© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/08 18. Januar 2008

Zeit der Heimsuchung
Die Barbarei geht weiter: Leipzigs spirituelle Mitte soll als Aula wiedererstehen
Thorsten Hinz

Die Wellen der Erregung schlagen hoch an diesem Abend des 10. Januar 2008 in Leipzig. Der Paulinerverein hofft, eine Kulturbarbarei der SED wenigstens noch teilweise korrigieren zu können, und hat zu einer Podiumsdiskussion darüber geladen. Der Saal des Zeitgeschichtlichen Forums ist übervoll.

Fast 40 Jahre ist es her, daß die SED die spätgotische Paulinerkirche (auch Universitätskirche genannt), die den Bombenkrieg unbeschadet überstanden hatte, sprengen ließ. Der Verein hat sich damit abgefunden, daß es keinen originalgetreuen Wiederaufbau geben wird. Die Pläne für die Neubebauung des Universitätskomplexes sehen äußerlich nur ein architektonisches Zitat vor. Aber bis vor kurzem durfte man glauben, daß wenigstens der neue Innenraum so aussehen würde wie der alte.

Nun hat die Universitätsleitung die Pläne verändert. Die Säulen sollen ganz oder teilweise entfallen, eine Glaswand soll den Profan- vom kleineren Sakralbereich trennen. Das Argument lautet, eine Aula, kein Kirchenraum werde benötigt. Dabei hatte schon die historische Kirche als Aula gedient. Die Wahrheit lautet: Die Barbarei von 1968 kam nicht nur aus dem Geist der SED. Man hätte es wissen können. "Die Auslöscher sind am Werk, die Umbringer!" So steht es im letzten Roman von Thomas Bernhard, "Auslöschung. Ein Zerfall", der im Jahr der glorreichen Revolution auch in der DDR erschien, die in Leipzig ihren Ausgang nahm.

Wer hat wegen der Paulinerkirche nicht schon alles geschrieben, geredet, protestiert: der Schriftsteller Erich Loest, der Maler Bernhard Heisig, der Gewandhauskapellmeister a. D. Herbert Blomstedt. Der Nobelpreisträger für Medizin, Günter Blobel, appellierte: "Die Paulinerkirche ist ein Schrein. Luther, Bach, Leibniz, Goethe, Schumann, Mendelssohn-Bartholdy, Wagner, Heisenberg und viele andere haben in dieser Kirche gewirkt oder sie gekannt." 26 Nobelpreisträger aus dem In- und Ausland haben seinen Aufruf unterzeichnet. Und Blobels Aufzählung ließe sich fortsetzen. Der Ablaßverkäufer Johannes Tetzel, der Luther zu seinem Thesenanschlag reizte, hat in der Kirche die letzte Ruhe gefunden. Nachfahren Luthers, auch der erste Rektor der Leipziger Universität wurden hier vor fast genau 600 Jahren beigesetzt.

Doch sie alle zählen so wenig wie die Tatsache, daß außer Martin Luther auch Pfarrer Martin Niemöller auf der Kirchenkanzel stand, der tapfere, gottesfürchtige Hitler-Gegner und spätere Streiter wider die deutsche Teilung. Gepredigt hat hier der Studentenpfarrer Siegfried Schmutzler, der von der SED-Justiz zu fünf Jahren Zuchthaus wegen "Boykott-hetze" verurteilt wurde.

An diesem Ort tobte sich zum Schluß die Willkür der Macht aus - und hatte sich Widerstand gegen sie formiert. Hier ist die Keimzelle der Leipziger Universität und - neben der Thomaskirche, in der die Gebeine Bachs ruhen - die spirituelle Mitte Leipzigs.

Der Trompeter Ludwig Güttler, der die Wiedererrichtung der Dresdener Frauenkirche vorangetrieben hatte, äußerte sich fassungslos über die "Übereinstimmung zwischen der ehemaligen SED, die sich an der Paulinerkirche störte, und denen, die heute sagen, sie paßt hier nicht mehr hin. Ich verstehe nicht, daß sich eine so offene Stadt wie Leipzig ihrer Universitätskirche berauben läßt."

Doch die Auslöscher haben das Wort, die Umbringer. Nicht, daß der Rektor der Universität, Franz Häuser, der böse Doktrinär und Kulturbarbar wäre, zu dem ihn zornige Kirchenanhänger an diesem Abend erklären. Und daß man ihn einen "Wessi" schimpft, ist der Gipfel der Peinlichkeit. Auch Pfarrer Christian Wolff von der Thomaskirche, Häusers schärfster Widerpart an diesem Abend, wird von der Gegenfraktion ein "Wessi" genannt, doch er antwortet freundlich: "Seit 16 Jahren lebe ich in dieser Stadt, und ich versuche, zu ihrem Besten zu wirken." Man glaubt es ihm, und vermutlich bezieht Häuser diese Worte auch auf sich.

Natürlich kann er an diesem Abend keine private Position beziehen, er vertritt eine Institution und muß deren Beschlüsse in sachlicher Weise darlegen. Als Privatmann, sagt der Juraprofessor, würde er sich - und zwar mit dem Instrumentarium Carl Schmitts - zu wehren wissen.

Man möchte beinahe Sympathie für ihn empfinden, weil er sich freiwillig und zu schlechten Bedingungen in diese Veranstaltung begeben hat, in der er hoffnungslos in der Minderheit ist. Die Leipziger Volkszeitung wird ihn zwei Tage später als Opfer eines "Tribunals" beschreiben, "das von einem aus den Fugen geratenen Publikum" veranstaltet worden sei.

Doch das trifft es auch wieder nicht. Franz Häuser personifiziert an diesem Abend bloß das Elend, den Opportunismus, die Mittelmäßigkeit der geisteswissenschaftlichen Universitätsszene in Deutschland. Wie konnte dieser Spezialist für Bank- und Kapitalmarktrecht, es wagen, Carl Schmitt in den Mund zu nehmen, in dessen selbst sprödesten Texten noch gewaltige geistes- und kulturgeschichtliche Horizonte aufgerollt werden? Wo der Paulinerverein sich auf Kultur, Geschichte, den Genius loci beruft, da führt Häuser die "Beschlußlage", den "gottesdienstlich zu nutzenden Teil" der Kirche oder die "technischen Abläufe" im Mund.

Das aber unterscheidet nach Max Weber den verantwortungsbewußten, geistigen Menschen vom Bürokraten-Funktionär: "Bringt er es aber nicht fertig, seinem Herrn (es sei der Monarch oder Demos) zu sagen: entweder erhalte ich jetzt diese Instruktion oder ich gehe, so ist er ein elender 'Kleber' (...) und kein Führer." Von geistiger Führung durch die Universität, personifiziert durch ihren Rektor, ist an diesem Abend keine Spur. Wie lächerlich wirkt da die Rede über deutsche "Eliteuniversitäten"!

Häuser beruft sich auf den Demos. Im Lehrkörper gebe es keine Mehrheit für den Kirchenbau, in der Studentschaft ebenfalls nicht. Ja, die Studentenschaft. Sofern sie nicht passiv und desinteressiert ist, wird sie vom Studierendenrat (StuRa) vertreten, der schon mal äußerte, statt einer Kirche solle man doch lieber eine Moschee errichten.

Also sprach Martin Luther am 12. August 1545 in der Paulinerkirche: "Liebe Freunde, ihr habt am vergangenen Sonntag gehört, wie Christus über die Stadt Jerusalem geweint und ihre entsetzliche Zerstörung verkündet hat, weil sie die Zeit ihrer Heimsuchung nicht erkannte. Und wie er danach in den Tempel gegangen ist und anfing, die Käufer und Verkäufer daraus zu vertreiben und sagte: 'Es steht geschrieben: Mein Haus soll ein Bethaus sein, ihr aber habt es zu einer Mördergrube gemacht.'"

Demnächst noch mehr aus diesem Theater.

Foto: Modell Paulinerkirche in Leipzig: Neue Pläne der Universitätsleitung sehen auch für den Innenraum keinen originalgetreuen Wiederaufbau vor

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