© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/07-01/08 21./28. Dezember 2007

Die Hemmschwelle sinkt
Erziehung: Anstieg der Jugendgewalt in Deutschland / Spezielle Dienststellen der Polizei / Studie der Innenministerkonferenz
Josef Hämmerling

Deutsche Jugendliche werden immer gewalttätiger. Vor allem bei der "gemeinschaftlich begangenen Körperverletzung" sind hohe Zuwachsraten zu verzeichnen. Dies gilt besonders für Hamburg, Bremen, Baden-Württemberg und das Saarland. Den traurigen Spitzenplatz nimmt jedoch Niedersachsen ein, wo die Zahl der Körperverletzungen durch Jugendliche binnen eines Jahrzehnts von 5.198 auf 10.280 Fälle anstieg.

Die Täter, deren kultureller Hintergrund im Dunkeln bleibt, sind demnach meist um die 20 Jahre alt und werden immer brutaler. Dies ist das Ergebnis der für die Innenministerkonferenz erstellten Studie "Entwicklung der Gewaltkriminalität junger Menschen mit einem Schwerpunkt auf städtischen Ballungsräumen".

Kaum Jugendgangs wie in Frankreich

Die Autoren dieser Untersuchung stellten jedoch fest, daß es mit Ausnahme von Bremen und Berlin deutschlandweit keine ausgeprägte Bildung von Jugendgangs gibt wie in anderen Ländern, beispielsweise in Frankreich. Vielmehr handle es sich zumeist "um lose, wohn- oder schulnahe Gruppierungen mit wechselnden Mitgliedern, die überwiegend Aggressionstaten innerhalb der jeweiligen Altersgruppe begehen, eher in Form einer Clique".

Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) fügte gegenüber Welt online zu: "Früher gab es eine natürliche Hemmschwelle: Wenn jemand bei der Schulhofprügelei am Boden lag, wurde nicht mehr nachgetreten. Das ist heute anders."

Ein "deutliches Warnzeichen" für die Gesellschaft sieht der Hamburger Innensenator Udo Nagel in dieser Entwicklung. "Offensichtlich existiert unter jungen Menschen eine immer niedrigere Hemmschwelle zur Ausübung von Gewalt", sagte er. Eine Möglichkeit, diesen Trend zu stoppen, sieht der parteilose Politiker in einer Verschärfung des Strafrechts. Zumindest müsse hierüber nachgedacht werden.

Bestätigt wurden diese Studie durch neueste Zahlen aus Berlin. Wie Innensenator Ehrhart Körting (SPD) am Sonntag eingestehen mußte, habe die Gewalt von Jugendgruppen 2007 gegenüber dem vergangenen Jahr um drei bis vier Prozent zugenommen. "Das ist etwas, was mich beunruhigt." Der Senat spreche mit Verbänden verschiedener ethnischer und nationaler Gruppen, wie man auf die betroffenen Familien einwirken könne. Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (Linkspartei) werde außerdem ein Beschäftigungsprogramm für junge Leute auflegen, sagte Körting.

Darüber hinaus planen die Berliner Polizei und Justiz ab Januar ein neues Konzept gegen Jugendbanden und Gewalttäter. Dieses richtet sich vor allem an Täter zwischen 14 und 21 Jahren, die mindestens fünf Gewaltdelikte pro Jahr begangen haben. Spezielle Dienststellen der Polizei und Staatsanwaltschaft, die sich schon jetzt um die 434 Intensivtäter mit mindestens zehn Taten im Jahr kümmern, sollen dann auch ein Auge auf diese Nachwuchstäter haben.

Gerade diese Zunahme jugendlicher Gewalt ist auch der Grund für den erstmaligen Einsatz von privaten Wachschützern an Schulen. Im Berliner Bezirk Neukölln, in dem es eine Reihe sozialer Brennpunkte gibt, kontrollieren und schützen Wachleute seit voriger Woche 13 Schulen. Das Bezirksamt erhofft sich davon nicht nur die Verhinderung von Amokläufen an Schulen, sondern auch eine allgemeine Eindämmung der Gewalt. Auch will man so Drogenhandel und -konsum auf dem Schulgelände wenn nicht verhindern, so doch eindämmen.

Interessanterweise zeigen Untersuchungen jedoch, daß die Jugendgewalt an Schulen eher rückläufig ist. Während nach Angaben des Verbandes der Unfallkassen 1993 immerhin noch 15,5 Prügeleien auf 1.000 Schüler kamen, waren es zehn Jahre später nur noch 11 Prügeleien: ein Rückgang von immerhin rund 30 Prozent.

Wie die Autoren der für die Innenministerkonferenz erstellten Studie herausfanden, nahm im Lauf der Jahre deutlich die Bereitschaft zu, die Täter anzuzeigen. So sei es durchaus möglich, daß es auch 1993 deutlich mehr Fälle von Körperverletzung gegeben habe als registriert, die aber mangels Anzeige nicht in der Statistik auftauchten. Einen abschließenden Bericht, der auch dieser Frage nachgeht, soll es im Frühjahr 2008 geben.


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