© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/08 25. Januar 2008

Am Abgrund
Finanzkrise: Die Börsenabstürze bedrohen das westliche Finanzierungsmonopol / "Schwarzer Montag"
Wilhelm Hankel

Nackte Panik" und "Ausverkaufsstimmung" herrschte am Montag nicht nur an der Frankfurter Börse. Vor allem US-Investoren zogen ihr Geld aus Europa ab, die 30 deutschen Dax-Unternehmen waren innerhalb weniger Stunden plötzlich über 50 Milliarden Euro weniger wert. In ganz Europa und Asien sanken die Kurse. In den USA vollzog sich der Absturz wegen des Feiertags am Martin Luther King jr. Day erst am Dienstag.

Auf dem Davoser Weltwirtschaftsgipfel am Wochenende wird sich die Elite der wirtschaftlich Mächtigen klarwerden müssen, wohin die Weltwirtschaft treibt. Ist die eskalierende Finanzkrise das Vorspiel eines drohenden noch größeren Desasters, das die westliche Welt genauso treffen wird wie vor zehn Jahren die asiatische Krise die dortige Region - nur daß diesmal die Ursachen in den Herzländern des Kapitalismus (USA, Europa) liegen, nicht in fernen, wenig entwickelten und schlecht regierten Drittweltstaaten? Oder ist diese Krise der Auswuchs von Management-Problemen in weltweit führenden, aber verzockten Großbanken und Hedgefonds, die jetzt dafür bestraft werden, daß sie seit Jahren die Regeln verantwortungsvollen Geschäftsgebarens mißachten - eine Krise, die wieder verschwindet, wenn die Probleme bereinigt sind?

Betroffen von der Krise sind in den USA fast alle größeren Finanzinstitute und in Europa Länder mit schon bisher besonders spekulativen Immobilienmärkten: Großbritannien, Irland, Spanien. In der Schweiz und in Deutschland geht es um Banken und deren Ableger, die in der Vergangenheit waghalsiger als erlaubt spekuliert haben. Einige wie UBS, IKB, Sachsen und WestLB, die bayerische RealEstateHypothekenbank kennt man, andere wird man durch ihre Jahresabschlüsse demnächst noch kennenlernen.

Anders als in der Finanzkrise vor einem Jahrzehnt bleiben diesmal die fernöstlichen Finanzzentren: Korea, Japan, Thailand, Indonesien, Hongkong, Singapur weitgehend unberührt. Dasselbe gilt auch für Dubai, Abu Dhabi, und Kuweit.

Der Boom in aufstrebenden Ländern wie Brasilien, Rußland, Indien oder China geht weiter. Allein diese vier BRIC-Staaten sind mit rund zehn Prozent am Welt-Bruttoinlandsprodukt fast so stark wie die USA beteiligt. Ihre Wachstumsraten von acht bis zehn Prozent übersteigen die des Westens um das Drei- bis Vierfache. Selbst die drohende US-Rezession und das absehbare Ende des Aufschwungs in Deutschland und der EU wird also keine der Weltkrise des Kapitalismus in den dreißiger Jahren vergleichbaren Folgen haben. Der konjunkturelle Einbruch in der Ersten Welt setzt sich in der Dritten Welt nicht fort.

Aber etwas anderes zeichnet sich ab. Das seit annähernd 200 Jahren bestehende und durch die "Globalisierung" des westlichen Bankensystems verfestigte Weltmonopol des europäisch-amerikanischen Finanzkapitalismus steht vor seinem Ende. Die seit dem Sommer 2007 fortwuchernde Vertrauenskrise der westlichen Banken untereinander ist weit mehr als ein finanztechnisches "Klempnerproblem" (Barrons). Der verzweifelte Versuch der westlichen Zentralbanken, die über Nacht versiegten Kreditströme an investierende Unternehmen und private Haushalte durch massive Geldspritzen an und in das Bankensystem neu zu beleben, erweist sich zunehmend als wirkungslos. Der zusammengebrochene globale Inter-Banken-Markt läßt sich durch noch so massive Geldspritzen nicht ersetzen: Die Geldmenge M3 zeigt einmal mehr, daß es nicht viel mehr ist als ein statistischer Indikator ohne sonderlichen Aussagewert und -charakter. Die in Billionenumfang eingeschleuste Liquidität dient entweder dazu, die seit langem im Kreditgeschäft bestehenden Unterdeckungen zu beseitigen und die demnächst offenzulegenden Bilanzlöcher zu stopfen. Aber sie kreiert kein Neugeschäft. Sicher ist nur: Sie schafft Inflationspotential und die Gefahr von "Zweitrundeneffekten" wie Preis-Lohn- und Lohn-Preisspiralen.

Erschwerend kommt hinzu, daß ausgerechnet im Krisenjahr 2008 die neuen Bilanzierungsregeln von Basel II in Kraft treten. Sie verbieten genau das, was man bislang konnte: diese waghalsigen Engagements vor der Aufsicht (und Öffentlichkeit) zu verschleiern. Die neue Transparenz mag langfristig unverzichtbar sein, kurzfristig ist sie für die Sünder tödlich.

Eine Selbstheilung des Systems ist unter diesen Umständen nicht zu erwarten. Gelingen könnte sie nur, wenn entweder das westliche Publikum den angeschlagenen Banken neues und langfristig sicheres (verbrieftes) Geld zur Verfügung stellt und ihre Produkte (Aktien, Bonds, Zertifikate, Derivate etc.) wieder kauft statt verkauft. Oder wenn die neuen Reichen dieser Welt (Opec, BRIC usw.) mit ihren "Staatsfonds" und Dollar-Milliarden in das marode westliche Bankensystem einsteigen und es sanieren.

Ersteres verlangt, daß die westlichen Finanzinstitute zu einer neuen, transparenten und sparerfreundlichen Produktpolitik übergehen: nicht etwas anbieten, was nicht einmal ihre Analysten und Verkäufer richtig einschätzen und publikumsverständlich erklären können. Letzteres bedeutet einen grundlegenden Richtungs- und Stilwechsel im operativen Kreditgeschäft des globalen Banking: Nicht mehr die Finanzierung undurchsichtiger Börsenoperationen hätte dann Vorrang, sondern von realen und produktiven Investitionen in den Heimatländern der als Sanierer tätigen Staatsfonds aus der Dritten Welt.

Laut Joseph Schumpeter haben Krisen Reinigungscharakter. Wenn die Finanzkrise tatsächlich die Angebotspalette der Banken und Hedgefonds für Sparer und Anleger wieder sicher und berechenbar macht, und wenn sie dem globalen "Investmentbanking" statt spekulativer Engagements im Finanzsektor wieder produktive Geschäftsfelder in den kapitalarmen Regionen der Weltwirtschaft zuweist, verlöre die Globalisierung nicht nur den Wolfsgeruch des "Raubtier"- und "Turbo"-Kapitalismus, marktwirtschaftliche Theorie und Praxis kämen einander wieder näher. Die Globalisierung würde zu einem Aktivum für die Weltwirtschaft und einem Instrument, mit dem sich die Dritte Welt aus Rückstand und den Folgen von Kapital-armut und Kreditunwürdigkeit befreien könnte.

 

Prof. Dr. Wilhelm Hankel lehrte Währungs- und Entwicklungspolitik an der Universität Frankfurt. Er war unter Karl Schiller Chef der Bank- und Versicherungsaufsicht. Unter seiner Ägide entstand die Bankenenquête von 1968.

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