© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/08 18. Januar 2008

Mit Pfefferspray gegen Straftäter
Sachsen: Nach dem Wegfall der Grenzkontrollen zu Polen und Tschechien wächst in der Bevölkerung die Angst vor Kriminalität
Paul Leonhard

Der befürchtete Anstieg der Kriminalität nach dem Schengen-Beitritt Polens und Tschechiens ist offenbar ausgeblieben. Zumindest versicherte man das dem sächsischen Ministerpräsidenten Georg Milbradt (CDU), als er sich vergangene Woche in der deutsch-polnischen Grenzstadt Görlitz Bericht erstatten ließ. "Eine wesentliche Veränderung der Kriminalitätsrate haben wir nicht festgestellt", sagte Polizeipräsident Richard Linß, Leiter der Polizeidirektion Oberlausitz-Niederschlesien. 204 Straftaten in den sächsischen Grenzgemeinden zu Polen und Tschechien wurden zwischen der Einstellung der Grenzkontrollen am 21. Dezember  und dem 31. Dezember festgestellt. Im Vorjahr waren es im gleichen Zeitraum 63 Fälle mehr.

Die "gefühlte" Sicherheit unter der Bevölkerung ist allerdings eine andere. Zwar wurde in den Grenzstädten zwischen Bad Muskau und Zittau in der Silvesternacht ausgiebig mit Tschechen und Polen gefeiert - wie genau es diese mit deutschen Vorschriften nehmen, wurde am Neujahrsmorgen deutlich. Die Straßen und Plätze lagen voller abgeschossener Böller mit polnischen Bezeichnungen. Diese sind zum Großteil in Deutschland aus Sicherheitsgründen streng verboten. Weit mehr fürchten die Grenzlandbewohner aber einen Anstieg der Kleinkriminalität, die vielfach in der Statistik nicht auftaucht und auch im Raster der polizeilichen Maßnahmen nur eine untergeordnete Rolle spielt. "Kleinkriminalität ist in Brüssel kein Grenzthema", gesteht das EU-Kommissionsmitglied Jean-Jacques Nuss.

Viele Görlitzer stört der Wegfall der Posten auf den beiden innerstädtischen Grenzbrücken. Denn bisher wurde beispielsweise bei einem entdeckten Fahrraddiebstahl nicht das Polizeirevier angerufen, sondern die Bundespolizei auf der Brücke: In vielen Fällen konnte so der Drahtesel sichergestellt werden.

Schleierfahndung und Kontrollen von mobilen Einsatzgruppen in einem 30 Kilometer tiefen Grenzkorridor helfen hier nicht. Im Gegenteil, sie werden vor allem von Pendlern zwischen den Grenzstädten und dem Umland als Belästigung empfunden, da sie verdachtsunabhängig erfolgen. Rund 1.200 Bundespolizisten waren bis Ende 2007 an der 560 Kilometer langen sächsisch-polnischen beziehungsweise -tschechischen Grenze im Einsatz. Wie viele es künftig sein werden, ist unklar. Die Polizei wird neu strukturiert, die Verunsicherung der Beamten groß.

Noch heißt es offiziell, daß die bisher an den Grenzübergängen eingesetzten Polizisten künftig beim Streifendienst oder zur Grenzraumüberwachung eingesetzt werden sollen. Die Bundespolizei bleibe "mit erheblichen Kräften im Grenzraum präsent", versichert Markus Beyer, Pressereferent des Bundesinnenministeriums. Der konkrete Personaleinsatz werde "lageabhängig nach polizeitaktischen und kriminalgeographischen Gesichtspunkten" festgelegt.

Gern wird bei dieser Gelegenheit auf gemeinsame binationale und sogar trinationale Polizeistreifen verwiesen. Die enge grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit polnischen und tschechischen Sicherheitsbehörden gilt als ein wichtiger Bestandteil der "polizeilichen Ausgleichsmaßnahmen" nach dem Wegfall der Grenzkontrollen. Allerdings läuft dieses Experiment schon seit Anfang der neunziger Jahre. Während mit der Tschechei ein Vertrag zur Nacheile - ein deutscher Polizist darf einen flüchtenden Täter über die Staatsgrenze hinaus verfolgen - geschlossen werden konnte, fehlt dieser mit Polen. Hinzu kommen Sprachprobleme.

Besonders unruhig sind die Bewohner an der sächsisch-tschechischen Grenze. Befürchten die Oberlausitzer eine Zunahme der Prostitution und von Einbrüchen, so rechnet man in Böhmen mit einem Anstieg der illegalen Mülltransporte aus Deutschland. Seit Wochen versuchen Politik und Polizei die Bevölkerung zu beruhigen.

"Die gefühlte Sicherheit steigt", versichert der Görlitzer Oberbürgermeister Joachim Paulick (CDU) auf einem Einwohnerforum. Man habe "keine Erkenntnisse, daß eine große Anzahl potentieller Straftäter in den Nachbarländern auf der Lauer liegt", sagt Landespolizeipräsident Bernd Merbitz. Er verweist auf statistische Zahlen. Seit 1997 ist nach einer Erhebung des Landeskriminalamtes (LKA) Sachsen die Kriminalität an den Außengrenzen deutlich gesunken.

So wurden in den 54 Grenzgemeinden 2006 lediglich rund 22.700 Straftaten registriert. 1997 waren es noch rund 33.000. Weniger positiv sieht die Bilanz für Görlitz, das im Dreiländer-
eck liegende Zittau und das Gebiet zur tschechischen Grenze aus.

Hier liegt die Zahl der Straftaten deutlich über dem Durchschnitt. Das Wohlstandsgefälle sei eine der Ursachen für Straftaten von Ausländern, räumt das LKA ein. Um illegalen Bürgerwehren vorzubeugen, soll jetzt die Sächsische Sicherheitswacht insbesondere in den Grenzorten verstärkt werden. Die Hilfspolizisten sollen ausgerüstet mit Funkgeräten und Pfefferspray gemeinsam mit regulären Beamten auf Streife gehen.

Foto: Polizisten aus Deutschland, Polen und Tschechien bei einer gemeinsamen Streife im Dreiländer-eck im sächsischen Zittau: Die Verunsicherung der Beamten ist groß

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