© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/07 07. Dezember 2007

Ein Radio in der Blutbahn
Der kleinste UKW-Empfänger der Welt feiert Premiere / Ein weiterer Triumph der Nanotechnologie
Michael Manns

Simpel, winzig, eigentlich genial: US-Forscher haben das kleinste Radio der Welt gebaut, kleiner als ein Blutkörperchen. Es reicht für den vollen UKW-Empfang. Zur Premiere ließ der Winzling unter anderem "Good Vibrations" von den Beach Boys und - als Hommage an die erste US-Radioübertragung 1906 - das "Largo" aus der Händel-Oper "Xerxes" erklingen.

Der Coup gelang der Forschergruppe um den Physiker Alex Zettl von der Universität Berkeley. Sie sind Nano-Visionäre. Das heißt: Sie wollen materielle Strukturen nutzen oder manipulieren, die kleiner als 100 Nanometer sind. Ein Nanometer entspricht dem Milliardstel eines Meters oder dem millionstel Millimeter. Das Kernstück des Nano-Radios mißt weniger als einen tausendstel Millimeter. Nur mit einem Hightech-Mikroskop erkennbar, für das menschliche Auge also unsichtbar.  Damit wird das Chip-Radio im Mobiltelefon noch einmal eindrucksvoll deklassiert, was die Miniaturisierung betrifft.

Herzstück des Empfängers ist ein superkleines Kohlenstoffröhrchen. Dabei handelt es sich um aufgerollte Graphit-Schläuche, die wenige Nanometer dick und einige tausendstel Millimeter lang sein können. Das Nanoröhrchen des kalifornischen Radios übernimmt simultan die Funktion aller vier zentralen Komponenten eines Empfängers: Antenne, Empfangsteil, Verstärker und Demodulator. Es läßt sich der gesamte UKW-Frequenzbereich einstellen. Zettl: "Es ist lächerlich einfach. Das macht seine Schönheit aus."

Im Fachmagazin Nano Letters weist Zettl darauf hin, daß das Gerät so klein ist, daß es per Injektion in die Blutbahn geschickt werden kann. Und hier öffnen sich radikal neue Anwendungsbereiche: etwa Mikrogeräte im Blutkreislauf. Oder Sensoren, die ihre Meßwerte selbständig per Funk übermitteln.

Das Nano-Radio bringt die Nano-technologie wieder ins Gespräch, um die es zeitweise still geworden war. 1986 wurden die Visionen von dem US-Ingenieur Eric Drexler entworfen. Er träumte von einer Neuerfindung der Technik. Materie würde auf der Ebene der Atome und Moleküle chemisch so umprogrammiert, daß sie sich zu jedem beliebigen Objekt formen lassen könne. Drexler machte den Begriff Nanotechnik populär.

Heute reichen die Anwendungsgebiete von der Medizin bis zur Metallbearbeitung. Dank Nano machten die Chemiker große Fortschritte bei der Entwicklung neuerartiger Materialien, die kratzfest, wasserabweisend oder nichthaftend werden. So lassen sich die Oberflächen von Autokarossieren, Hausfassaden etc. veredeln. Dann gibt es die Nanotubes, winzige Röhrenmoleküle aus Kohlenstoff. Sie sind stärker als Stahl, sie leiten Wärme besser als alle bekannten Stoffe und Strom besser als Kupfer.

Nanomediziner sehen revolutionäre Ansätze für die Tumortherapie, neue Systeme für die kontrollierte Freisetzung von Wirkstoffen im Körper, verbesserten Ersatz von Knochen und Gewebe, erhöhte Verträglichkeit von Implantaten, Kathetern oder Hörgeräten, keimtötende Oberflächen in der Klinik, neue Materialien in der Dentaltechnik, hochempfindliche Biochips und vieles mehr. So lauteten die Visionen auf der "NanoMed 2006" in Berlin.

Im Nano-Kampf gegen den Krebs ist die Berliner Firma MagForce weltweit führend. Ihre Therapie gilt als aussichtsreicher Ansatz. Sie sieht so aus: In den Tumor werden winzige, eisenoxidhaltige Partikel - ein jedes nicht größer als 15 Nanometer - injiziert. Aufgrund einer patentierten nanochemischen Hülle halten die kranken Zellen die Nanoteilchen für Nährstoffe und nehmen sie auf. Anschließend wird von außen ein elektromagnetisches Wechselfeld angelegt, welches die Nanoteilchen in Schwingungen versetzt. So wird der Tumor - und nur der Tumor - bis zu 70 Grad Celsius erhitzt. Das kranke Gewebe wird also förmlich "verkocht".

Zettl, der Vater des Nano-Radios, arbeitet an Nanomaschinen, nano-elektromechanischen Systemen, sogenannten Nems. Das erste war ein Nanorotor, den er 2003 mit seiner Forschungsgruppe konzipierte. Ein Siliziumplättchen dreht sich auf einer Achse zwischen zwei Elektroden, wenn eine Spannung angelegt wird. Als Achse dient eine Kohlenstoff­nanoröhre. In einem weiteren Experiment hat er eine Art Nanohydraulik gebaut. Dabei wächst ein Tröpfchen aus flüssigem Metall, das zwischen zwei Nanoröhren positioniert ist, wenn eine Spannung an die Konstruktion gelegt wird - Metallatome werden aus einem Reservoir in das Tröpfchen hineingesaugt. Das schwellende Tröpfchen drückt die obere Nanoröhre nach oben. Die Kraft, die so ausgeübt wird, sei zwar für sich genommen klein, auf die Fläche bezogen jedoch riesig. Zettl: "Die Leistungsdichte ist zehn- bis hundertmal so groß wie die eines BMW-Sechszylindermotors." Bislang handelt es sich aber alles nur um Prototypen.

Ökonomisch gesehen könnte es sich bei der Nanotechnologie um einen gigantischen Markt handeln. Die Allianz-Versicherung hat in einer Studie mit der OECD festgestellt, das wirtschaftliche Potential der Nanotechnologie sei unerschöpflich: "Bis 2014 sollen entsprechende Produkte einen Anteil von 15 Prozent der globalen Warenproduktion haben - gegenüber heute 0,1 Prozent."

Zurück zum Nano-Radio. Wie klingt es? Nun: Hifi ist es wirklich nicht. Alles etwas kratzig und weckt eher Nostalgie-Gefühle an die alten Röhren-Radios (Hörproben im Internet unter http://tinyurl.com/2ryzvq ). "Vielleicht werden die Kids ja bald Nano-Radios anstelle von iPods in ihren Ohren tragen", meinte Zettl scherzhaft. Ob das kulturell und sozial eine so erstrebenswerte Entwicklung ist, bleibt die Frage. Die Einheitskost des Dudelfunks als implantierbare Lösung? Das läßt dann doch etwas gruseln.

Foto: Wissenschaftler im Reich der millionstel Millimeter: Eine Neuerfindung der Technik


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