© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/08 08. Februar 2008

"Sittenwidrig"
Enteignungen: Bundesgerichtshof rügt Brandenburg
Klaus Peter Krause

Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) gegen das Land Brandenburg schlägt Wellen. Das Land muß Grundstücke wieder herausrücken, die es sich bis Oktober 2000 rechtswidrig angeeignet hatte. Es geht um einstiges "Bodenreformland". Zu DDR-Zeiten haben viele Bürger solches Land geerbt. Aber nach der deutschen Einheit hat der Fiskus den meisten von ihnen das Eigentum daran wieder entzogen, indem sich das Land als "besserberechtigt" ausgab und die Erben als "nicht zuteilungsberechtigt" darstellte.

Aber den Ländern gelang es nicht immer, die Erben, denen sie die Grundstücke wieder wegnehmen wollten, rechtzeitig ausfindig zu machen. Denn das mußte vor dem 2. Oktober 2000 geschehen sein. Die Frist hatte den Sinn, Rechtsfrieden herzustellen. Da die Länder sahen, daß sie es bis dahin nicht immer schaffen würden, alle Erben zu finden, verfielen sie darauf,  sich zum gesetzlichen Vertreter dieser Erben bestellen zu lassen. In dieser Vertretereigenschaft übertrugen sie die Grundstücke kurzerhand an sich selbst  und ließen sich im Grundbuch als Eigentümer eintragen. So war auch Brandenburg in diesem jetzt aktuellen Fall vorgegangen.

Zwei Brüder hatten von ihrem Vater einstiges Bodenreformland in Strausberg geerbt. Gestorben war der Vater im Oktober 1989, im Grundbuch blieb er eingetragen. Brandenburg wußte von dem Land, gab aber an, die Erben nicht zu kennen. Doch wollte es sich auch an diesem Land das Eigentum sichern. Weil ihm dafür aber die Zeit davonlief, ließ es sich vom Landkreis Märkisch-Oderland im Juli 2000 zum gesetzlichen Vertreter des nicht bekannten Eigentümers bestellen und im September 2000 die Grundstücke übertragen. Der Notarin sagte es, der Eigentümer sei unauffindbar. Der Landkreis genehmigte die Eigentumsübertragung.

Als die Erben davon erfuhren, drangen sie darauf, das Grundbuch zu berichtigen und rechtmäßig sie als Eigentümer einzutragen. Sie mußten diesen Anspruch einklagen. Das Landgericht wehrte ihre Klage ab, das Oberlandesgericht gab ihr statt. Aber Brandenburg legte dagegen Berufung ein, begehrte beim BGH Revision - und fiel gründlich auf die Nase. Die Entscheidung stammt vom 7. Dezember (V ZR 65/07), ist aber erst jetzt bekanntgeworden.

Das oberste Zivilgericht  läßt es an Deutlichkeit gegenüber Brandenburg nicht fehlen. Es legt ihm "Mißbrauch der verliehenen Vertretungsmacht" zur Last. Die Auflassung der Grundstücke an sich selbst sei nicht wirksam und daher nichtig. Das Gericht bezeichnet die Auflassung sogar als sittenwidrig.

Die Begründung für die Auflassung an sich selbst "erfolgte ins Blaue hinein und war inhaltlich falsch", schreibt das Gericht. Sie sei allenfalls geeignet gewesen, den Landkreis zu täuschen. Die Begründung für die Auflassung sei mit Brandenburgs Verpflichtungen gegenüber den Brüdern unvereinbar. Auch hält das Gericht dem Land ein "eines Rechtsstaates unwürdiges Verhalten" vor, "das nachhaltig an die Praxis der Verwalterbestellung der DDR erinnert".

In den neuen Bundesländern gibt es viele tausend gleicher Fälle. Von 1996 bis 2000 hat Brandenburg, wie sein Finanzministerium auf Anfrage bekundet, etwa 80.000 Eigentürmer von Bodenreformland ausfindig gemacht. Gegenüber zirka 63.000 davon hatte es keine Handhabe auf eine Herausgabe des Landes. In rund 17.000 Fällen hat sie einen Anspruch geltend gemacht. Bis zu 10.000 davon waren Ansprüche gegenüber unbekannten Eigentümern. "Wie viele uns davon jetzt beschäftigen werden, ist völlig offen", sagt Pressesprecher Ingo Decker. Das Land beeilt sich nun zu handeln und kündigte Anfang der Woche ein "Fünf-Punkte-Paket" an, um den Vorgaben des Gerichts zu entsprechen.

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