© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/08 04. Januar 2008

Am Ende entscheidet dann die Mitte
US-Präsidentschaftswahlkampf: Bei Demokraten und Republikanern können sich jeweils drei Kandidaten berechtigte Hoffnungen machen
Elliot Neaman

Alle vier Jahre wieder begibt es sich zu dieser Jahreszeit, daß die Anwärter auf die republikanische Präsidentschaftskandidatur ihren Wahlkampf für den parteiinternen Vorentscheid an der Rechtsaußen-Flanke absolvieren. Demokratische Bewerber wiederum pflegen sich weiter links zu positionieren als ihre in der politischen Mitte angesiedelte Klientel. Für den eigentlichen Präsidentschaftswahlkampf schwenkt der jeweils auserkorene Kandidat dann zu ebendieser Mitte zurück. In einem Land mit fünfzig Einzelstaaten und Hunderten von Interessengruppen, die berücksichtigt werden wollen, beeinflußt dieser Spagat jeden Schritt, den die Kandidaten während des Wahlkampfes tun. Liberale Kandidaten etwa suchen sich häufig einen konservativen Bewerber auf die Vizepräsidentschaft. So nahm sich Al Gore 2000 Jo Lieberman.

Auch geographische Herkunft, Geschlecht, Ideologie, Alter und ähnliche Faktoren spielen bei dieser Entscheidung eine ebenso wichtige Rolle wie Kompetenz und Erfahrung der beiden Hoffnungsträger. Deswegen sollte sich niemand wundern, im kommenden Herbst republikanische Autoaufkleber mit zu vielen Vokalen zu sehen, auf denen zu lesen sein wird: Giuliani-Huckabee.

Hucka-wer? Die erste Runde der Präsidentschaftswahlen wird traditionell Anfang Januar eingeläutet. Diesmal finden die ersten Vorwahlen in Iowa am 3. und in New Hampshire am 8. Januar statt. Laut der jüngsten Umfrage von NBC News und Wall Street Journal hat ein Außenseiter, der Ex-Gouverneur von Arkansas Mike Huckabee, mächtig zugelegt und liegt nun mit 17 Prozent Zustimmung nur knapp hinter den Favoriten Rudy Giuliani und Mitt Romney mit jeweils 20 Prozent.

Schlauester und ehrgeizigster Junge seiner Schulklasse

Wer ist dieser Mann? Huckabees bisheriger Lebensweg weist merkwürdige Ähnlichkeiten mit dem eines anderen berühmten Ex-Gouverneurs von Arkansas auf. Er kam 1955 in Hope zur Welt, der Geburtsstadt Bill Clintons. Wie dieser hatte er nicht die allerbesten Ausgangsvoraussetzungen für einen gesellschaftlichen Aufstieg nach ganz oben: Er wuchs in einer unbedeutenden Kleinstadt und ärmlichen Verhältnissen auf, erwies sich jedoch bald als schlauester und ehrgeizigster Junge seiner Schulklasse. Wie Clinton spielt Huckabee ein Musikinstrument (Baßgitarre), hat einen scharfzüngigen Humor gepaart mit bodenständiger Leutseligkeit und einem ungekünstelten Auftreten, das die Menschen schnell für ihn einnimmt.

Wie Clinton tat er sich zunächst schwer im Politikgeschäft. Nachdem er seine erste Wahl (1992 für den US-Senat) verloren hatte, ließ er sich von demselben Berater, dem machiavellischen Dick Morris, auf Erfolgskurs umprogrammieren: als ein gemäßigter "neuer Republikaner", der mit populistischen, pragmatischen Politikansätzen linke wie rechte Wähler ansprach. Seine Amtszeit im Gouverneurssitz von Little Rock (1996-2007) war von Konflikten mit der demokratisch dominierten Staatslegislative über gesellschaftspolitische Fragen wie Abtreibung und gleichgeschlechtliche Ehen geprägt. Bei finanzpolitischen Themen, etwa Steuer­erhöhungen zur Finanzierung sozialer Programme, verstand man sich hingegen prächtig.

Hier hören die Ähnlichkeiten allerdings auf. Während Clinton als Stipendiat der renommierten Rhodes-Stiftung in Oxford studierte, sich als Kritiker des Vietnamkriegs profilierte und Verbindungen zu den liberalen Seilschaften der Demokratischen Partei im Nordosten der USA knüpfte, begann Huckabee seine berufliche Karriere als Baptisten-Pfarrer in Pine Bluff, zwei Autostunden östlich von Hope. Als begnadeter Redner wurde er für den größten christlichen Fernsehsender in Arkansas angeworben, der sein Programm sonntagmorgens ausstrahlte und seinen Namen bald im ganzen Bundesstaat bekannt machte.

Sein entwaffnendes Lächeln und diplomatisches Geschick dürfen nicht darüber hinwegtäuschen: Gesellschaftspolitisch ist Huckabee ein knallharter Konservativer, der einst mit dem Vorschlag von sich reden machte, Aids-Patienten unter Quarantäne zu stellen. Gleichgeschlechtliche Ehen lehnt er ebenso leidenschaftlich ab wie Abtreibung. In manchen Fragen hat er seine Haltung leicht liberalisiert - von seiner früheren Position, Umweltschützer seien "Spinner", ist er inzwischen abgerückt bis hin zu dem Eingeständnis, daß die Erderwärmung Wirklichkeit ist. Indes ist er vielen seiner vom christlichen Weltbild beeinflußten Überzeugungen über die Jahre hinweg treu geblieben.

Dagegen mußten die beiden anderen republikanischen Spitzenreiter, der New Yorker Ex-Bürgermeister Giuliani und der Ex-Gouverneur von Massachusetts Romney, ihre einstigen politischen Positionen drehen und biegen, um bei der konservativen Parteibasis anzukommen. Der zweifach geschiedene Giuliani trat einst gegen die Diskriminierung Homosexueller und für strengere Waffengesetze ein, und der Mormone Romney (JF 12/07) gestand Frauen das Recht zu, selber über eine Abtreibung zu entscheiden.

Huckabees Aufstieg in den Umfrageergebnissen ließ sich bereits vor einem Jahr vorhersehen. Denn schon damals war klar, daß die evangelikalen Christen in den Südstaaten, die einen großen Teil der republikanischen Parteibasis ausmachen, sich für keinen der Favoriten erwärmen könnten: für den eigensinnigen John McCain genausowenig (oder noch weniger) wie für den glanzlosen Fred Thompson (JF 38/07) oder den eingleisig auf die Einwanderungsproblematik setzenden Tom Tancredo.

Im Laufe dieses Vorwahlkampfes ist jedoch noch etwas anderes passiert. Bei den Demokraten zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung ab: Barack Obama beginnt Hillary Clinton in Umfragen den Rang abzulaufen, weil die Wähler einen Neuanfang mit einem unbeschriebenen Blatt ersehnen, einem Präsidenten, der Hoffnung und Inspiration ausstrahlt, statt eines Parteifunktionärs. Nachdem die Aufstockung der Truppen im Irak sich als wirksame Maßnahme zu erweisen scheint und die US-Geheimdienste die Bedrohung durch den Iran als sehr viel niedriger einschätzen (JF 51/07), so daß eine neue militärische Konfrontation im Mittleren Osten derzeit unwahrscheinlich ist, hat auch eine aggressive Außenpolitik viel an Attraktivität verloren. Die Wähler sind den "Krieg gegen den Terrorismus" leid - statt dessen wollen sie die Probleme des Alltags gelöst sehen: Arbeitsplätze, Bildungs- und Gesundheitswesen, die durch untilgbare Hypotheken ausgelöste Subprime-Krise auf dem Finanzmarkt (JF 34/07).

Ohne die Charaktermängel des bösen Buben Bill

Darin Giuliani ganz ähnlich, gilt Clinton als eine Politikerin, an der sich die Geister scheiden, deren Auftreten den Menschen die Kulturkämpfe der Vergangenheit ins Gedächtnis ruft. Huckabee wiederum steht trotz (oder gerade wegen) seiner Wesensverwandtschaft mit Bill Clinton im Ruf eines authentischen, warmherzigen Mannes, der Charme und Intelligenz verströmt ohne die Charaktermängel des bösen Buben Bill. In den jüngsten Fernsehdebatten hatte es den Anschein, die übrigen republikanischen Kandidaten wetteiferten miteinander, wer der Fieseste, Gemeinste und Härteste von allen sei. Romney malte Schreckensszenarien vom globalen Dschihad in Amerikas Vorstädten an die Wand. Joe Biden witzelte, jeder Satz aus Giulianis Mund bestehe aus einem Substantiv, einem Verb und dem 11. September. Alle reden sie davon, einen riesigen Zaun an der Grenze zu Mexiko zu bauen und alle illegalen Einwanderer aus dem Land zu werfen - eine lächerliche Idee angesichts einer Gesellschaft, die vom Rasenmähen bis hin zur Betreuung der Kinder ebenjener Politiker, die am lautesten gegen illegale Einwanderung hetzen, völlig auf den schwarzen Arbeitsmarkt angewiesen ist.

Zu einem bemerkenswerten verbalen Schlagabtausch kam es jüngst in einer Debatte, die von dem Nachrichtensender CNN und im beliebten Internetportal YouTube gezeigt wurde: Romney forderte, den Kindern illegaler Einwanderer die medizinische und soziale Grundversorgung zu verweigern. Huckabee berief sich auf die Bibel und entgegnete, Amerika sei ein besseres Land, das die Sünden der Eltern nicht an den Kindern rächen dürfe. Diese Antwort trug ihm viel Applaus ein und brachte Romney arg in Verlegenheit.

Den Hauptpreis kann Huckabee trotzdem nicht gewinnen. Als ernsthafter Bewerber muß er sich nun gefallen lassen, daß seine politische Vorgeschichte sehr sorgfältig unter die Lupe genommen wird. Da gibt es reichlich Zeitbomben, die seiner Kandidatur ein plötzliches Ende bereiten können. Anhängern einer konservativen Finanzpolitik mißfällt seine Schwäche für Steuer­erhöhungen, und im übrigen bestehen Zweifel an seiner Reife für die politische Weltbühne. Konservative Wähler stehen somit vor einem Dilemma: So sehr sie für einen Kandidaten stimmen wollen, der ihre Werte und Überzeugungen vertritt, sind sie sich doch darüber im klaren, daß mehr dazugehört, die Präsidentschaftswahlen zu gewinnen. Die Wahlbeteiligung liegt regelmäßig nur um die fünfzig Prozent - dafür durchschauen diejenigen Amerikaner, die an die Urne gehen, das System recht gut. Sie wissen, daß weder ein ganz linker noch ein ganz rechter Kandidat eine Chance hätte, Präsident zu werden.

Konservative machen sich keine Illusionen: Bei der Präsidentschaftswahl würde Huckabee eine ebenso vernichtende Niederlage erleiden wie einst Barry Goldwater, der 1964 als Geste des Protests, aber ohne jede Hoffnung auf einen Sieg gegen Lyndon B. Johnson antrat. Hieße die demokratische Kandidatin Hillary Clinton, wäre es erst recht aussichtslos. So dürften selbst wertkonservative Christen nach dem Prinzip "Augen zu und durch" für Giuliani oder Romney stimmen (eher für ersteren als für den Mormonen Romney). Und in den weniger religiösen Bundesstaaten wie New Hampshire hat Huckabee einen um so schwereren Stand, will er den dortigen Wählern glaubhaft machen, daß er seine christlichen Überzeugungen nicht mit ins Weiße Haus nehmen würde. Schließlich preisen ihn seine eigenen Fernsehspots als "christlichen Führer". Selbst im notorisch religiösen Amerika hegen viele Wähler Vorbehalte gegen einen Kandidaten, der die in der Verfassung festgeschriebene Trennung zwischen Kirche und Staat gefährden könnte.

Duo Giuliani-Huckabee für Säkulare und Kirchgänger

Weit weniger unwahrscheinlich ist dagegen, daß Giuliani im Falle seiner Nominierung als Präsidentschaftskandidat Huckabee zu seiner Nummer zwei kürt. Denn während im demokratischen Rennen mit Hillary Clinton, Barack Obama und John Edwards derzeit drei Superstars mitsamt prominenten Unterstützern aus Hollywood vorne liegen, können die Republikaner bislang keinen einzigen Kandidaten aufbieten, der ihre konservative Wählerschaft begeistert.

Das Duo Giuliani-Huckabee könnte sich daher als Zauberformel nach dem aus Polizeiserien bewährten Muster good cop / bad cop erweisen: Giuliani gibt die gestrenge, "Null Toleranz"-Vaterfigur für säkulare Wähler, während Huckabee Kirchgänger und Südstaatler vom alten Schlag umwirbt. Wer jetzt schon auf den Ausgang der Wahl 2008 wetten möchte, sollte sich freilich im klaren sein, daß es einiges an Risikobereitschaft erfordert, auf einen republikanischen Sieger zu setzen.

 

Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt Neuere europäische Geschichte an der University of San Francisco.

Foto: Huckabee (r.) mit Unterstützer Chuck Norris: Christliche Rechte


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