© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/08 01. Februar 2008

Allianzen mit dem Abschaum
Tim Newark beleuchtet die Zusammenarbeit des US-Geheimdienstes mit der Mafia im Zweiten Weltkrieg
Hans-Joachim von Leesen

In der englischen Originalfassung heißt das Buch "The Mafia at War.  Allied Collusion with the Mob", auf deutsch etwa: "Alliierte Kumpanei mit dem Mob". Daraus wurde in der deutschen Fassung "Mussolini, Hitler und die Mafia im Krieg".

Benito Mussolini fand nicht zuletzt darum in den zwanziger Jahren eine so große Zustimmung im italienischen Volk, weil er versprochen hatte, das organisierte Verbrechen auszurotten, das sich damals in Süditalien und vor allem auf Sizilien in der Mafia verkörperte. Dieser im 18. Jahrhundert eigentlich gegen die Fremdherrschaft gegründete Geheimbund hatte sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Auf ihn gingen Schutzgelderpressungen ebenso zurück wie Auftragsmorde. Er kontrollierte den Rauschgiftmarkt wie die Prostitution, er korrumpierte die öffentliche Verwaltung - er war das Zentrum des Verbrechens.

Mussolinis Regierung ging mit aller Schärfe gegen die Kriminellen vor. In 16 Großprozessen wurden führende Mafia-Bosse zwischen 1927 und 1929 entweder zu hohen Haftstrafen oder zur Verbannung verurteilt. Die nicht gefaßten tauchten entweder unter und verhielten sich ruhig - oder sie flüchteten in die USA, wo sich seit der Prohibition eine weitverzweigte Unterwelt entwickelt hatte. Nach der Säuberung stimmten 96 Prozent der Sizilianer bei Volksabstimmungen für die Faschisten.

Die geflohenen Mafia-Bosse verbündeten sich in den USA mit der jüdischen Unterwelt (Kosher Nostra), die unter der Führung von Meyer Lansky und Bugsy Siegel straff organisiert war und dort ähnlich operierte wie vordem die Mafia in Italien. Beide Organisationen waren sich einig im Haß auf die Faschisten. Zunächst richteten sich ihre Gewalttaten gegen die traditionellen italienischen Einwanderer, die überwiegend der faschistischen Regierung in Rom zuneigten - ohne daß dabei ihre Hauptbeschäftigung wie Drogenhandel, Auftragsmorde, Glücksspiele, Prostitution, Hehlerei ins Hintertreffen geraten wäre.

Als sich die Beteiligung der USA am Zweiten Weltkrieg abzeichnete, aktivierte Gangsterboß Meyer Lansky die Verbindung zum Nachrichtendienst der US-Marine. Die im Laufe der Prohibition entstandenen Gangsterbanden, die Mafia sowie die jüdischen Gangster kontrollierten weitgehend - wohl über die Gewerkschaften  - die Häfen der amerikanischen Ostküste.

Der amerikanische Marinenachrichtendienst vereinbarte mit ihnen, daß sie den Schutz der Küste gegen angeblich drohende Landungen deutscher und italienischer Agenten durch U-Boote übernehmen sollten. Die in US-Gefängnissen sitzenden Gangsterbosse erhofften sich davon Begnadigungen. Federführend war dabei offenbar der in den Vereinigten Staaten bis dahin als "Staatsfeind Nummer eins" geltende, gerade zu mindestens vierzig Jahren Haft verurteilte Lucky Luciano. Zwanzigmal verhandelte Luciano mit den Kontaktpersonen zum US-Marinegeheimdienst, während er gleichzeitig vom Gefängnis aus die kriminellen Aktivitäten seiner Gangsterorganisation steuerte.

Diese weitgehend unbekannten Details werden in dem im vorigen Jahr in Großbritannien und bald darauf auch in der deutschen Übersetzung erschienenen Buch von Tim Newark anhand umfangreichen Quellenmaterials geschildert. Im Hauptteil erfährt man von der Kumpanei des amerikanischen Militärs mit der Mafia nach der Invasion Siziliens 1943.

Auf Anweisung des US-Militärs hatte Luciano über Mittelsmänner den Befehl an alle Banden in Nordamerika wie auch an das im Untergrund noch existierende Mafia-Netz auf Sizilien ausgegeben, die einrückenden Amerikaner auf jede nur mögliche Weise zu unterstützen. Und so geschah es. Sofort nach der Landung im Juni 1943 nahmen die US-Truppen Verbindung zur Mafia auf. Mafiosi dienten ihnen als Kundschafter, Nachrichtenübermittler, sie betätigten sich an der Zersetzung der auf Sizilien stationieren italienischen Truppen, die dann, wie der Autor schildert, auch aus diesem Grund zu bald neunzig Prozent vor den Amerikanern ausrissen oder sich ergaben. Als die US-Truppen in die eroberte Stadt Villalba einrückten, riefen die am Straßenrand Stehenden: "Lang lebe die Mafia!"

Die Briten waren dieser unappetitlichen Koalition gegenüber deutlich zurückhaltender, nahmen aber auch dankbar Unterstützung an. Am wichtigsten war sowohl für die Amerikaner als auch für die Briten, daß die Mafia "antifaschistisch" war. Nachdem die Besatzungsmächte alle Faschisten aus einflußreichen Stellungen entfernt hatten, wurden diese Positionen geräuschlos von der Mafia übernommen, was die Besatzer erst begriffen, als die öffentliche Ordnung zusammenbrach.

Zwar versuchte der US-Geheimdienst, die Mafia zu bändigen, doch das mißlang gründlich. Jetzt bestahlen die Mafiosi die Besatzungsmächte und verschoben in großem Stil etwa Benzin und andere aus den USA mitgebrachte Kostbarkeiten, aber auch Waffen. 1944 rollte über Sizilien eine "gewaltige Verbrechenswelle". Gleichzeitig wurden separatistische Bestrebungen, die es auf der Insel   - wenn auch im verborgenen - immer gegeben hatte, mit Hilfe der Mafia zu einer mächtigen Welle. Sizilien sollte gar zum 49. Bundesstaat der USA gemacht werden. Inzwischen hatte sich nach dem Sturz Mussolinis eine antifaschistische italienische Regierung etabliert, die sich bemühte, auf Sizilien geordnete Verhältnisse herzustellen, was ihr nur durch den Einsatz von mit aller Härte vorgehenden Spezialtruppen gelang.

Im bald ausbrechendem Kalten Krieg stellte sich die Mafia in Abstimmung mit der US-Regierung um. Nunmehr kämpfte sie gegen die Kommunisten. Als aus den Wahlen die Christdemokraten als Sieger hervorgingen, schwenkte die Mafia zu ihnen über, um ungestörter Schutzgelder zu erpressen, Geiseln zu entführen und auf verschiedenen Gebieten ihren Terror auszuüben. Als der Gangsterführer Giuliano nicht, wie von ihm als Dank für die Zusammenarbeit erwartet, begnadigt wurde, wandte sich die Mafia zeitweise gegen die Christdemokraten, indem sie Attentate gegen einige ihrer führenden Politiker, aber auch gegen Polizisten verübte. 1950 wurde Giuliano von einer italienischen Sondereinheit in einem Bordell erschossen.

Daneben liefen Bemühungen, Verbindungen zwischen der italienischen und der amerikanischen Mafia zu knüpfen, um gemeinsam den Heroinhandel zu organisieren, was zunächst mißlang. Die meisten Mafia-Anführer hatten sich inzwischen saniert. Das Haupt der jüdischen Mafia, Meyer Lansky, ging nach Israel, nachdem er mit Spielcasinos reich geworden war. Als er über Havanna in die USA zurückkehrte, wurde er wegen Steuerhinterziehung vor Gericht gestellt und anschließend freigesprochen. Sein Sohn wurde US-Offizier und ging als Militärberater nach Vietnam.

Freilich bleibt Newark mit seiner Einschätzung zurückhaltend und ordnet die Unterstützung durch die Mafia trotz allem eher als sekundär für den Sieg der Amerikaner ein. Über die Zusammenarbeit mit dem organisierten Verbrechen schreibt er: "Im Verlaufe der vergangenen sechzig Jahre haben die Briten und Amerikaner überall in der Welt Bündnisse mit allen möglichen moralisch fragwürdigen Gestalten geschlossen, um Kriege zu gewinnen. Das westliche Bündnis mit Josef Stalin im Zweiten Weltkrieg ist lediglich das anschaulichste Beispiel dafür." Das alles aber sei gerechtfertigt, weil "das aus moralischer Sicht schlimmste Ergebnis" eine Niederlage gewesen wäre.

Tim Newark: Mussolini, Hitler und die Mafia im Krieg. Ares Verlag, Graz 2007, gebunden, 280 Seiten, Abbildungen, 19,90 Euro

Fotos: Sizilianer weist im Sommer 1943 amerikanischen Soldaten den Weg: "Lang lebe die Mafia!"; Charles (Lucky) Luciano um 1955 in Neapel: Antifaschist

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