© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/08 25. Januar 2008

Einstieg in die Staatsmedizin
Gesundheitsfonds: Steuerfinanzierung und Zwang zu Einheitsbeitrag zerstören die Selbstverwaltung in der Krankenversicherung
Jens Jessen

Der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen legte 2001 den dritten Teil seines Gutachtens "Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit" mit der Überschrift "Unter-, Über- und Fehlversorgung im Gesundheitswesen" vor. Dies gab den Anstoß für zwei Reformen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), die das selbstverwaltete Gesundheitswesen und dessen relative Staatsferne beseitigen werden: 2004 kam das GKV-Modernisierungsgesetz, 2007 das Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG).

Das Kernstück des GKV-WSG ist der zentrale Gesundheitsfonds. Die Versicherten sollen dadurch erkennen können, ob ihre Krankenkasse wirtschaftlich arbeitet. Kassen, die in Zeiten des Gesundheitsfonds defizitär bleiben oder werden, arbeiten per gesetzlicher Definition unwirtschaftlich.

Der Fonds wird die Krönung des bisherigen Risikostrukturausgleichs (RSA) sein. Über ihn wurden am Durchschnitt aller Krankenkassen orientierte Leistungsausgaben (ohne Verwaltungskosten) und strukturierte Behandlungsprogramme bei bestimmten Krankheiten ausgeglichen. Seit 2002 werden auch überdurchschnittliche Ausgaben für Krankenhaus, Arzneimittelversorgung und nichtärztliche Leistungen der ambulanten Dialyse teilweise ausgeglichen.

Kassen mit vielen Mitgliedern, die wenig verdienen, älter und kränker sind, bilden die Empfängerkassen. Die Kassen mit einer besser verdienenden Klientel, die jünger und gesünder ist, sind die Zahlerkassen. Der Mittelzufluß bei der AOK hat so laufend zugenommen: 15 Milliarden Euro waren es 2007. Mit diesen Zahlungen konnte die AOK ihren Beitragssatz auf durchschnittlich 15,25 Prozent senken. Ohne RSA hätte er 19,63 Prozent betragen. Die Betriebskrankenkassen als Hauptzahler mußten ihren Beitrag von 10,95 Prozent auf im Schnitt 14,45 Prozent anheben. Das Gießkannenprinzip des RSA wird ab 2009 durch eine zielgerichtete Ausgestaltung ersetzt und vereinfacht.

Mit Einführung des Gesundheitsfonds zahlen alle GKV-Beitragszahler den gleichen Satz - wie in der gesetzlichen Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung. Eine Krankenkasse erhält für jeden Versicherten aus dem Fonds eine Grundpauschale sowie Zu- und Abschläge zum Ausgleich des nach Alter, Geschlecht und Krankheit unterschiedlichen Versorgungsbedarfs.

Die zwischen den Kassen verteilte Krankheitsbelastung ihrer Versicherten wird hierüber gezielt ausgeglichen. Wegen der Einheitsfinanzierung entfällt künftig eine Differenzierung in Zahler- und Empfängerkassen. Dazu werden für 50 bis 80 schwerwiegende und kostenintensive chronische Krankheiten Morbiditätszuschläge ermittelt, bei denen die Durchschnittsausgaben je Versicherten die GKV-weiten Leistungsausgaben um mindestens 50 Prozent übersteigen. Ziel dieser Konstruktion ist es, die Nachteile der Kassen mit einer hohen Zahl überdurchschnittlich kranker Versicherter im Kassenwettbewerb zu eliminieren.

Neben den Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds zur Deckung der gesundheitlichen Versorgung der Versicherten werden den Krankenkassen künftig auch Mittel für die Deckung durchschnittlicher Verwaltungsausgaben und durchschnittlicher Ausgaben für Satzungs- und Ermessensleistungen zur Verfügung gestellt. Hierdurch wird die unterschiedliche Finanzkraft der Kassen zu 100 Prozent ausgeglichen.

Damit haben Krankenkassen mit Mitgliedern, die über überdurchschnittlich hohe beitragspflichtige Einnahmen verfügen, künftig keine Vorteile mehr im Wettbewerb. Neu ist auch, daß die Höhe des Beitragsatzes nicht mehr von den Kassen festgelegt wird, sondern durch eine bundesweit geltende Rechtsverordnung des Bundesgesundheitsministeriums. Kommt eine Kasse mit den risikoadjustierten Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds nicht aus, muß sie einen Zusatzbeitrag von ihren Mitgliedern erheben. Das kann zu einem Wettbewerbsnachteil und Mitgliederverlusten führen.

Die Beitragssumme soll auch ausreichende Mittel für den Aufbau einer Liquiditätsreserve enthalten. Der Gesundheitsfonds wird zusätzlich aus Haushaltsmitteln des Bundes gespeist, damit gesamtgesellschaftliche Aufgaben aus Steuern finanziert werden können. Einen Bundeszuschuß gab es schon 2004, der die Beiträge von der Finanzierung der "versicherungsfremden Leistungen" (Mutterschaftshilfe, Familienversicherung) entlasten sollte. Der Zuschuß wurde mit 4,2 Milliarden Euro pro Jahr festgesetzt. Er sollte aus der Anhebung der Tabaksteuer erzielt werden. Die Große Koalition nahm die Finanzierungszusage zurück.

Der Vertrauensbruch gegenüber den Krankenkassen ist noch nicht vergessen. Daher stammt auch ihr anhaltender Widerstand gegen den Gesundheitsfonds: Nicht nur wird wieder mit einer unsicheren Steuerzusage gearbeitet, sondern ab 2009 wird auch die Finanzautonomie der Kassen kassiert. Der Staat bestimmt die Beitragssätze und die Steuerzuschüsse. Die Kassen, die Versicherten und die Leistungserbringer werden damit zum Spielball politischer Rankünen und ideologischer Sandkastenspiele. Wenn der Staat allein über die Zukunft der GKV bestimmt, ist nun Gefahr im Verzug.

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