© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/08 18. Januar 2008

Interessengemeinschaft gegen Medienmanipulation: Die Unzufriedenen sammeln
Aus dem Ruder gelaufen
Victor Gaché

Wenn die Schleichwerbungsaffäre der Andrea Kiewel etwas aussagt, dann ja wohl dies: Der Zuschauer darf nichts glauben, muß alles - wirklich alles - kritisch hinterfragen, was einem irgendwelche Mattscheibengrößen präsentieren. Sie sind gekauft oder befangen, voreingenommen oder ferngesteuert: und zwar selbst dann, wenn sie nur über ihre letzte Diät sprechen.

Es gibt viele Formen der Manipulation des Zuschauers/Lesers und einige nicht immer ausreichende Maßnahmen dagegen, so zum Beispiel die Selbstverpflichtungen der Medien. Im Fall des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kommen die Rundfunkurteile des Bundesverfassungsgerichts dazu, die ihm eine "Binnenpluralität" vorschreiben. Deswegen war der Kerner-Eklat, als der Moderator Eva Herman aus der Sendung warf, besondern schlimm.

Mario Bohrmann hat zwar noch nie ein Buch von Herman gelesen, ihn hat das Ganze aber trotzdem sehr empört. "Es ging doch gar nicht um Familienpolitik in der Sendung. Es ging darum, sie fertigzumachen." So wie er dachten viele ZDF-Zuschauer und haben sich nach der Kerner-Sendung auf dessen Internetseite eingeloggt.

In Kürze schwoll der Proteststurm gegen den Talkshow-Moderator so an, daß die Zahl der Einträge auf seiner Netzseite von 5.000 auf 50.000 anwuchs. Bohrmann und ein paar andere Zuschauer kamen auf die Idee, eine Demonstration vor der Mainzer ZDF-Zentrale durchzuführen.

Sie gründeten kurzerhand die Interessengemeinschaft gegen Medienmanipulation ( www.menschheit-quo-vadis.de ), um die ZDF-Unzufriedenen zu sammeln. Der Verein will "ein unverfälschtes Informationsangebot" und "Sicherung der Meinungsvielfalt" erreichen. Konkret geht es allen Beteiligten aber erst einmal um die verkorkste Kerner-Sendung, für die die Vereinsmitglieder eine Entschuldigung erwarten. Sie beklagen die "gleichgeschaltete Presse" (Eva Herman) und die politisch korrekten Rufmord- und Hetzkampagnen der öffentlich-rechtlichen Medien.

Auf der Netzseite hat beispielsweise Ilona H. aus Twistringen einen Eintrag gemacht. Sie berichtet, "nicht die Originalsendung gesehen zu haben, denn dazu wäre ich nicht in der Lage gewesen". Ilona brach in Tränen aus, mußte die Sendung mehrfach anhalten. Sie war "starr über das, was ich da sah".

Es erinnere sie an ihre Jugend in der DDR. Der Spitzelstaat sei plötzlich zu neuem Leben erweckt. "Wißt Ihr, wie das ist, wegen nichts eine Stunde in die Mangel genommen zu werden? Wißt Ihr, wie das ist, unschuldig an den Pranger gestellt zu werden? Wißt Ihr, wie das ist, keine eigene Meinung haben zu dürfen? Wißt Ihr, wie das ist, nicht gehört zu werden?"

Am 19. Oktober demonstrierte Bohrmann zum ersten Mal mit seinen Freunden beim ZDF. Zwei seiner Begleiterinnen wurden sogar zu ZDF-Programmchef Thomas Bellut nach oben gebeten, der sich die Forderungen der Gruppe (weniger Kerner-Auftritte, eine Entschuldigung bei Herman) anhörte. Bellut und seine Leute gaben sich "total überrascht" über die Flut von Reaktionen - es waren mehr als nach dem 11. September! Eine Entschuldigung jedoch erfolgte nicht.

Es gab noch weitere kleine Demonstrationen und Mahnwachen an verschiedenen Orten, stets nur "mit einer Handvoll Leute", wie Bohrmann sagt. Zuletzt am 7. Dezember, wieder beim ZDF, weil der Fernsehrat tagte. Wieder gab es keine Entschuldigung. Aber ganz ignorieren können die ZDF-Oberen die Zuschauerempörung auch nicht.

Die Aktivitäten Bohrmanns und seiner Freunde haben Eindruck bei Bellut und Co. hinterlassen. Wenn der ZDF-Programmdirektor auf die "Sache Herman" angesprochen wird, dann macht er inzwischen auf reumütig.

Eine Woche nach der ersten Mahnwache vor dem ZDF-Gebäude sprach Bellut vor den Teilnehmern der 5. Internationalen Konferenz für politische Kommunikation der Konrad-Adenauer-Stiftung. In seinem Grußwort kam er auch auf Eva Herman zu sprechen: "Da ist etwas aus dem Ruder gelaufen, das sage ich ganz offen", bekundete er. Bellut erwähnte die Demonstration der Bohrmann-Leute und wiederholte: "Toll ist das alles nicht gelaufen."

Trotzdem hält er an Kerner fest. Der hat übrigens jetzt auch noch auf skandalöse Weise die Geschehnisse in seiner Sendung gegenüber der Süddeutschen Zeitung so beschrieben: "Ich habe damals falsch entschieden. Als Eva Herman gehen wollte, hätte ich sagen können: 'Nein, nein, bleib hier. Hier fliegt keiner raus. Da hinten ist Platz genug.'" Das ist natürlich eine massive Verdrehung der Tatsachen. In Wirklichkeit wollte Eva Herman gar nicht gehen, sie wurde von Kerner dazu gedrängt, und jeder, der die Sendung gesehen hat (oder sich jetzt auf der ZDF-Internetseite ansieht), weiß, daß es so ist. Manipulationen und kein Ende.

Foto: Mahnwache in Mainz: Gespräch mit Ex-Bundesministerin Christine Bergmann vom ZDF-Fernsehrat

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen