© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/08 11. Januar 2008

"Eine wirklich große Bedrohung"
Pakistan I: Der Ermordung Benazir Bhuttos zerstört die Hoffnungen des Westens und der liberal-demokratischen Opposition
Günther Deschner

In ihrer Autobiographie nennt sie sich "Tochter des Ostens", doch zuletzt wurde sie als "Darling of the West" verspottet. Der Vorwurf verfolgte Benazir Bhutto um so häufiger, seit sie sich im vergangen Jahr vor den Karren Washingtons spannen und aus ihrem Exil in Dubai zurückholen ließ. Zu diesem Zeitpunkt hatten im Weißen Haus die Warnungen vor einer Katastrophe in Pakistan, dem als unverzichtbar geltenden US-Hauptverbündeten in der Region, endlich Gehör gefunden.

Vor allem Admiral William Fallon, Stabschef sämtlicher US-Streitkräfte zwischen Beirut und dem Indischen Ozean, hatte unentwegt gedrängt: Vorrangig sei nicht, die US-Truppen im Irak zu verstärken und sich dort immer mehr zu verzetteln, sondern sich auf "die wirklich große Bedrohung" der US-Interessen vorzubereiten, die er mit der möglichen Implosion der Machtstrukturen in Pakistan kommen sah - dem zweitbevölkerungsreichsten islamischen Staat der Welt, an geopolitisch wichtiger Stelle gelegen und noch dazu atomar gerüstet. Auch andere Kritiker sahen dort fanatische Islamisten auf dem Vormarsch, die demokratischen Kräfte desorganisiert, das Militär, auf das allein sich der diktatorische Präsident Pervez Musharraf stützte, bald nicht mehr zuverlässig, die US-Interessen aufs äußerste bedroht.

Im September 2007 war man im Weißen Haus endlich zu dem Entschluß gekommen, man müsse jetzt schnell "etwas tun": Musharraf mußte dazu gebracht werden, Wahlen anzusetzen und die Macht zu teilen, ehe sie gänzlich verlorenging. Eingefädelt wurde der Plan vom State Department: Bhutto war als das demokratische Mäntelchen ausersehen, das man dem einstigen Oberbefehlshaber der Streitkräfte umhängen wollte. Die 54jährige Ex-Premierministerin, obwohl wegen Korruption verurteilt und seit 1999 im Exil, galt vielen ihrer Landsleute als Hoffnungsträgerin für eine bessere Zukunft und Demokratie. Sie hatte das Land schon zweimal regiert und sollte nun - so hatte das "Condi" Rice in einem legendären Telefonat mit "Nasi" Bhutto angeblich abgesprochen - schnell nach Pakistan zurückkehren und die Macht mit Musharraf teilen.

Ihre Ermordung hat nun einen Strich durch diese Rechnung gemacht. Es wird kaum möglich sein, einen Ersatz für sie zu finden. Ihr Ableben zerstört auch die Hoffnungen liberaler und demokratisch orientierter Gruppen, die in ihr einen Fixpunkt sahen, obwohl demokratische Ideale in ihrer Politik kaum Niederschlag gefunden hatten. Ihre beiden Regierungen wurden von Amnesty International wegen des Einsatzes von Todesschwadronen, ungeklärter Todesfälle in Polizeigewahrsam, Entführungen und Folter exzessiv kritisiert.

Ob ihre Ermordung auf das Konto von al-Qaida, den Taliban oder den Takfiris geht, ist von untergeordneter Bedeutung. Der Kreis der Nutznießer (und damit auch potentieller Unterstützer) dieses Attentats ist größer. Pakistans Geheimdienste, vor allem der undurchsichtige Inlandsgeheimdienst ISI, die Armee, die Stiftungen des Militärs mit ihren großen wirtschaftlichen Verzweigungen können an Bhuttos Eliminierung interessiert gewesen sein. Noch am Tag ihrer Ermordung wollte sich Bhutto mit zwei US-Parlamentariern treffen, um ihnen ein 160-Seiten-Dossier über eine "Verschwörung des ISI" gegen ihre Person zu überreichen.

Nun sind die verschobenen Wahlen für den 18. Februar anberaumt - in einer brodelnden Atmosphäre des Mißtrauens und gegenseitigen Verdachts. Die Konditionen sind ungeklärt, das politische Personal teils unbekannt, teils ausgetauscht. Auch die notdürftig übertünchten ethnischen Spannungen zwischen den Provinzen brechen wieder auf, zwischen den Pundschabis, denen Musharraf und die Militärelite angehören, den Sindhs, aus denen der Bhutto-Clan kommt, und den Paschtunen, die auch jenseits der Grenze zu Afghanistan leben. Nun kann sich rächen, daß Musharraf mit seinem eigenmächtigen Vorgehen während der vergangenen Monate in Pakistan jegliches Vertrauen in das politische System verspielt hat. Pakistan stehen unruhige Zeiten bevor - und die Situation im Land verschlechtert sich weiter. Wenn alles danebengeht, wird man in Jahresfrist vielleicht erstmals in der Geschichte mit einem islamischen "failed state" zu tun haben, der ein gut sortiertes Atomwaffenarsenal besitzt.

2007 waren Bedenken laut geworden, die Nuklearwaffen könnten bei einem Umsturz oder Zerfall Pakistans außer Kontrolle geraten. Die New York Times veröffentlichte dazu Informationen über ein geheimes Programm der US-Regierung für Pakistan, das schon seit einigen Jahren bestehe. Niemand brauche zu befürchten, Pakistans Atomwaffen könnten in die Hände von Extremisten fallen. Niemand könne sie benutzen, da ihr Abschuß an ein "sehr komplexes technisches System" gebunden sei, "einen Code eingeschlossen". Andere Expertenmeinungen betonen genau das Gegenteil: Pakistans Atomwaffenpotential sei "sehr unübersichtlich" und dezentral gelagert und schon deswegen schwer zu kontrollieren.

Auch an einen Erfolg der Nato-Strategie in Afghanistan ist ohne Kooperation von Pakistan nicht mehr zu denken. Schon jetzt ist das Erstarken der Taliban und der al-Qaida-Zentrale im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet "die wichtigste Entwicklung der Jahre 2006 und 2007", wie Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik formuliert. Halte dieser Trend an oder verstärke er sich gar, müsse "mit neuen, großen Anschlägen weltweit gerechnet werden". Auch andere militante Netzwerke und Organisationen könnten von Pakistan aus agieren - und deutsche Ziele ins Visier nehmen.

Foto: Bhutto-Anhänger mit Sarg der Ermordeten: Der Kreis der Nutznießer dieses Attentats ist groß

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