© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/08 25. Januar 2008

"Der SPD fehlt es an Patriotismus"
Mitten in das überraschende Hoch Ypsilantis platzt die Kritik von Ex-Minister Clement. Was ist los mit der Sozialdemokratie?
Moritz Schwarz

Herr Milde, mitten in den verblüffenden Wahlaufschwung der SPD in Hessen platzt Ihr Parteifreund Wolfgang Clement mit seiner vernichtenden Kritik an Andrea Ypsilanti.

Milde: Damit hat er der Partei geschadet. Er hätte als stellvertretender Parteivorsitzender oder als Bundeswirtschaftsminister seinen jetzigen Standpunkt durchsetzen oder zurücktreten können. Das wäre ein Stil, der in Deutschland leider verlorengegangen ist. An Gustav Heinemann hätte er ein Vorbild gehabt, der als CDU-Minister zurücktrat, weil er mit der Wiederaufrüstung nicht einverstanden war.

Nach Koch sorgt nun Clement für Wirbel in Hessen, fast vergessen ist dagegen die Wahl in Niedersachsen.

Milde: Hessen ist im Grunde längst kein Landeswahlkampf mehr, sondern quasi auf eine bundespolitische Ebene gehoben worden. Das mag spannender sein, widerspricht aber dem Geist des Föderalismus. Niedersachsen ist sozusagen der "tugendhaftere" Wahlkampf, denn hier stehen noch die Fragen im Vordergrund, die auch auf Landesebene entschieden werden.

Die Parteilinke Andrea Ypsilanti hat Roland Koch eingeholt, in Niedersachsen dagegen, wo die SPD traditionell als eher konservativ gilt, steht Herausforderer Wolfgang Jüttner laut Umfragen auf verlorenem Posten. Muß die SPD also linker werden, um zu punkten?

Milde: Nein, in Niedersachsen nicht, wenn links als sozial verstanden wird. Auf Bundesebene auf jeden Fall, wenn ich beispielsweise an die vollzogene Privatisierung und den Rückzug des Staates aus Aufgaben denke, die in einem Sozialstaat nur von ihm wahrgenommen werden können. Und was das Konservative anbelangt, dann sehe ich darin das Festhalten an alten sozialdemokratischen Werten und Grundsätzen.

Wie meinen Sie das?

Milde: Ich spreche unter anderem von Verläßlichkeit und Glaubwürdigkeit. Ein allgemeines Beispiel: Die SPD steht traditionell für eine Friedenspolitik, die den Namen auch verdient. Tatsächlich aber stimmte die SPD im Bundestag für die Entsendung deutscher Soldaten in alle möglichen Länder, die uns nie etwas angetan haben. Für mich wird Deutschland nicht am Hindukusch verteidigt.

Zur Glaubwürdigkeit der SPD trägt auch nicht gerade bei, daß sie eine Einwanderungspolitik betreibt, die vor allem für die, deren Interessen die Partei traditionell zu vertreten beansprucht, die Konkurrenz um Arbeitsplätze verschärft.

Milde: Diese Kritik trifft nicht nur die SPD, sondern alle Parteien. Wobei nicht die Einwanderung an sich das Problem ist, sondern die nicht an den Interessen unserer Volkswirtschaft orientierte Einwanderung. Und wenn man sich dann obendrein nicht einmal um die Einwanderer kümmert, sondern sie nach Multikulti-Manier sich selbst überläßt, so ist das allen Beteiligten gegenüber verantwortungslos. Nicht zuletzt diese versäumte Integration hat uns doch die Zustände beschert, die Roland Koch jetzt im Wahlkampf bemüht ist, für seine Zwecke zu nutzen. Tatsächlich wurde ja jahrelang versucht, die Ausländerkriminalität zu verschleiern, indem man den Bürgern nur Gesamtstatistiken vorgelegt hat, aus denen in voller Absicht genau das nicht herauszulesen war, was viele eigentlich interessiert hat und was wichtig zu wissen gewesen wäre. Das rächt sich jetzt.

Ihr Parteivorsitzender Beck hat Kochs Wahlkampf "eine Sauerei" genannt.

Milde: Nein, mit diesem Ton bin ich vom Stil her nicht einverstanden. Jeder muß doch in unserer Demokratie die Freiheit haben zu sagen, was er denkt, ohne gleich moralisch abgeurteilt zu werden. Willy Brandt hätte auf Kochs Wahlkampf sprachlich differenzierter reagiert.

Das heißt, Sie kritisieren Beck?

Milde: Ich sage, ich halte sein Formulierung für nicht geglückt.

Offenbar schwebt der SPD vor, gewisse Themen aus dem Wahlkampf auszuklammern.

Milde: Ist das wirklich so? Demokratie bedeutet doch gerade im Wahlkampf, sich mit den politischen Existenzfragen des Volkes auseinanderzusetzen.

Ex-Superminister Clement war sich zweifellos bewußt, was er tat. Vielleicht ist es ja eben die SPD an sich, die er treffen wollte. Er wäre nicht der erste Alt-Sozialdemokrat, der mit seiner Partei hadert.

Milde: Auch ich hadere mitunter mit meiner Partei, dennoch weiß ich, was ich ihr schuldig bin.

In welcher Hinsicht hadern Sie?

Milde: In Hessen wie in Niedersachsen kann die Linkspartei etwa mit erheblichen Zuwächsen rechnen. Leider war es auch die SPD, die der Partei etwa in Magdeburg oder Berlin zu Ansehen verholfen hat, ohne zu berücksichtigen, welche Wurzeln diese hat: Denkt denn keiner mehr an den Schießbefehl an der Mauer? An die Diktatur der SED? Oder daran, was Tausenden Sozialdemokraten von den Kommunisten angetan wurde? Wenn ich bedenke, wie bei uns "gegen Rechts" vorgegangen wird, dann vermisse ich die gleiche Intensität beim Kampf gegen den Linksextremismus. Oder denken Sie an den gegenwärtigen Umgang meiner Partei mit dem Thema Vertreibung. Mir geht es dabei in keinster Weise um eine rückwärtsgewandte Politik, sondern um die objektive Anerkennung von historischem Unrecht. Um nichts anderes geht es beim Zentrum gegen Vertreibungen. Ich empfinde es als beschämend, daß meine Partei sich nicht klipp und klar zu diesem Projekt bekennt. Ein anderes Problem ist für mich, daß sich die SPD immer mehr vom Patriotismus eines Willy Brandt oder noch viel mehr eines Kurt Schumachers entfernt.

Das heißt, Sie sehen schwarz für den kommenden Wahlsonntag in Hannover?

Milde: Nein, ganz und gar nicht. Denn eine Wahl ist erst entschieden, wenn die letzte Stimme ausgezählt ist. Wir haben doch immer wieder Überraschungen erlebt, und Wolfgang Jüttner ist ein Mann des Ausgleichs, der den Gedanken der sozialen Gerechtigkeit mit den Positionen der Mitte zu verbinden sucht. Ein Weg, der Zukunft hat.

 

Horst Milde: Der konservative SPD-Politiker war von 1990 bis 1998 Präsident des niedersächsischen Landtags. Der Verwaltungsbeamte und ehemalige Oberbürgermeister von Oldenburg (1986 bis 1991) trat 1956 den Sozialdemokraten bei, zog 1967 erstmals für sie in den Landtag von Hannover ein, dem er zunächst bis 1973 und erneut von 1978 bis 1998 angehörte. Danach zog er sich aus der Politik zurück. Geboren wurde Milde 1933 in Breslau.

 

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