© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/07 07. Dezember 2007

Lehrstück vom Unverständnis
Mißgestalt: "Die Verurteilung des Lukullus" in der Komischen Oper Berlin
Jens Knorr

Es war - ausgerechnet! - an einem 11. September, dem des Jahres 1983, da Paul Dessaus als Schulstoff zu Tode behandelte Oper in zwölf Szenen "Die Verurteilung des Lukullus" an der Deutschen Staatsoper Berlin eine triumphale Aufführung erlebte wie seit ihrer Uraufführung, 1951 zu Hochzeiten der Formalismusdebatte, nicht mehr. In ihrer dritten Inszenierung der Oper hatte die Regisseurin Ruth Berghaus getreu der Maxime Alban Bergs das Werk als einen Klassiker gelesen, der wie ein modernes Werk, und als ein modernes Werk, das wie ein Klassiker zu inszenieren sei.

Zum ersten Mal wurden die Fabeln hinter der einen Fabel von dem Feldherrn Lukullus, der sich vor seinen Opfern im Totenreich zu verantworten hat, erzählt, gemeinsam, einander überlagernd, die Geschichte eines Toten auf seinem Gang zu den Müttern und im Kampf um seinen Namen, die Geschichte eines Triumphfrieses, der Abgebildeten und ihrer Abbildungen, eines Totengerichts, seiner Schöffen und seiner Sprecher, tote Kinder aus den Kinderkreuzzügen aller Zeiten, der Auseinanderfall des Gerichts über den Opportunismus seiner Mitglieder, schließlich der Triumph des Angeklagten über Tote und noch nicht Tote. Es war die Zeit der atomaren Hochrüstung mit dem von USA und Sowjetrußland visierten Kriegsschauplatz Deutschland. Der Schauplatz: auf und unter der Reichsautobahn. Zum ersten Mal auch wurden die Schichtungen der vermeintlich schlicht gestrickten Partitur hör- und sichtbar gemacht, Zitat und Gegenzitat von Gattungsgeschichte als Sozialgeschichte, Entgegen- und Ineinssetzung von Musiziermustern und Musiziersphären. Und ihre Schönheit!

Gesetzte Standards in Erinnerung zu rufen, gibt es allen Grund. Denn nun hat Paul Dessaus Oper Einzug in die Komische Oper gehalten - oder jedenfalls das, was Regisseurin Katja Czellnik, Bühnenbildner Hartmut Meyer, die Kostümbildner Nicole Timm und Sebastian Figal und Dirigent Eberhard Kloke dafür halten. Von der fünften und endgültigen Fassung der Partitur, für die Kloke beim Pressegespräch die mißgestalte Fassung der Komischen Oper ausgab - meinte er die Leipziger Fassung von 1957 oder die Berliner von 1960? - kann allerdings keine Rede sein. Nicht allein, daß durch Weglassen zwar nachkomponierter, jedoch dramaturgisch wichtiger Szenen die musikalische Architektur vor die Hunde geht, obendrein wird auch innerhalb der Szenen die musikalische Faktur manipuliert, wird gestrichen und umgestellt und eine läppische "Trautonium-Adaption" mit "Musikmaterial" Paul Dessaus hinzukomponiert.

Die Art und Weise der musikalischen Zurichtung, die einer unautorisierten sechsten Fassung gleichkommt, beraubt Dessaus Musik aller Widerständigkeit gegen die Szene und zieht sie auf jenes Niveau herunter, auf dem Regie über sie triumphieren zu können vermeint - diese Runde im Kampf gegen die Dummheit in der Musik und den musikalischen Analphabetismus ging verloren.

Der Schauplatz: eine herunterklappende Wand, Projektionsfläche für allgemein gehaltene Filmprojektionen zu Begräbnissen von Diktatoren und Massenmanifestationen, dahinter eine silbern glänzende Luftkissenkonstruktion, "Zelt der Solidarität", die sich nicht selbst zu tragen vermag, drinnen Pappkameraden und Schießbudenfiguren aus Film und Werbung, Einfälle die Menge, szenisch tragende keine. Die Hinzufügungen der Regie fügen dem Stück außer irreparablen Schäden gar nichts hinzu, ihre Weglassungen immerhin bewahren das Weggelassene vor Nivellierung. Ein bißchen Totalitarismuskritik, ein bißchen Medienkritik, ein bißchen Frieden, ein bißchen Krieg, nichts von Bedeutung.

Die Chorsolisten der Komischen Oper sind von der Bühne verbannt, dafür sorgt der Bewegungschor für Czellniksches Psychotherapiegruppenflair. Alle wirken irgendwie heruntergekommen, ebenso tot wie lebendig, ebenso geschäftig wie unorganisiert, Hauptsache: authentisch. Was sie aber ausstellen, ist das Authentizitätsgehabe einer Regie, die viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt scheint, um den Schritt in das Nichtauthentische, in das beliebige Sein - wohlverstanden nicht als ein gleichgültiges, sondern als ein gleich gültiges, allgemein beliebendes Seiendes - je zu wagen.

Kor-Jan Dusseljee spielt und singt den Lukullus in uns allen und die Partie des Kochs gleich noch mit, Erika Roos würdigt die Wahnsinnskoloraturen der vergewaltigten Königin zu unterhaltendem Ornament herab, die anderen, darunter Jens Larsen als Totenrichter und Koch, wurschteln sich mit Forcieren und Chargieren durch Partitur und Szene. Musikalisch schlichtweg überfordert sind die Schauspieler Gabriele Maria Schmeide mit der Partie des Fischweibs und Markus John mit der des Kommentators, die aus Tertullia, der alten Frau, Sprecher des Totengerichts, Ausrufer und Kommentierender Frauenstimme gesamplet wurde.

"Es wird nur das gespielt werden, was so gespielt werden kann, wie es gespielt werden muß", hatte Walter Felsenstein 1947 versprochen. An sein Versprechen erinnern ein jenseitig schön gesungenes Terzett der drei Frauenstimmen von Ferne, die gründlich studierten Chöre und weitere ihre volle Wirkung entfaltenden Momente der Partitur wie der große Appell des Nachspiels, der sich für Paul Dessau selbstverständlich mit der Partei verband, die ihn nie verwirklichen sollte: eS - E - D, seid einig Deutsche.

Die nächsten Vorstellungen in der Komischen Oper Berlin, Behrenstrasse 55-57, finden statt am 7., 12., 28. Dezember, 5., 14., 20. Januar, 1. Februar, 24. Juli. Tel. 030/47 99 74 00


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