© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/07-01/08 21./28. Dezember 2007

Die Feier des Lichtes
Christus, die wahre Sonne
Karlheinz Weissmann

Weihnachten als "Lichterfest" beginnt ganz klein, mit den Laternen zu Sankt Martin, dann folgen nacheinander die vier Kerzen am Adventskranz und die vielen am Christbaum, bis schließlich zu Epiphanias oder Heilige Drei Könige der Umzug unter dem Stern den Abschluß bildet. Die Volkstümlichkeit dieser Feste steht im Zusammenhang mit ihrer Anschaulichkeit und den in vielen Fällen noch erhaltenen Bräuchen, vom Martinsritt und den Bittgängen über die Ausschmückung der Häuser bis zum "C - M - B", das die Sternsinger mit Kreide über den Hausportalen anschreiben.

Das Licht spielt bei alldem eine Rolle, es wirkt freundlich und wärmend in der dunklen Jahreszeit. Allerdings kann diese in unserer Tradition so wichtige Heimeligkeit den Blick verstellen auf einen Aspekt, der weniger populär, aber symbolisch bedeutsamer ist: das Licht der "Weihnachtssonne".

Wenn am ersten Weihnachtstag die Lesung aus dem Johannesevangelium gehalten wird, dann geht es um dieses Licht, das aber kein gemütliches, sondern ein triumphierendes Licht ist: "In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis und die Finsternis hat's nicht ergriffen" (Johannes 1, 4f.). Die Metaphorik bezieht sich auf die Gegenüberstellung zwischen dem - göttlichen - Licht und der - widergöttlichen - Dunkelheit, auf das Eindringen des Lichtes in die Dunkelheit, seine vorübergehende Niederlage und schließlichen Sieg.

Die Verknüpfung zwischen dem Licht und dem Göttlichen hat eine sehr lange biblische Tradition. Im Alten Testament wird immer wieder auf das Helle der göttlichen Gestalt hingewiesen. Mose bedeckte vor dem brennenden Dornbusch sein Antlitz; er mußte ein Tuch auf sein Gesicht legen, weil das Volk schon durch den Abglanz Gottes erschrak, als Mose nach Übergabe der Gesetzestafeln vom Berge Sinai herabstieg; die Bitte des Mose, Gott sehen zu dürfen, wurde nur insofern erfüllt, als er in einer Felsnische stehend einen Blick auf dessen Schatten werfen konnte, "denn kein Mensch wird leben, der mich sieht" (2. Mose 33, 20); sogar die Seraphim, die immer in der Gegenwart Gottes sind, müssen ihr Gesicht hinter Flügeln verbergen.

Die Lichtgestalt des Göttlichen ist allerdings keine auf die Bibel beschränkte, sondern eine allgemeinmenschliche Vorstellung. Das indogermanische Wort dei, von dem sich Götternamen wie Dyaus pitar, Zeus, Jupiter, aber auch die lateinische Bezeichnung deus für den Gott ableitet, bedeutete ursprünglich "leuchtend", und in vielen Schöpfungserzählungen wird der Prozeß der Welt­entstehung selbst mit dem der Lichtwerdung verbunden. Die Dunkelheit ist dagegen eine präkosmische Größe, chaotisch, ungeordnet, fruchtbar und furchtbar. Im Rigveda heißt es ausdrücklich, daß am Anfang nichts war, nicht einmal die Nacht, aber das "Dunkel war, von Dunkel verborgen". Erst durch das Licht entsteht das Seiende: eine Vorstellung, die man auf die Urerfahrung des Tag- und Nachtwechsels zurückführen kann, als dem Menschen noch keine technischen Leuchtmittel in Menge zur Verfügung standen. Deshalb war "Es werde Licht!" so plausibel als Beginn des Schöpfungsaktes und abgeleitet davon die Rede von der "Erleuchtung", die nachwirkt bis zum Begriff der "Aufklärung", deren Sinn es ja sein sollte, das "Licht der Vernunft" erstrahlen zu lassen.

Sonne und Mond sind Werk Gottes, aber nicht selbst göttlich. Die scharfe Grenze zwischen Schöpfer und Geschöpf gehört zu den Grundlehren des Alten Testaments und erklärt das Mißtrauen gegenüber allen Versuchen, den Unterschied zu verwischen.

Vor allem aber rührt aus diesem Vorstellungszusammenhang die große Zahl der Sonnengötter, in den Religionen des Orients ebenso wie in denen der mittelamerikanischen Indianer oder im Shinto Japans. In manchen Fällen wie dem des alten Ägypten wirkt der ganze Pantheon sonnenfixiert, in anderen erscheint ein Gott wie der griechische Helios eher als Randfigur. Meistens gilt die Sonne als männlich, das Deutsche macht diesbezüglich eine schwer deutbare Ausnahme. Symbole der Sonne sind der Kreis, aber auch das gleicharmige Kreuz, alleinstehend oder in den Kreis gesetzt. Die Sonne fährt auf einem Wagen oder einem Schiff über den Himmel, in der Nacht verschwindet sie in der Unterwelt und bildet mit ihrem Lauf ein Sinnbild des ewigen Wechsels von Leben und Tod.

Das Archetypische solcher Auffassungen ist unmittelbar zugänglich - der junge Goethe, angeödet von der Langeweile seines Religionsunterrichts, begann in seinem Kinderzimmer aus spontaner Eingebung der Sonne einen Altar zu errichten und entzündete bei Sonnenaufgang ein Licht zu ihrer Verehrung: "Die allgemeine, die natürliche Religion", heißt es in "Dichtung und Wahrheit", "bedarf eigentlich keines Glaubens: denn die Überzeugung, daß ein großes, hervorbringendes, ordnendes und leitendes Wesen sich gleichsam hinter der Natur verberge, um sich uns faßlich zu machen, eine solche Überzeugung dringt sich einem jeden auf".

In der Bibel ist allerdings ein prinzipieller Vorbehalt gegenüber "solcher Überzeugung" wirksam. Wenn Genesis 1 nicht nur die Schaffung von Licht, Sonne und Mond trennt, sondern auch betont, daß Sonne und Mond lediglich "Leuchten" seien, so hatte das den Zweck, deutlich zu machen, daß die beiden wohl Werk Gottes, aber eben nicht selbst göttlich seien. Die scharfe Grenze zwischen Schöpfer und Geschöpf gehört zu den Grundlehren des Alten Testaments und erklärt das Mißtrauen gegenüber allen Versuchen, den Unterschied zu verwischen. Eine Formulierung wie in Psalm 84 ("Denn Gott der Herr ist Sonne und Schild") gehört zu den Ausnahmen in der Bibel - und war jüdischen Schriftgelehrten später so anstößig, daß sie in der Septuaginta mit "Gott der Herr liebt Erbarmen und Wahrheit" übersetzt wurde. Die im Laufe der Zeit immer weiter verschärfte Bildlosigkeit des Judentums erklärt auch, warum seine Lichtmetaphorik schließlich einen ganz abstrakten Charakter annahm.

In die volkstümliche Tradition gehört indes das jüdische Lichterfest Chanukka, das wie Weihnachten im Dezember gefeiert wird. Es geht zurück auf die Befreiung Israels durch Judas Makkabäus und die Wiederherstellung des Kultus im zweiten Jahrhundert vor Christus. Der Legende nach soll die Reinigung und neue Weihe des Tempels nach Vertreibung der Fremdherrscher neun Tage gedauert haben; obwohl sich nur ein Gefäß mit Lampenöl für einen Tag erhalten hatte, brannte es die ganze Zeit. Das Symbol des neunarmigen Leuchters und das ausgelassene - in vielem an Karneval erinnernde - Chanukka entsprechen der jüdischen Volksfrömmigkeit, stehen aber am Rande der biblischen Überlieferung.

Auf den ersten Blick unterscheidet sich die Rede vom Licht im Neuen Testament kaum von der im Alten. Christus selbst sprach von Licht und Sonne in positiven, aber eher allgemeinen Wendungen, und sicher hat man die Weissagungen zur Ankunft des Messias in Gestalt eines "gewaltigen Lichtes" (Jesaja 9, 1) gekannt und auf die Erzählung vom Weihnachtsstern ebenso bezogen wie auf das Erscheinen des Lichtes bei der Geburt Christi, wenn die Hirten den Himmel offenstehen sehen. Eher lehrhaft-philosophisch wirken demgegenüber die erwähnte Passage des Johannesevangeliums oder ähnlich lautende Abschnitte in den Briefen. Das Herrenwort "Ich bin das Licht der Welt" (Johannes 8.12) steht dagegen allein. Es wirkt trotz des Machtanspruchs längst nicht so irritierend wie die Rede vom "Sonnenweib", das den Erlöserknaben gebiert, oder die Vision des "Menschensohns" in der Offenbarung (1.16): "Und er hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand, und aus seinem Munde ging ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Angesicht leuchtete, wie die Sonne scheint in ihrer Macht."

Die Sonnenhaftigkeit ist hier ein Herrscherattribut und ein wichtiger Bezugspunkt für jene "Sonnen-Christologie" (Martin Wallraff), die sich in der kirchlichen Lehre später entwickeln sollte. Die erhielt ihren gültigen Ausdruck durch das Glaubensbekenntnis von Nicäa, das 325 nach langen theologischen Streitigkeiten um die wahre Natur Christi zustande kam und dessen Göttlichkeit besonders hervorhob: "Er ist aus dem Vater geboren vor aller Zeit, Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, wesenseins mit dem Vater." Die Betonung der solaren Symbolik hatte zu Beginn des vierten Jahrhunderts allerdings nicht nur innere Gründe; es ging auch um den Versuch, die christliche Lehre einer heidnischen Umwelt verständlicher zu machen, die sich von traditionellen Mustern löste und eine stärker monotheistische Tendenz zeigte, für die die Sonne oft als Emblem der höchsten Gottheit galt.

Dadurch erklärte sich der Aufstieg des Lichtgottes Mithras einerseits, die verbreitete Verehrung der "unbesiegbaren Sonne" (Sol invictus) andererseits. Sol invictus galt vor allem als eine Gottheit, die militärischen Triumph verhieß, weshalb die Verehrung durch die Kaiser besonders gefördert wurde. Dabei spielte die Identifikation von Herrscher und Gott eine Rolle, was die politische Brauchbarkeit erhöhte, während das Diffuse der religiösen Lehre die Anziehungskraft eher schwächte. Das Christentum sah in Sol invictus jedenfalls einen falschen Gott, dessen Anbetung zu bekämpfen war. In der Zeit der letzten großen Christenverfolgungen ging es immer auch darum, das Opfer vor dem Sonnengott zu verweigern. Für die Kirche galten beide als unvereinbar.

Trotzdem hat noch Konstantin, der erste christliche Kaiser, beide Religionen nebeneinandergestellt. Auch nach der Wende von 312 ließ er Münzen schlagen, die hinter dem Bild des Kaisers das des Sol wie einen Schatten zeigten, und 321 erließ Konstantin das "Sonntagsgesetz", in dem es ausdrücklich hieß: "Alle Richter und die Bevölkerung der Städte sollen am heiligen Tag der Sonne ruhen." Die Bezeichnung dies solis ("Tag der Sonne") hat Konstantin wohl bewußt an Stelle des christlichen dies dominica ("Tag des Herrn") gewählt, um der nach wie vor heidnischen Mehrheit seiner Untertanen keinen Anstoß zu geben.

Ähnlich verhielt es sich mit der Gleichzeitigkeit des Festes zur Geburt Christi am 25. Dezember und der am selben Tag gefeierten "Geburt der unbesiegten Sonne". Die Rede von der "Geburt" der Sonne hatte vor allem mit der Wintersonnenwende zu tun, für die Festlegung des Datums spielte aber auch die Beliebtheit der Saturnalien mit ihrem Feuerzauber am Beginn des Monats eine Rolle. Die Anziehungskraft des Festes muß groß gewesen sein, und es verbreitete sich mit der Romanisierung rasch in den Provinzen.

Am eindrucksvollsten zeigte sich der "Sonnencharakter" im Bild des Pantokrator, des "Allherrschers". Christus thronend, in prächtigem Gewand, mit ernstem Gesicht, das Buch des Lebens in der Hand, wurde so zum Inbegriff des endzeitlichen Königs.

Auf diese Weise scheint das Fest der Sonnenwende auch in den germanischen Raum gekommen zu sein, vorher war es dort unbekannt. Der Begriff ist tatsächlich erst im Mittelhochdeutschen nachzuweisen, und frühestens im 16. Jahrhundert gab es eine präzise Vorstellung von dem damit verknüpften Datum. Die älteren Germanen standen noch "auf der Stufe natürlicher Zeitrechnung" (Lily Weiser); sie begingen zwar im Winter eine längere Festzeit - in Skandinavien "Jul" genannt -, aber die hatte eher mit dem Totenkult zu tun, nicht mit einer Verehrung der Sonne, für die der kalendarische Bezug immer auf das Frühjahr verweist.

Der Romanisierung folgte die Christianisierung und mit ihr eine Bildsprache, die die Sonnenhaftigkeit des Erlösers stark betonte, weil sie besonders geeignet schien, den Heiden Eindruck zu machen. Als der heilige Patrick die Mission der Iren begann, lehrte er sie, daß es zu Ende sei mit der Verehrung der alten keltischen Sonnengottheiten, nun gelte der Glaube Christus, der "wahren Sonne". Aus diesem Bezug erklärte sich weiter die Übernahme bestimmter Attribute für die Darstellung Christi wie Nimbus und Strahlenkranz, die Verwendung von griechischem und Radkreuz, Löwe und Adler, die seit langem als Sonnensymbole verstanden wurden, oder die Gestaltung des Christogramms nach dem Muster von Emblemen, die vorher für Sol invictus üblich waren.

Am eindrucksvollsten zeigte sich der "Sonnencharakter" (Günter Spitzing) allerdings im Bild des Pantokrator, des "Allherschers". Christus mit ernstem, bärtigem Gesicht, thronend, in prächtigem Gewand, das Buch des Lebens in der Hand, wurde so zum Inbegriff des endzeitlichen Königs. In Kirchengebäuden bildete man den Pantokrator an der höchsten Stelle ab, etwa in der Kuppel, so daß hier Christus die Sonne, nicht die Sonne Christus vertrat. Bezeichnenderweise haben die muslimischen Eroberer Konstantinopels den Pantokrator im großen Halbrund der Hagia Sophia mit dem Text der Sure 24, Vers 35 verdeckt, in dem es heißt: "Gott ist das Licht der Himmel und der Erde. Sein Licht gleicht einer Nische mit einer Lampe. Die Lampe ist in einem Glas. Das Glas ist gleichsam ein glitzernder Stern - angezündet von einem gesegneten Baum, einem Ölbaum, weder vom Osten noch vom Westen, dessen Öl beinahe leuchtet, auch unberührt von Feuer, Licht über Licht."

Die Beziehung zwischen Sonne und Christus ist im Laufe der Kirchengeschichte zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Das gehört zur Frömmigkeitsgeschichte, die sich von den ursprünglichen biblischen Vorstellungen mehr oder weniger weitgehend löste und mit anderen Überlieferungen verschmolz. Sie stand im Hintergrund der Ostung von Gebets- und Altarrichtung, der Identifikation von Sonnenaufgang, Ostern, Himmelfahrt und Wiederkehr Christi, spielte eine Rolle für die Theologie des Lichts im Denken des Augustinus wie in der Gestaltung der farbigen Kirchenfenster und der großen gotischen Rosetten des Mittelalters, gehörte seit dem Barock zu den bevorzugten Gestaltungselementen der Monstranz und fand vor allem ihren Niederschlag in der Liturgie. Im byzantinischen Ritus zu Epiphanias erklingen die Worte "Aufgegangen aus einer Jungfrau bist du, Christus, geistige Sonne der Gerechtigkeit", und in der Oration der Ersten Weihnachtsmesse der Katholiken heißt es: "Gott, Du hast diese hochheilige Nacht durch den Aufgang des wahren Lichtes taghell gemacht."

Am berührendsten ist aber wohl, was der große evangelische Dichter Paul Gerhardt in seinem Lied "Ich steh an deiner Krippen hier" über die Weihnachtssonne sagte: "Ich lag in tiefer Todesnacht, / Du warest meine Sonne, / Die Sonne, die mir zugebracht / Licht, Leben, Freud und Wonne. / O Sonne, die das werte Licht / Des Glaubens in mir zugericht / Wie schön sind deine Strahlen!

 

Dr. Karlheinz Weißmann, 48, ist Historiker und Studienrat an einem Gymnasium in Göttingen. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über die "verpaßte Wende" (JF 40/07).

Bild: Christus Pantokrator, Mosaik in der Hagia Sophia, 9. Jahrhundert: Die Verknüpfung zwischen Licht und Göttlichem hat biblische Tradition, ist darüber hinaus aber allgemeinmenschliche Vorstellung


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