© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/08 08. Februar 2008

Pankraz,
der Blogger und die wühlende Fledermaus

Bevor Pankraz auf sein eigentliches heutiges Thema zu sprechen kommt, möchte er den Blick seiner Leser zunächst einmal auf die zoologischen Verhältnisse im fernen Neuseeland lenken. Bis zur Ankunft der Weißen im 18. Jahrhundert war dort eine übers Meer zugeflatterte Fledermaus (Mystacina tuberculata) das einzige Säugetier, es gab weder Mäuse noch Maulwürfe, noch Igel, die den Waldboden unsicher machten, so daß Engerlinge und andere Käferlarven üppig und unbehelligt gediehen.

Eines Tages merkte Mystacina tuberculata, daß es viel bequemer war, unten im Humus nach Beute zu wühlen, statt sie oben in der Luft in strapaziösem Kunstflug zu erjagen. Sie ließ sich auf den Boden nieder, stöberte im Laub, später auch in tieferen Schichten, und schlug sich so auf leichte Art den Bauch voll. Allmählich lernte sie, ihre Flügel ganz eng zusammenzufalten, so daß sie auch die Unterarme zur Fortbewegung im Erdreich nutzen konnte. Füße und Beine kräftigten sich, die Krallen bildeten sich zu kleinen Grabschaufeln aus, die Fledermaus wurde zur Wühlmaus.

Noch ist der Prozeß nicht abgeschlossen, aber Zoologen vermelden, daß die Tiere bereits über die Hälfte ihrer aktiven Zeit am und im Boden verbringen. Aus der Geschichte der Evolution kennt man ähnliche Vorgänge: Bärenartige wurden zu Seehunden und Walen, Hörnchen- und Mausartige zu sogenannten Gleitern und eben zu Fledermäusen. Man könnte es auch so sagen: Bodenhafter eroberten sich neue, gewaltige Lebensräume, das Meer und die Lüfte. Und heute, weil es bequem geworden ist, kehren sie (siehe Mystacina tuberculata) auf die Erde, ins faule Laub und in den warmen Humus zurück.

Irgendwie ist das deprimierend, total spießig und unheroisch, und es eignet sich gut als Gleichnis für die aktuellen Zustände in der Journalisten- und Publizistikbranche. Dort bietet sich das Internet als neues Medium für Leute an, die sich schon immer mal als leibhaftige Schriftsteller in Szene setzen wollten, doch früher weder in der Presse noch im Radio, noch bei den Verlagen ein Forum fanden. Für Kapriolen im Meer oder in der Luft reichte es bei ihnen einfach nicht. Jetzt aber, endlich, endlich, sehen sie im buchstäblichen Sinne Land.

Das Internet ist da, und dort gibt es weder Konkurrenz noch Auswahl noch Risiko, jeder kann sich gleichberechtigt ausquatschen und verlinken, faktisch jeder kann ein Blog aufmachen, sogar ein Videoblog, wo man zusätzlich noch ins Bild kommt und parallel zum Vortrag des Textes einen Bauchtanz aufführen kann. Das Angebot ist verführerisch, und so konnte es nicht ausbleiben, daß sich alsbald auch ausgepichte Profis, voll etablierte Platzhirsche des Medienbetriebs der Sache annahmen.

Im Stil unseres Mystacina-Gleichnisses gesprochen: Immer mehr Superfledermäuse, die alle ein teures elektronisches Peilgerät auf der Nase tragen, um den tagtäglichen publizistischen Luftkampf zu bestehen, kehren auf die Erde zurück, geben sich maulwurfsmäßig bieder, stöbern im Laub der Stammtischformulierungen. Zum klassischen Beispiel wurde inzwischen jener hochmögende Feuilletonchef aus der großen Seestadt Hamburg, der sich per Videoblog ohne Rücksicht auf Form und Niveau über die "deutschen Rentner" empörte, welche angeblich mit ihren "spießigen Ermahnungen" junge ausländische Schläger zur Weißglut treiben.

Höchst drollig, wie perplex und erschrocken er und seinesgleichen danach auf das Echo aus rentnerischen Bloggerkreisen reagierten. Dieses Echo war - erwartungsgemäß und dem verwendeten Medium entsprechend - grob und pöbelhaft. Es fuhr den Platzhengsten regelrecht ins Gebein. Nun ertönt aus ihren Kreisen ein Geschrei, dergleichen müsse man verbieten und polizeilich einhegen. Vornehme und von der Zunft gewissermaßen geadelte Blogger müßten auf jeden Fall vor solchen Attacken geschützt werden, wie deftig der Vornehmen eigener Ton auch immer sei.

Pankraz kann dazu nur sagen: Wer sich grün anmalt, den fressen die Ziegen. Wer sich mit Bloggern gemein macht, der darf sich nicht wundern, wenn ihm mit gleicher Münze heimgezahlt wird. Es gibt keinen "vornehmen Bloggerton". Das Medium ist auch hier die Botschaft. Die Welt der Blogger, ja das  Internet überhaupt, ist  keine erstrangige publizistische Instanz wie Zeitung, Radio und, eingeschränkt, Fernsehen. Es ist ein Spielfeld, ein Hobbykeller, eine Stehbierhalle und - nicht zu vergessen - ein Freigelände für Dissidenten, Nichtzugelassene, Verbotene, leider auch für Terroristen, die dort ihre Botschaften und Forderungen absetzen.

Jeder Ruf nach immer strengeren Verboten und Polizeieinsätzen ist erstens übel und zweitens vergeblich. Es gibt ja längst - von Peking bis Berlin - einen zähen Dauerkrieg zwischen Bloggern und Polizei, der manchmal zugunsten der Polizei, manchmal (und à la longue wohl regelmäßig) zugunsten der Blogger ausgeht. Daß im Internet dem Verbieten gleichsam natürliche Grenzen gesetzt sind, daß schon die Hardware ständig neue Möglichkeiten eröffnet, Verbote zu unterlaufen, ist zweifellos ein eher sympathischer Zug des neuen Mediums.

Auch daß es den großen, auf blinde Vermarktung getrimmten Medienkonzernen trotz riesiger Investitionen so schwerfällt, endlich die volle Macht zu übernehmen und sämtliche Kleinteilnehmer zu pazifizieren  bzw. auszuschalten, spricht sehr für dieses Medium. Es ist offenbar, seine vielen Schattenseiten hin oder her, ein gewissermaßen struktureller Faktor des modernen Lebens geworden, zu dem jedermann ein je eigenes Verhältnis ausbilden muß.

Für das Verhältnis anspruchsvoller Publizistik zur Bloggerwelt birgt das neuseeländische Gleichnis übrigens eine bedenkenswerte Pointe. Dadurch, daß die Weißen einst (unbeabsichtigt) die Ratte ins Land einführten, ist die Umwandlung von Mystacina tuberculata in einen Maulwurf neuerdings ins Stocken geraten. Denn die Ratten fressen die am Boden kriechenden Fledermäuse auf. Für diese gilt nun: Lieber wieder kunstvoll fliegen, als bequem gefressen zu werden.

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