© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/07 14. Dezember 2007

In der Schußlinie
Der pakistanische Präsident Pervez Musharraf legt seine Memoiren vor
Michael Wiesberg

Pakistans Präsident Pervez Musharraf befindet sich derzeit in schwerer See. Ende November mußte er aus politischen Gründen gezwungenermaßen seinen Militärdienst beenden. Allerdings kann davon ausgegangen werden, daß damit seine engen Beziehungen zum in Pakistan alles dominierenden Militär nicht abreißen werden, bekundete er doch am Ende seiner 46jährigen Militärdienstzeit selbst: "Diese Armee ist mein Leben. Diese Armee ist meine Leidenschaft." Dem Abschied gingen turbulente Wochen voraus, in denen sich Musharraf nicht nur genötigt sah, den Ausnahmezustand zu verhängen, sondern auch - auf ausländischen Druck hin - Parlamentswahlen für Anfang 2008 anzukündigen. Alarmierend für Musharraf muß allerdings sein, daß die Regierung Bush, die den pakistanischen Präsidenten in der Vergangenheit unterstützt hat, mehr und mehr von ihm abzurücken scheint. Die Gefahr eines baldigen Machtverlustes kann für Musharraf deshalb nicht ausgeschlossen werden.

Ausgelöst wurde diese Erosion der Machtfülle durch das offizielle Ende von Musharrafs Amtszeit am 15. November dieses Jahres. Aufgrund der Doppelfunktion, die Musharraf bis vor kurzem als Armeechef und Präsident innehatte, wäre eine Annullierung der Wahl durch den Obersten Gerichtshof wahrscheinlich gewesen. Das sich abzeichnende Kräftemessen mit dem Obersten Richter Iftikhar Chaudhry löste Musharraf mit einem in diesen Zeiten probaten Mittel, nämlich mit dem Verweis auf die Notwendigkeiten im "Kampf gegen den Terrorismus", der durch Justiz und Verfassungsfragen nicht behindert werden dürfe. Musharraf erklärte den Ausnahmezustand und hoffte, bis zu dessen Ende die Lage in seinem Sinne politisch "bereinigen" zu können.

Allerdings hatte er seine Rechnung ohne die USA gemacht. Musharraf mußte US-Präsident Bush nicht nur versichern, als Armeechef zurückzutreten, sondern auch baldige Parlamentswahlen abzuhalten. Doch nicht nur das: Wa­shington macht kein Hehl daraus, daß es eine Regierungsbeteiligung der in Pakistan freilich unbeliebten Ex-Premierministerin Benazir Bhutto erwartet, der vor kurzem nach Pakistan zurückgekehrten Vorsitzenden der Pakistanischen Volkspartei.

Noch ein weiterer Rivale Musharrafs hat mittlerweile den Ring betreten, nämlich Ex-Premierminister Nawaz Sharif, Führer der Pakistanischen Muslimliga, der sich nach dem Ende seines Exils in Saudi-Arabien anschickt, mit Bhutto gegen Musharraf gemeinsame Sache zu machen. Es ist derselbe Nawaz Sharif, den Musharraf im Oktober 1999 stürzte und unter Hausarrest stellen ließ.

Ob Bush Musharraf signalisieren wollte, daß er aus Sicht der USA nur noch ein Präsident auf Abruf ist, oder seine Forderungen nur als Warnung verstanden wissen wollte, darüber kann derzeit nur gemutmaßt werden. Die hier zum Ausdruck kommende Flüchtigkeit politischen Ruhms mag Musharraf bewogen haben, im letzten Jahr so etwas wie eine Autobiographie vorzulegen, die den bezeichnenden Titel "In the Line of Fire. A Memoir" trägt. In der Natur der Person Musharrafs liegt es, daß diese Autobiographie eher zur "Autohagiographie" geraten ist, wie das Wall Street Journal treffend anmerkte, und deshalb nicht ohne Widerspruch blieb. Die Memoiren erlauben aber dessenungeachtet unter anderem interessante Einblicke in die Art und Weise, wie die USA Interessenpolitik betreiben.

Musharraf, der 1943 im indischen Delhi geboren wurde, zog 1947 mit seinen Eltern in den westlichen Landesteil Indiens, der heute zu Pakistan gehört. Seiner Schulzeit in der Türkei widmet er ein ganzes Kapitel, das den bezeichnenden Titel "Türkei: Die prägenden Jahre" trägt. 1956 kehrt Musharraf nach Pakistan zurück und entscheidet sich für die Militärlaufbahn. Ab 1961 besucht er die Militärakademie in Kabul und das Royal College of Defence Studies in Großbritannien. Eine Ausbildungszeit verbrachte er darüber hinaus in Ankara.

Musharrafs Deutung der indisch-pakistanischen Kriege 1965 und 1971 muß, um es vorsichtig zu sagen, als eher "subjektiv" gefärbt bezeichnet werden, sieht er doch Pakistan zum Beispiel als Sieger des Krieges von 1965; eine Auffassung, die von kaum einem unabhängigen Historiker geteilt wird. Darüber hinaus versucht Musharraf, Indien die Schuld an allen drei pakistanisch-indischen Kriegen zuzuschieben (1947/49, 1965, 1971; hinzugerechnet werden muß auch der kriegsähnliche "Kargil-Konflikt" 1999), was ebenfalls eine sehr eigenwillige Deutung der Vorgänge ist.

Der Militärputsch gegen Nawaz Sharif, mit dem Musharraf an die Macht kam, nimmt naturgemäß einen breiteren Raum ein. Auslöser waren Scharmützel in der indischen Kargil-Region, wo im Frühsommer 1999 pakistanische Truppen und muslimische Freischärler die Waffenstillstandslinie in Kaschmir überschritten und militärisch wichtige Höhen besetzten. Sharif ordnete auf Druck vor allem der USA einen Truppenrückzug an. Die Armee fühlte sich verraten. Sharifs Versuch, Musharraf als Armeeführer abzulösen, scheiterte und löste den Militärputsch mit aus, der mit Sharifs Abschiebung nach Saudi-Arabien endete. Zu den spannendsten Passagen gehören sicherlich diejenigen Ausführungen, die sich um den 11. September 2001 und den "Anti-Terrorkrieg" der USA drehen.

Musharraf läßt durchblicken - und diese Offenheit ist für einen aktiven Politiker eher ungewöhnlich -, daß ihm nach dem 11. September gar nicht viel anderes übrigblieb, als Pakistan in die Anti-Terror-Allianz einzureihen. Zunächst  stellt er fest, daß es die USA, Saudi-Arabien und Pakistan waren, die das Problem des islamischen Extremismus beförderten, als sie die Islamisten im Kampf gegen die sowjetische Besetzung Afghanistans unterstützten. Nach dem 11. September 2001 hätten die USA aber wie ein "verwundeter Bär" reagiert. Colin Powell, damals Außenminister der Regierung Bush, habe mit ihm telefoniert, schreibt Musharraf, und ihm ein Ultimatum gestellt. Powell soll gesagt haben: "Entweder seid ihr für oder gegen uns."

Dem damaligen US-Vize-Außenminister Richard Armitage blieb es dann vorbehalten, gegenüber dem Direktor des pakistanischen Geheimdienstes ISI (Inter Services Intelligence) zu erläutern, was eine Entscheidung gegen die USA für Pakistan bedeutet hätte, nämlich ein "Zurückbomben in die Steinzeit" ("bombing back to the Stone Age"). Daß Musharraf sich unter diesem Druck entschieden hat, Pakistan in die Anti-Terror-Allianz einzureihen, ist nachvollziehbar, hat ihm allerdings bei seinen Gegnern den Spitznamen "Busharraf" eingebracht. Die USA lassen sich die Unterstützung einiges kosten. Pakistan soll monatlich bis zu 100 Millionen Dollar von den USA erhalten, um die islamistischen Gruppen im Norden des Landes zu bekämpfen.

Möglicherweise hat diese Auskunftsfreudigkeit und Musharrafs Kritik am Irak-Krieg, der die Welt seiner Ansicht nach "gefährlicher" gemacht habe, mit dazu geführt, daß dessen Aktien in Wa­shington sukzessive gesunken sind. Welchen Stellenwert Musharraf dort noch genießt, könnten möglicherweise bereits die nächsten Wochen zeigen.

Pervez Musharraf: In the Line of Fire. A Memoir. Simon & Schuster , London 2006, gebunden, 335 Seiten, 32,90 Euro

Foto : Musharraf mit US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld im Pentagon, Februar 2002: "Zurückbomben in die Steinzeit"


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