© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/08 18. Januar 2008

Der kurze Traum vom größeren Deutschland
Nordrhein-Westfalen: Weil an der Grenze zu Belgien eine Bahnstrecke demontiert wird, sorgt eine kuriose Bestimmung des Versailler Vertrags für Aufregung
Mina Buts

Deutschland wird nicht größer und die deutschen Museumsbahner haben Grund zu trauern: Das ist das Ergebnis einer kleinen Meldung, die in der vergangenen Woche in Deutschland und Belgien für Aufregung sorgte.

Anlaß war der Ende Dezember begonnene Abbau der Gleise der historischen Vennbahn, die einst Aachen und St. Vith verband. Zum Politikum wurde die Gleisdemontage, weil die Bahn zwar auf 39 Kilometern Länge deutsches Gebiet kreuzt, aber sowohl die Gleisanlagen als auch die dazugehörigen Bahnhöfe und einige Grundstücke gemäß einer Bestimmung des Versailler Vertrags seit dem Jahr 1920 zum belgischen Hoheitsgebiet gehören - eine bislang von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommene belgische Enklave in Deutschland also, die sich immerhin über mehrere Quadratkilometer erstreckt. Sogleich entdeckte eine Boulevardzeitung passend dazu eine Familie, die wegen ihrer einzigartigen Wohnsituation im Bahnhofsgebäude "zwangsbelgisiert" ist und "lieber heute als morgen" wieder nur-deutsch wäre. Immerhin müßten sie für jeden TÜV-Besuch nach Belgien und das auch noch jährlich, müßten den Führerschein in Belgien machen und ihre Aufenthaltserlaubnis ständig bei sich tragen.

Solange die Bahntrasse zumindest formell existierte, wurde diese belgische Enklave nicht in Frage gestellt. Nun aber trat der Regierungskommisar von Eupen-Malmedy-St.Vith, Marcel Lejoly, in einer belgischen Tageszeitung die Diskussion los, ob denn die Stillegung der Bahntrasse nicht internationale Konsequenzen haben könne.

Bereits bei der Streckenstillegung habe er das Thema aufgeworfen, nun stelle sich die Frage nach der völkerrechtlichen Zukunft der Enklave erst recht. Er bereite einen Bericht an den belgischen Außenminister Karel de Gucht vor, um die Situation zu klären. Das Auswärtige Amt beeilte sich bereits in der vergangenen Woche zu erklären, daß die Problematik sowohl im Verkehrs- als auch im eigenen Ministerium erörtert werde, Deutschland aber die bisherige Grenzziehung, die auch im deutsch-belgischen Vertrag von 1956 noch einmal bestätigt worden sei, nicht in Frage stelle. Bezeichnenderweise ließ sich in der Diskussion der vergangenen Tage nur eine einzige irritierende Stimme vernehmen. Lange vor einer offiziellen Stellungnahme der belgischen oder deutschen Seite erklärte der Tourismus- und Infrastrukturminister der deutschen Region in Belgien, Leo Kreins, der Rückbau der Gleise habe "sicher keine Auswirkungen".

 Zwar wurde der Betrieb der Strecke, auf der bis zuletzt noch Dampf- und Diesellokomotiven verkehrten, bereits 2001 eingestellt. Das endgültige Aus kam nun aber doch überraschend, denn noch vor einem Jahr hatte die Deutsche Gemeinschaft in Belgien ein Konzept zur Reaktivierung und sogar Aufwertung der Bahntrasse vorgelegt: Sowohl das belgische Erholungsgebiet Hohes Venn als auch der Nationalpark Eifel könnten mit der Museumsbahn eine weitere touristische Attraktion erhalten, der Bahnverkehr sei aus ökologischen Gründen wünschenswert, und dank moderner Technologien könne eine sanierte Vennbahn sogar einen Teil des Güterverkehrs zwischen Lüttich und Aachen übernehmen. Statt dessen wird der Vennbahn nun der Garaus bereitet. Der Streckenabbau soll möglichst zügig vonstatten gehen, um weiteren Raubbau an den Gleisen zu verhindern. Anschließend soll entlang der Trasse ein Radweg entstehen.

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