© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/08 25. Januar 2008

Vom Paradies zur Tabuzone
Konfliktherd Kaschmirtal
Werner Olles

Wenn es ein Paradies gibt, dann ist es hier", soll der Mongolenherrscher Jehangir (1569-1627) beim ersten Anblick des Kaschmirtals verzückt ausgerufen gaben. Es war ein Naturparadies voller Mystizismus und Exotik, das Abenteurer, Missionare und machthungrige Herrscher gleichermaßen anzog. Den Repräsentanten der englischen Kolonialherrschaft bot das kleine Königtum im westlichen Himalaya eine gute Gelegenheit, der flirrenden Sommerhitze des indischen Subkontinents für eine Weile zu entgehen.

So etablierte sich über Jahrhunderte ein Mythos über das Kaschmirtal, der dieses gesegnete Fleckchen Erde mit dem Garten Eden gleichsetzte. Sogar Jesus soll nach islamischem Glauben hier in Srinagar gestorben und beigesetzt worden sein - doch machen die beiden Autoren glücklicherweise klar, daß dies fernab jeder Fundierung liegt.

Aus der paradiesischen Region voller Verheißungen und Geheimnisse ist heute allerdings ein Ort voller Gefahren geworden. Die vielbeschworene Multireligiosität und Toleranz der Kaschmiri Gesellschaft ist unwiderruflich verloren. Haß und Gewalt haben spätestens seit den neunziger Jahren auch hier Einzug gehalten, für europäische Besucher ist die Region gar eine ausgesprochene Tabuzone. Islamische Kämpfer aus dem benachbarten Afghanistan haben den gewaltsam ausgetragenen Widerstand gegen die indische Armee um eine spezielle Variante bereichert: Selbstmordattentate, die inzwischen verstärkt auch durch einheimische muslimische Jugendliche ausgeübt werden.

Oliver Uhrig und Vera Kudlinski beschreiben, wie sich extreme Gruppen aus Pakistan und den arabischen Ländern mit besten Verbindungen zum virtuellen Netzwerk von al-Qaida nun im Kaschmirtal tummeln. Die Kaschmiri müssen ihr Leben in einem gnadenlosen Bürgerkrieg führen, bei dem sogar Schulen und Kindergärten zu Angriffszielen heimtückischer Selbstmordattentäter werden. Währenddessen ist es der indischen und pakistanischen Regierung bis heute nicht gelungen, den seit sechzig Jahren schwelenden Konflikt um die politische Zugehörigkeit im Interesse aller drei beteiligten Parteien (Indien, Pakistan und Kaschmir) einvernehmlich zu lösen. Was dies für das Kaschmirtal bedeutet, wenn sich zwei südostasiatische Atommächte Gewehr bei Fuß gegenüberstehen und zudem auch noch blutiger Terror den Alltag der Kaschmiri prägt, läßt sich leicht ausmalen.       

Oliver Uhrig, Vera Kudlinski: Das Kaschmir-Tal. Leben zwischen Paradies und Abgrund. Horlemann Verlag, Bad Honnef 2007, broschiert, 238 Seiten, Abbildungen, 14,90 Euro

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