© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/08 25. Januar 2008

Der Domino-Effekt
Spanien: Das Kosovo und die baskische Frage beeinflussen die Parlamentswahlen / Machtwechsel möglich
Martin Schmidt

Die möglicherweise schon im Februar anstehende Unabhängigkeitserklärung des Kosovo könnte einen Domino-Effekt zur Folge haben. Verschiedenste europäische Volksgruppen würden sich in ihren von der EU-Bürokratie und den meisten bestehenden Nationalregierungen latent bekämpften Selbständigkeitsbestrebungen ermutigt fühlen. Der begonnene Zerfall Belgiens würde beschleunigt; eine Loslösung der serbischen Republika Srpska von Bosnien-Herzegowina stünde auf der politischen Tagesordnung sowie in deren Gefolge eine noch engere Anbindung der zu Bosnien gehörenden Herzegowina an Kroatien.

Zweifellos würde die in Gang kommende ethno-kulturelle Neuordnung des Kontinents auch den Emanzipationsprozeß der Schotten und Waliser von Großbritannien oder den der Katalanen von Spanien nachhaltig stärken und diese Völker vielleicht schon mittelfristig in die Unabhängigkeit führen. Auch auf Zypern und im zuletzt relativ ruhigen Kaukasus wären neuerliche massive Auseinandersetzungen zu erwarten.

Besonders heftige unmittelbare Konsequenzen eines unabhängigen Kosovo lassen sich fürs spanische Baskenland vorhersagen, eine Region mit uralter eigenständiger Sprache, Kultur und Geschichte. Nicht von ungefähr ließ sich der spanische Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero, folgt man einem Bericht der serbischen Tageszeitung Express vom 11. Januar, von anderen EU-Regierungen zusichern, daß der Kosovo nicht vor dem 9. März seine Unabhängigkeit erklären wird - dem Tag der Parlamentswahlen in Spanien.

Vor allem die zuletzt deutlich geschwächte linksnationalistische Terrororganisation Eta (Euskadi Ta Askatasuna/Baskenland und Freiheit) sehnt einen Domino-Effekt herbei. So betonten zum Jahresbeginn namentlich nicht genannte Sprecher in einem Interview für die baskische Tageszeitung Gara unter Verweis auf den Kosovo und Schottland: "Um seinen Bestand zu sichern, muß sich ein Volk zu organisieren wissen, und in diesem Kontext sehen wir das unsrige: souverän, mit einem eigenen Staat." Der sozialistische Ministerpräsident Zapatero habe die Politik seiner Vorgänger José María Aznar (1996 bis 2004) und Felipe González (1982 bis 1996) fortgesetzt und dem Baskenland nicht erlaubt, "den Weg zu gehen, den es zu gehen wünscht", kritisierten die führenden Etarras.

Die marxistisch inspirierte, 1959 gegründete Untergrundorganisation kämpft seit 1968 gewaltsam für die Unabhängigkeit, die die derzeitige autonome Baskenregion in Spanien, Navarra sowie das französische Baskenland umfassen soll. Ihr Terror forderte laut Angaben des Madrider Innenministeriums rund 820 Todesopfer; auch knapp 200 Etarras kamen um. Zahlreiche bewaffnete Angriffe, Entführungen, Löse- und Schutzgelderpressungen sowie Anschläge mit Autobomben gehen auf das Konto der militanten Basken. Zumeist zielen sie auf Angehörige der spanischen Polizei, Armee und Justiz. Politisch wird die Eta durch die Partei Herri Batasuna vertreten, die in Spanien seit 2003 illegal ist und vor allem vom Südwesten Frankreichs aus operiert.

Die von den Eta-Kämpfern wiederholt verkündeten Waffenstillstände wurden stets nach relativ kurzer Zeit aufgekündigt. Der letzte währte vom März 2006 bis zum Mai 2007. Der vom sozialistischen Premier Zapatero eingeleitete jüngste "Friedensprozeß" gilt damit ebenfalls als gescheitert und dürfte in den nächsten Wochen auch keine Wiederbelebung erfahren. Denn in Spanien stehen Wahlen bevor.

Im Wahlkampf ist Härte gefordert, auch von den Sozialisten (PSOE), die sehr wohl wissen, was die Mehrheitsmeinung der Spanier in dieser Beziehung verlangt. Eine Unabhängigkeit der wohlhabenden Nordprovinz kommt für die beiden großen Volksparteien, die PSOE und erst recht für die konservative Volkspartei (PP), nicht in Frage. Man beharrt statt dessen darauf, daß das Baskenland ja schon eine weitreichende Autonomie besitze - mit begrenzter Steuerhoheit, einer eigenen Polizeieinheit, baskischen Zeitungen sowie Radio- und Fernsehstationen.

Weiterer Verhandlungsbedarf wird nicht gesehen, schon gar nicht mit der Eta. Im Gegenteil: Nach der Ermordung von zwei Polizisten Ende Dezember und der am 6. Januar erfolgten Festnahme von zwei Eta-Terroristen, die angeblich ein riesiges Madrider Einkaufs- und Bürozentrum sprengen wollten, haben die Sozialisten auf eine Politik der harten Hand umgestellt.

Spezialeinheiten der Polizei entfalteten rege Aktivitäten, und der "weiche" Zapatero kündigte das Verbot zweier linksnationaler baskischer Parteien an. Im Zusammenhang mit den genannten Festnahmen kursieren sogar Mißhandlungs- und Foltervorwürfe, die die Vorfeldorganisationen der Eta in eine lange Traditionslinie "faschistischer Repressionen" stellen und propagandistisch ausschlachten. Bereits im Dezember hatte das Madrider Sondergericht für Terror- und Drogendelikte, die Audiencia Nacional de España, in einem Mammutverfahren gegen das Umfeld der Untergrundarmee 46 baskische Aktivisten zu Haftstrafen zwischen vier und 24 Jahren verurteilt.

Doch die breite innerspanische Bevölkerung hegt in puncto konsequenter Terrorbekämpfung wenig Zutrauen zur politischen Linken. Die Zeitung El Mundo veröffentlichte Ergebnisse einer Meinungsumfrage, wonach 65 Prozent der Spanier glauben, die Regierung würde nach einem Wahlsieg an den Verhandlungstisch mit der Eta zurückkehren. Allerlei Spekulationen und Gerüchte machen die Runde und erinnern an die Wahlkampf-Lügen der damals regierenden PP von 2004, als man den al-Qaida-Anschlag von Madrid (am 11. März kamen 191 Menschen ums Leben, etwa 1.800 wurden verletzt) der Eta anlastete. Das (erfüllte) Versprechen zum Abzug der spanischen Truppen aus dem Irak brachte der PSOE schließlich den Wahlsieg.

In den nächsten Wochen dürfte im Zuge der anti-baskischen Stimmungsmache auch die im autonomen Baskenland regierende christlich-konservative Eusko Alderdi Jeltzalea (EAJ/Partido Nacionalista Vasco/PNV) zur Zielscheibe werden. Denn diese gemäßigte, 1895 gegründete baskische Nationalpartei, die zunächst einen stetigen Ausbau der Autonomierechte betreibt, im Ernstfall aber auch die volle Unabhängigkeit durchsetzen würde, erscheint als die eigentliche Gefahr für den Fortbestand der jetzigen spanischen Nordgrenze.

Zwar wurde die Eta, die immer wieder mit der Festnahme führender Aktivisten fertigwerden muß, schon oft totgesagt. Dennoch erlebt sie seit einigen Jahren wohl die schwächste Phase ihrer Geschichte. Die Ultras genießen längst keine breite Unterstützung unter den drei Millionen Bewohnern des Baskenlandes mehr (darunter ein nicht unerheblicher Teil innerspanischer Zuwanderer). Immer weniger junge Leute lassen sich für ihre Ziele einspannen. Es ist bezeichnend, daß die der heimlichen Sympathie mit den Etarras verdächtigte baskische Regionalregierung für das kommende Schuljahr Angehörige von Terroropfern in die Schulen schicken will, um dort den 14- bis 16jährigen Jugendlichen von ihren Leiden zu erzählen (zugleich sollen allerdings auch Familienmitglieder von Opfern der GAL, der staatlichen spanischen "Antiterroristischen Befreiungsgruppen", zu Wort kommen).

Seit einer Kampfabstimmung um den Parteivorsitz im Januar 2004 war in der EAJ ein "moderater" Flügel tonangebend gegenüber stärker nationalistisch ausgerichteten Kräften. Ersterer unterstützte verschiedentlich die PSOE-Minderheitsregierung in Madrid und trug insbesondere deren Politik gegenüber der Eta mit. Nach dem Ende des Waffenstillstands mit den baskischen Terroristen im Juni 2007 verschärften sich die innerparteilichen Konflikte wieder. Um einer möglichen Spaltung zuvorzukommen, trat Josu Jon Imaz im September vom Vorsitz zurück; ein Nachfolger wurde noch nicht gewählt.

Das Abschneiden der EAJ beim Urnengang im März darf insofern mit ähnlicher Spannung erwartet werden wie das Ergebnis des Kopf-an-Kopf-Rennens zwischen PSOE und PP. Welche Folgen hat die Thematisierung der baskischen Frage als möglicherweise entscheidendes Wahlkampfthema für die gemäßigten Nationalisten? Gibt es einen Kosovo-Bonus? Profitiert vor allem die PP von Ängsten angesichts der zunehmenden Infragestellung europäischer Grenzen, oder werden Zapateros taktische Spielchen letztlich doch von Erfolg gekrönt?

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