© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/08 01. Februar 2008

Teddys und Totems
Politische Zeichenlehre XLI: Der Bär
Karlheinz Weissmann

Nun also "Flocke"; die Begeisterung für das Nürnberger Eisbärbaby erreicht zwar nicht denselben Grad an Begeisterung wie die für den Berliner "Knut", aber immerhin erscheinen die Deutschen doch vergleichsweise "bärenverrückt". Dieser Enthusiasmus hat sicher mit Kindchenschema und flächendeckender Verbreitung von "Teddys" zu tun, spricht aber auch für Überreste einer tiefverwurzelten, wenn man so will: archetypischen, Vorstellung von der Symbolkraft des Bären.

Dafür, daß es sich um ein Urbild handelt, spricht schon die Häufigkeit von Bärenkulten auf der ganzen nördlichen Erdhalbkugel. In manchen Fällen diente der Bär als mythischer Ahn, so etwa bei den Ainu, den Ureinwohnern Japans, aber auch bei vielen Indianerstämmen Amerikas. Hier spielte der Bär außerdem eine Rolle als Totem und als Emblem von Männerbünden. Daß der Bär für Krieger und Jäger einen naheliegenden Bezug darstellte, liegt auf der Hand und erklärt auch, warum bei den germanischen Völkern die militärischen Eliten als "Berserker" - "Bärenkrieger" bezeichnet wurden. Ähnlich den Werwölfen verwandelten sich die Berserker durch das Überwerfen eines Fells in das Tier ihres Bundes und nahmen dessen Eigenschaften an, vor allem, was Angriffslust und Stärke, aber auch, was den Blutdurst anging. Der "Berserkergang" war gefürchtet, weil der Berserker nach gewonnener Schlacht manchmal amok in den eigenen Reihen weiterwütete.

Wahrscheinlich gab es auch bei den Kelten Bärenkrieger. Auffällig ist jedenfalls, daß der Name des berühmten Artus auf das gälische arth für "Bär" zurückgeht, das außerdem den Ursprung des griechischen arctos für "Bär" (dazu Arktis im Sinne von "Bärenland") bilden könnte; der Zusammenhang zwischen dem Sternbild des Großen Bären - für die Kelten "Der Wagen des Artus" - und dieser Himmelsrichtung ist offensichtlich. "Bär" als Teil des Individualnamens ist im Deutschen bis heute gebräuchlich geblieben, im Schweizerischen kann sogar "Bär" oder latinisiert "Urs" alleine stehen, verbreiteter finden sich Bernhard, Bernward, verkürzt Bernd, oder der aus dem Skandinavischen übernommene Björn.

Wenn Bernhard und Bernward außerdem die Namen von berühmten Heiligen sind, so hat doch der Bär in der christlichen Symbolwelt niemals eine positive Bedeutung gewonnen. In der Bibel taucht das Tier nur an wenigen Stellen auf, wahrscheinlich, weil es in der antiken Mittelmeerwelt schon selten geworden war. Es erscheint regelmäßig als Räuber mit wenig erfreulichen Eigenschaften. Immerhin ließ der Prophet Elisa zwei Bären aus dem Wald kommen, um Kinder zu zerreißen, die ihn verspottet hatten.

Entsprechend blieb das Bild des Bären in der christlichen Ikonographie des Mittelalters. Der Bär galt als Sinnbild der Wollust oder sogar des Teufels. Wenn Bären als Begleiter von Heiligen auftraten - etwa von St. Gallus -, dann, weil ihre Wildheit überwunden wurde. Vielleicht erklärt das auch, warum der Bär in der Heraldik nur relativ selten als Wappenbild auftrat (erhalten geblieben im Fall von Bern und St. Gallen, Berlin oder Anhalt). Dieser Mangel setzt sich im Grunde bis in die politische Symbolik der Gegenwart fort, die den Bären nur ausnahmsweise, zum Beispiel bei den Bewegungen der Ainu oder indianischer Stämme verwendet; ein Eisbär tauchte immerhin schon seit dem 16. Jahrhundert im Wappen Grönlands sowie in jüngerer Zeit im Emblem der separatistischen Alaskan Independence Party auf.

Weitgehend in Vergessenheit geraten ist die Allegorie des "russischen Bären", die wahrscheinlich Mitte des 19. Jahrhunderts entstand und in der Hochzeit des Imperialismus populär war. Wegen seiner mächtigen und bedrohlichen Erscheinung assoziierte sie den Bären mit dem Zarenreich. Die Rede vom "russischen Bären" erhielt sich zwar noch bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, ging dann aber sukzessive zurück.

Michel Pastoureau, der französische Altmeister der Deutung mittelalterlicher Zeichenwelten, hat im vergangenen Jahr ein Buch mit dem Titel "L'ours. Histoire d'un roi déchu" (Der Bär. Geschichte eines entthronten Königs) veröffentlicht, in dem er den allmählichen Abstieg des mächtigen Symboltiers schildert, das ursprünglich zu den bevorzugten religiösen und politischen Emblemen gehörte und heute eben nur noch wegen seines Sympathiefaktors geschätzt wird.

Die JF-Serie "Politische Zeichenlehre" des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

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