© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/07 07. Dezember 2007

Der verleugnete Konservatismus
Die Neuausgabe eines Essays von Walter Benjamin belegt pikante Parallelen zum Denken Carl Schmitts
Daniel Bigalke

Walter Benjamin (1892-1940), deutscher Philosoph und Gesellschaftstheoretiker, verbrachte seine philosophischen Lehrjahre mit dem Studium Kants und des Neukantianismus sowie intensiver Beschäftigung mit der Literatur der deutschen Romantik. Er kann neben Ortega y Gasset als derjenige gelten, der zuerst die Auswirkungen der "Vermassung" auf die Kunst benannte. Das Spezifische seiner Philosophie, die Betonung des einzelnen Individuums im Kampf, der sich gegen die Hegemonie des Allgemeinbegriffs richtet, äußerte sich schon im autobiographischen und erst posthum veröffentlichten Buch "Berliner Kindheit um Neunzehnhundert" (1950). In den Kunstwerken sieht Benjamin Wahrheitsgehalt und Sachgehalt miteinander verbunden. Er sieht in ihnen den verorteten Moment künstlerischer Entfaltung des Individuums im Jetzt und Hier und versteht diesen Prozeß als  "Aura" von Kultwerten in der Kunst. Standardisierung von Haltungen, Meinungen und Moden hingegen deuten für ihn auf einen fortschreitenden Verfall des Auratischen hin, mit dem die Kunst in den Dienst einer materialistischen Entmythologisierung eintritt und zur bloßen Funktion wird.

Benjamins wegweisender Essay "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" (1935/36) wurde soeben neu in der Reihe "Studienbibliothek" im Suhrkamp Verlag veröffentlicht. Die als Quellen beigefügten Briefe, die von der Veröffentlichungsgeschichte und der Korrespondenz Benjamins mit den späteren Vertretern des Frankfurter Instituts für Sozialforschung berichten, beschreiben, wie Einleitung und Nachwort des Benjaminschen Textes von Adorno und Horkheimer gestrichen wurden, um politische Stellungnahmen, die man hätte dem Institut anlasten können, präventiv zu vermeiden. Benjamins Briefe sprechen von einer verzweifelten Enttäuschung über diese Art von Zensur jener Leute, die später wiederum in der Bundesrepublik Herausgeber seiner Schriften werden sollten. Dennoch zeigt sich in der vorliegenden Studie, daß entgegen einer versuchten Dekonstruktion derselben für Benjamin der Begriff des "Auratischen" von nicht zu unterschätzender Bedeutung war. "Der gesamte Bereich der Echtheit entzieht sich der technischen Reproduzierbarkeit." Das Auratische setzt er gleich mit dem Eindruck der Echtheit, den der Betrachter eines Kunstwerkes hat. Benjamins Studie liest sich damit auch als Ergebnis eines ersten Versuches, Kulturkritik in der Kunst zu üben, sie vor der "Proletarisierung" zu schützen. Er bilanziert: "Was im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerkes verkümmert, das ist seine Aura."

Daß die Beziehung, welche Benjamin zu Carl Schmitt pflegte, in diesem Buch und im beigefügten ausführlichen Kommentar von Detlev Schöttker nicht erwähnt wird, ist ein großes Defizit. Der Leser hat den Eindruck, als ginge es vorrangig um eine Huldigung gegenüber der Frankfurter Schule, dem Institut für Sozialforschung oder um ein Lob an Adorno, der die Schriften Benjamins postum "fleißig" ordnete und herausbrachte. Ein wichtiger Zusammenhang verliert sich: Die eminente Bedeutung des später in Ernst Jüngers "Der Waldgang" (1951) vorweggestellten Diktums vom "Jetzt und Hier" und sein Bezug auf das Kunstwerk bleiben unerwähnt. Gerade hier aktualisiert sich nämlich der Bereich der Tradition und das Element des Konservativen bei Walter Benjamin, der dieses Element übertragen auf die Kunst als ein einmaliges Dasein des Kunstwerkes und des Menschen an dem Ort verstand, an dem es oder er sich befindet. Kunstwerke seien wie Menschen gewachsen und spezifisch verortet - jenseits einer globalen Universalisierbarkeit von Sprache, Kunst, Heimat und Denken. Kunstwerke haben deswegen für ihn eine transzendente Wirkung: Sie repräsentieren innerhalb ihrer Aura ein nicht reproduzierbares "Hier und Jetzt". Damit kämpfte Benjamin gegen die Strömung der Entortung zur Wahrung des Existentiellen - nämlich des ureigenen "Nomos" (Carl Schmitt).

Zwar weist Schöttker darauf hin, daß Benjamin den Begriff der Ästhetisierung des Politischen durchaus von Carl Schmitt übernommen habe und auf den Faschismus übertrug. Der Leser findet aber keinen Hinweis auf den Begriff der "Verortung" oder des "Nomos". Allein, ohne ihn ist offenbar auch Benjamins Kunstwerk-Begriff nicht zu verstehen, weswegen der Politologe Hans-Dietrich Sander schon 1988 erkannte, daß Benjamin anders als die Protagonisten der Frankfurter Schule sein ganzes Leben hindurch gegen die entortende Strömung angekämpft habe. Das "Gesetz des Ortes" also als Topos eines Denkers, der später zur Ikone der politischen Linken stilisiert wurde und der proklamierte, daß die Identitätskrise der Moderne gerade das Ergebnis gescheiterter Ortungen ist? Dem ist in der Tat so, denn Benjamin verwendet den Begriff des Ortes bewußt von Carl Schmitt her. Der vorliegende Essay liest sich als Zeugnis dafür.

Auch in den anhängenden zahlreichen Briefen zwischen Benjamin und Adorno ist nicht erwähnt, daß es einen Brief Benjamins an Carl Schmitt vom 9. Dezember 1930 gab - der Abdruck wäre sensationell gewesen -, den Adorno aber aus seiner Erstausgabe Benjaminscher Schriften unter Tilgung aller Verweise auf Schmitt strich. Offenbar gehört das Streben nach Aura und Verortung von Menschen und Kunst innerhalb eines Kulturkreises nicht zu den Dogmen der Frankfurter Schule, welche sich mit der Herausgabe seiner Schriften den Philosophen Benjamin gleichsam aneignete und Mißliebigkeiten "herrschaftsfrei" ausmerzte. Und so hätte dieser selbst der Haltung zugestimmt, daß diese Welt der sich hegemonial multiplizierenden Mode und des Nutzens eine Welt des Scheins ist, der ebenso wie dem Kunstwerk das Ursprüngliche als Ausdruck des Auratischen fehlt.

Walter Benjamins Aufsatz bleibt einer der bedeutendsten Texte über die Veränderung der Kunst im technischen Zeitalter. Darüber hinaus ist er eine überzeugende Kritik der Moderne. Die neue Auflage des Buches im Suhrkamp-Verlag ist begrüßenswert, jedoch hätte die darin enthaltene Rezeptionsgeschichte um wesentliche Neuerkenntnisse ergänzt werden müssen, sind diese doch dem eigentlichen Verständnis Benjamins alles andere als hinderlich.

Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Kommentiert von Detlev Schöttker. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007, broschiert, 254 Seiten, 9 Euro

Foto: Walter Benjamin im Pariser Exil in den dreißiger Jahren: Ein ganzes Leben hindurch gegen die entortende Strömung angekämpft


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