© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/08 11. Januar 2008

Wenn Mehmet mit Max und Moritz spielt
Jugendgewalt: Der Kriminologe und ehemalige SPD-Politiker Christian Pfeiffer gefällt sich in der Rolle des vermeintlich objektiven Experten
Fabian Schmidt-Ahmad

Wird ein Gewaltverbrechen in der Öffentlichkeit intensiv wahrgenommen, so ist häufig folgende Kettenreaktion zu beobachten: Zunächst, im ersten Aufruhr des Ereignisses, treten Menschen auf, die mehr oder weniger versteckt an die Empörung der Masse appellieren, sich unterbewußter Gefühle des potentiellen Wählers bedienen und hoffen, daß man sie sich als Männer der Tat einprägt. Dann aber, in einer Phase der Abkühlung, treten andere auf, die in nüchterner Abgeklärtheit den wahren, eigentlichen Sachverhalt erläutern und nun im Lichte der Vernunft ihre Zuhörer auf die Notwendigkeit von ganz anderen Maßnahmen hinweisen.

In der gegenwärtigen Situation, da die Öffentlichkeit geschockt ist vom brutalen Überfall ausländischer Jugendlicher auf einen deutschen Rentner in München, scheint die Rollenverteilung zunächst klar. Den Part des Populisten übernehmen Politiker wie der hessische Ministerpräsident Roland Koch mit seiner Forderung nach härterem Vorgehen gegen kriminelle junge Ausländer. Auf der anderen Seite wäre dann ein Mensch wie Christian Pfeiffer derjenige, der die Sichtweise des Experten wiedergibt. In der Tat kann man den Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, der über "Kriminalprävention im Jugendgerichtsverfahren" promovierte und für die SPD knapp zwei Jahre lang das Amt des niedersächsischen Justizministers ausübte, als kompetenten Fachmann betrachten: einen Mann, der mit ruhiger Stimme in das Meer von Entrüstung hineinsprechen sollte.

Auch wirklich bedient Pfeiffer das gängige Klischee. "Es ist eine Illusion zu glauben, daß mehr Strafhärte mehr Sicherheit bringen würde", beschwichtigt er in der Märkischen Allgemeinen. Um im Spiegel dann festzustellen: "Die Forderung nach härteren Gesetzen sehe ich primär als Wahlkampfprofilierung." Aber auch Pfeiffer muß eingestehen, daß es ein Problem gibt: "Wir haben bei Dunkelfelduntersuchungen mit 17.000 Jugendlichen festgestellt, daß junge Migranten um mehr als das Doppelte an Gewaltaktionen beteiligt waren als junge Deutsche." Als Alternative zu einem härteren Zupacken stellt Pfeiffer ein Konzept seines Forschungsinstituts vor, das Jugendkriminalität lediglich als Bildungsproblem begreift und entsprechende Forderungen aufstellt: "Wir sollten nicht in Gefängnisse investieren, sondern in bessere Schulen."

Das klingt freundlich und so angenehm phrasenhaft nett, daß auch die linke Junge Welt Pfeiffer einen Platz freiräumte. Hier darf er träumen, wie alles sich zum Guten wendet, wenn "Mehmet bereits mit Max und Moritz im Sandkasten spielt". Ja dann, dann würde Mehmet doch von ganz alleine deutsche Angewohnheiten übernehmen - beispielsweise die, sich an deutsche Gesetze zu halten. Doch bevor man der wunderschönen und wunderbaren Welt verfällt, die sich Pfeiffer ausmalt - "am besten mit gemischten Kindergärten, indem man 25 Prozent der Plätze für Migrantenkinder reserviert" -, wäre es vielleicht ganz sinnvoll, vorher eine andere Studie des Experten zu lesen.

1995 veröffentlichte Pfeiffer "Das Problem der sogenannten 'Ausländerkriminalität'". Mit dieser Schrift reagierte er auf eine, aus seiner Sicht "sehr einseitige" Wahrnehmung der Polizeistatistik, die den scheinbaren Anstieg einer "Ausländerkriminalität" populistisch ausschlachte. "Zwischen 1988 und 1994 hat beispielsweise die absolute Zahl der polizeilich registrierten Tatverdächtigen, die keinen deutschen Ausweis vorweisen können, (...) um mehr als 80 Prozent (...) zugenommen." Dagegen möchte Pfeiffer vorgehen, und zwar so: Zunächst bezweifelt er die Aussagekraft der 80 Prozent. Schließlich sei beispielsweise in Niedersachsen die besonders kriminalitätsanfällige Gruppe der männlichen Vierzehn- bis Dreißigjährigen in der "ausländischen Wohnbevölkerung"  deutlich überrepräsentiert, wie Ausländer überhaupt allen möglichen gefährdenden Sozialfaktoren ausgesetzt seien. Dann vermutet Pfeiffer ein höheres Anzeigeverhalten sowie eine bessere Tat­aufdeckung bei Ausländern gegenüber Deutschen und ähnliche Dinge mehr, die den Experten zu dem Schluß kommen lassen, daß es den kriminellen Ausländer als solchen eigentlich nicht gibt: "Die Tatsache, daß jemand keinen deutschen Paß besitzt, spielt für die Frage, ob er als Straftäter in Erscheinung tritt, keine Rolle."

Man könnte nun an dieser Stelle Pfeiffer mit einigen Fragen konfrontieren. Beispielsweise, wieso denn diese Gruppe so überrepräsentiert ist oder wie es sich mit den Ausländern verhält, die einen deutschen Paß vorweisen können. Allein, die realen Verhältnisse haben sich inzwischen so entwickelt, daß auch Pfeiffer mit seinen Methoden der kreativen Sozialforschung an Grenzen stößt. Aber man muß fairerweise festhalten, daß auch er 1995 eine problematische Entwicklung sah: "Stark angestiegen ist dagegen die Gruppe von Ausländern, die in sozialen Randlagen leben und wenig Aussicht haben, aus eigener Kraft und auf legale Weise eine gesicherte Existenzgrundlage aufzubauen - zum Beispiel Asylbewerber und illegal eingereiste Ausländer."

Für diese als Opfer erkannte Gruppe hat Pfeiffer auch gleich die Lösung parat: So "sollte die Bundesrepublik alles daransetzen, die in den letzten Jahren eingewanderten Ausländer in unsere Gesellschaft zu integrieren. Dazu gehört beispielsweise auch, daß ihnen der Zugang zur deutschen Staatsangehörigkeit erleichtert wird, damit sie das aktive und passive Wahlrecht erreichen und zum Beispiel problemlos in Beamtenberufe gelangen können."

Im Gegensatz zu dem Pfeiffer von vor dreizehn Jahren leugnet der heutige nicht mehr ganz so vehement, daß die Kriminalität ausländischer Jugendlicher ein Problem darstellt: "In westdeutschen Großstädten wie München und Hamburg geht die Schere der Gewaltbelastung zwischen deutschen und ausländischen Jugendlichen immer weiter auseinander." Doch die Argumentation ist eigentlich die gleiche geblieben.

Spätestens jetzt sollte man sich fragen, ob hier der objektive Experte spricht oder sich hinter diesem Forscherdrang nicht eigentlich ein dem Populismus nicht unähnliches Wunschdenken verbirgt. Legende ist der Fall Sebnitz, als Pfeiffer in einem Gutachten der Mutter des kleinen Joseph ernsthaft Glaubwürdigkeit attestierte, die behauptete, ihr Sohn sei vor Hunderten von Zuschauern von rechtsradikalen Jugendlichen ertränkt worden. Tatsächlich kam er aber bei einem Badeunfall um. Nach Platon entsteht eine Lüge nicht erst im Bewußtsein, sondern bereits, wenn eine Aussage nicht mit dem wahren Sein übereinstimmt. Vor dieser Art von Lüge sind dann selbst die Experten mit den reinen Gewissen nicht gefeit.

Foto: Christian Pfeiffer am Sonntag bei Anne Will: Licht der Vernunft

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