© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/08 04. Januar 2008

Wahlkampf statt Regierungsarbeit
Große Koalition: Das Bündnis zwischen Union und SPD wird 2008 kaum noch etwas bewegen / Landtagswahlen werfen Schatten voraus
Paul Rosen

Wählerprozente sind das Brot des Politikers. Und davon gibt es vor der Bundestagswahl 2009 etliche zu verteilen. Wenn die Kommunalwahlen in verschiedenen Bundesländern mit eingerechnet werden, stehen bis 2009 noch 22 Wahlgänge an. Grund genug für die Berliner Regierungsparteien Union und SPD, intern den Stillstand der Politik auszurufen und sich für die Wahlkämpfe in Stellung zu bringen.

Das abgelaufene Jahr war nicht das schlechteste für Deutschland. Die Zahl der Arbeitslosen ging stark zurück. Das Land spürte seit Jahren erstmals wieder den Hauch eines wirtschaftlichen Aufschwungs. Größere Teile der Koalitionsvereinbarung sind abgearbeitet. Union und SPD haben eine Gesundheitsreform ins Gesetzblatt gebracht, die Reform der Erbschaftsteuer läuft. Auch mit der Unternehmensteuerreform wird es noch was werden. Versagt hat die Regierung bei der Reform der Pflegeversicherung, die nur aus einer Betragserhöhung
besteht.

Selten ist Politik so stark als Inszenierung betrieben worden wie zu Zeiten der Regentschaft einer Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Pastorentochter hat sich auf dem internationalen Parkett glänzend eingeführt: Sie gilt als oberste Klimaschützerin. Ihr Besuch auf Grönland, wo sie zurückweichende Gletscher besichtigte, war eine erstklassige Medieninszenierung. Zugleich bewies sie in Menschenrechtsfragen Hartnäckigkeit und wagte die Auseinandersetzung mit Chinas Kommunisten, indem sie den obersten Tibeter, den Dalai Lama, empfing. Selbst dem afrikanischen Despoten Robert Mugabe, der das einst blühende Simbabwe (Rhodesien) zu einem der dunkelsten Orte auf diesem Planeten gemacht hat, setzte sie zu. Merkel, deren CDU zu Oppositionszeiten mit Gesundheitsfonds und Bierdeckel-Steuerreform nicht gerade als volkstümliche Partei auftrat, avancierte zur beliebtesten deutschen Politikerin - noch vor dem Außenminister, der diesen Rang früher traditionell innehatte.

Doch Wahlen werden nicht mit Außenpolitik gewonnen. Deshalb legte die SPD frühzeitig alle Überlegungen ad acta, aus Meinungsverschiedenheiten über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr eine Koalitionskrise mit vorgezogenen Neuwahlen zu machen. Der Streit um den Truppeneinsatz brachte in den Umfragen keinen Aufwärtstrend für die Sozialdemokraten. Die ohnehin nicht gefestigte SPD suchte vom Herbst an ihr Glück auf dem politischen Lieblingsplatz der Deutschen, der Sozialpolitik. Der Streit um die Verlängerung der Zahlungsdauer des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitslose war das erste Wetterleuchten. Nach dem SPD-Parteitag, auf dem er eine Vitalspritze ohnegleichen bekam, drehte SPD-Chef Kurt Beck auf, was man dem behäbig wirkenden Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz gar nicht zugetraut hätte. Mit dem Thema "Mindestlohn" hat er die Union dort hingebracht, wo sich die Sozialdemokraten seit der Bundestagswahl 2005 befanden: in der Defensive.

Blick ins Kinderzimmer

Die beiden Flügelmänner der Unions-Wahlkämpfer, die Ministerpräsidenten Roland Koch (Hessen) und Christian Wulff (Niedersachsen), müssen sich seitdem fragen lassen, ob sie für Hungerlöhne sind oder einen Mindestlohn befürworten, der garantiert, daß die Beschäftigten von dem verdienten Geld auch ihren Lebensunterhalt bezahlen können. In Niedersachsen regiert Wulff mit einer CDU/FDP-Koalition, Koch herrscht in Hessen mit absoluter Mehrheit. Da die Wähler und besonders der weibliche Teil auch sehr stark persönliche Lebensumstände von Politikern in ihre Wahlentscheidung einbeziehen, dürfte Wulff sich von den politischen Themen absetzen können. Daß er und seine neue Partnerin ein Kind erwarten, wird einen Teil der Wählerschaft mehr interessieren als Mindestlöhne. Gezielt gestreute Nachrichten über die Ausstattung des Wulffschen Kinderzimmers und die Babywäsche tun ihr übriges. Wulff managt sein Privatleben beinahe vorbildlich - im Unterschied zu den Katastrophen, die ein Horst Seehofer (CSU) produzierte.

Den Vorteil von Wulff hat Koch nicht. Umfragen besagen, daß die absolute Mehrheit auf keinen Fall zu halten ist und es eventuell sogar für eine schwarz-gelbe Koalition in Wiesbaden knapp werden könnte. Koch weht der Mindestlohn-Sturm voll ins Gesicht. "Der gefühlte Zeitgeist spukt links", stellte bereits der Berliner Tagesspiegel fest. Die Sozialdemokraten können ganz nach Bedarf weitere Branchen, etwa die Fleischindustrie, für Mindestlohnregelungen vorschlagen. Stets wird die Union aus ordnungspolitischer Sicht sagen, das gehe nicht, und damit in die Falle der sozialen Kälte laufen. Das funktioniert aus Sicht der SPD inzwischen wie ein Pawlowscher Reflex und hält den Sozialdemokraten auch die Linkspartei auf einige Distanz.

Die Rückkehr des Genossen-Dampfers

Aus der von Gerhard Schröder geformten Agenda 2010-SPD ist inzwischen wieder der Genossen-Dampfer geworden, etwas altbacken und vielleicht auch miefig, aber schön wärmend gegen die kalten Stürme der Globalisierung. Das Problem der Genossen ist nur, daß sie keine populären Herausforderer in den Ländern haben. Beck kann also nicht auf Sieg spielen lassen, sondern bestenfalls auf eine sozialdemokratische Regierungsbeteiligung.

In Bayern, wo 2008 im Herbst gewählt wird, ist es der CSU gelungen, ihren Führungswechsel geräuschlos über die Bühne zu bringen. Dabei hat sich die Bayern-Union so glattgeschliffen, daß von dem neuen Führungsteam Günther Beckstein und Erwin Huber kaum noch was zu vernehmen ist. Die alte weiß-blaue Größe, der "Mythos Bayern", wie Stoiber einst sagte, verwelkt. Beckstein wird die absolute Mehrheit im Herbst holen, aber ein zweistelliges Minus ist möglich.

Daß die Große Koalition zwischen Union und SPD in Berlin vor diesem Hintergrund noch größere Projekte im Jahr 2008 ansteuert, ist nicht zu erwarten. Die Bahnreform ist liegengeblieben. Wenn die Linke weiter gegen die Bahnreform als Verschleuderung von Volksvermögen trommelt, wird die SPD zu mehr als zu einer Pseudo-Reform nicht bereit sein.

Der große Trend in Deutschland geht hin zur Renaissance einer staatlich stärker dirigierten Wirtschaft, nachdem die Marktwirtschaft in einigen Teilen zu einem Manchester-Kapitalismus entartet und von der Sozialen Marktwirtschaft, für die einst die Union stand, nichts mehr zu vernehmen ist. Diese Lage nutzt mehr dem linken als dem bürgerlichen Lager.


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