für die Industrie sind die geplanten Sanktionen jedoch dramatischer: Hier steht ein Handelsvolumen von etwa fünf Milliarden Euro per Anno auf dem Spiel.

Es stellt sich die Frage, ob Merkels "Schaufensterpolitik" wirklich die Einhaltung der Menschenrechte befördert oder ob sich Deutschland dadurch nicht sogar Einflußmöglichkeiten nimmt. Öffentliche Appelle werden weder Peking noch Moskau zum Einlenken in Punkten bewegen, in denen sie gegensätzliche Positionen vertreten. Es schwinden sogar die Möglichkeiten des Dialogs und die Chancen zu weitreichender Kooperation. Und speziell in Asien ist es wichtig, daß der Partner sein "Gesicht wahrt". Ob Merkels offenherzige Außenpolitik da weiterhilft, darf gewiß in Zweifel gezogen werden.

Foto: Kanzlerin Angela Merkel, BDI-Präsident Jürgen Thumann (r.): "Offenheit ist besser als Harmonie"


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